Abstieg eines Papst-Vertrauten
Vatikan-Finanzchef Pell muss sich wegen Missbrauchsvorwürfen vor Gericht verantworten
MELBOURNE (dpa) - Es gab Zeiten, da wurde George Pell als der nächste Papst gehandelt. 2005, nach dem Tod von Johannes Paul II., und 2013, nach dem überraschenden Rücktritt von Benedikt XVI., galt der Kardinal aus Australien als aussichtsreicher Kandidat für das höchste Amt der katholischen Kirche auf Erden. Daraus wurde nichts. Aber immerhin brachte es Pell im Vatikan zum Finanzchef, zur inoffiziellen Nummer 3 des Kirchenstaats, zu einem der engsten Vertrauten von Papst Franziskus.
Doch am Dienstag sitzt der 76-Jährige, von seinem Erscheinungsbild her immer noch ein mächtiger Mann, sehr still im Amtsgericht von Melbourne. Schwarzer Anzug, weißes Hemd, Kollar, die Arme verschränkt, keine Regung. Der Blick geht auf den Boden. Soeben hat Richterin Belinda Wallington dem Kurienkardinal eröffnet, dass ihm wegen des Verdachts, vor Jahrzehnten einige Jungen sexuell missbraucht zu haben, der Prozess gemacht wird. Die Kirchenkarriere ist vorbei Zum Ende fragte sie Pell: „Schuldig oder nicht?“Jetzt muss der Kardinal, der in den monatelangen Vorprüfungen stets geschwiegen hatte, doch etwas sagen. Er bleibt sitzen, belässt es bei zwei Wörtern. „Nicht schuldig.“Aber ob so oder so: Mit der jetzigen Entscheidung ist seine Kirchenkarriere vorbei. An eine Rückkehr ins alte Amt nach Rom, wo er vor mehr als einem halben Jahrhundert im Petersdom zum Priester geweiht wurde, glaubt niemand mehr.
Pell wird als ranghöchster Geistlicher der katholischen Kirche in die Geschichte eingehen, der wegen Missbrauchsvorwürfen vor Gericht kommt. An diesem Mittwoch schon beginnt der Prozess, wieder in Melbourne, wo er einst Erzbischof war, im Gebäude gegenüber. Die Entscheidung liegt dann in der Hand eines Richters und einer Jury aus zwölf Geschworenen. Vermutet wird, dass sich das Verfahren über viele Monate hinziehen wird. Möglicherweise werden auch mehrere Jahre daraus. Jedenfalls dürfte sich die Suche nach der Wahrheit kompliziert gestalten. Die Vorwürfe reichen weit in die Vergangenheit zurück – in die Zeit, als Pell in seiner Heimatstadt, der Bergbaugemeinde Ballarat, noch einfacher Priester (1976 bis 1980) und später dann Erzbischof in Melbourne (1996 bis 2001) war.
Richterin Wallington stellte in der Hälfte der Fälle das Verfahren ein, weil die Vorwürfe nicht glaubwürdig genug waren. In neun Fällen ließ sie die Anklage zu. Die Justiz hat sich bislang noch nicht im Detail dazu geäußert, was dem Kardinal vorgeworfen wird. Bekannt war eine Beschwerde, wonach er 1978 im Kino von Ballarat einen Jungen belästigt haben soll, als sich die beiden angeblich den StevenSpielberg-Klassiker „Unheimliche Begegnung der dritten Art“zusammen anschauten. Dieser Fall wird nun nicht weiter verfolgt. Die Zeit in Melbourne wird vor Gericht jedoch Thema werden. In einem Buch namens „Cardinal“ist die Rede davon, dass Pell zwei Männer in der dortigen St.-Patrick's-Kathedrale zu sexuellen Handlungen gezwungen haben soll. Auch die Beschwerde über einen Vorfall mit zwei Jungen in einem Schwimmbad wird behandelt. Sein Anwalt Robert Richter tat all das als „Produkte der Fantasie, psychischer Probleme oder reine Erfindungen“ab. Aus Sicht der Verteidigung soll Pell zum Sündenbock für die Verfehlungen von Australiens katholischer Kirche gemacht werden.
Davon gibt es viele. Eine staatliche Kommission fand heraus, dass zwischen 1950 und 2015 in Australien Zehntausende Kinder Opfer sexueller Gewalt wurden – meist in Einrichtungen der Kirche. Allein aus Pells Heimatgemeinde Ballarat sagten 139 Leute aus, sexuell missbraucht worden zu sein. Von den 21 Tätern waren 17 Priester. Pell, so die Kommission, war zumindest an Vertuschung beteiligt. Auf seinen späteren Stationen wurde ihm immer wieder vorgeworfen, zu wenig gegen sexuellen Missbrauch unternommen zu haben. Rückschlag für Franziskus Für Papst Franziskus bedeutet die Anklage gegen seinen Vertrauten einen Rückschlag. Der Argentinier hat immer wieder bekräftigt, in Sachen Missbrauch ein „Null-Toleranz-Prinzip“zu verfolgen. Trotzdem sieht sich die katholische Kirche weiter dem Vorwurf ausgesetzt, Fälle von Kindesmissbrauch zu vertuschen. Über allem steht die Frage, ob Franziskus nun personelle Konsequenzen zieht und Veränderungen vorantreibt. Die Erwartungen sind groß.
Als sicher gilt, dass der Papst bald einen Nachfolger berufen wird. Einstweilen, so stellte der Vatikan am Dienstag klar, bleibt er als Finanzchef jedoch nur beurlaubt. Trotz der Anklage ist Pell weiterhin auf freiem Fuß, gegen Kaution. Seinen Reisepass musste er allerdings abgeben. Solange der Prozess dauert, kann der Kurienkardinal also nicht zurück in den Vatikan. Er lebt nun in seiner alten Heimat in einem Priesterseminar.
Mindestens 24 Tote bei Anschlägen in Nigeria
KANO (AFP) - Bei zwei Selbstmordanschlägen im Nordosten Nigerias sind am Dienstag mindestens zwei Dutzend Menschen getötet worden. Die Polizei nannte eine vorläufige Zahl von 24 Toten. Ein Rettungshelfer sagte, 42 Leichen und 68 Verletzte seien ins Krankenhaus eingeliefert worden. Die Attentäter hatten sich in einer Moschee und auf einem Markt in dem Ort Mubi in die Luft gesprengt.
Nord- und Südkorea bauen Propagandalautsprecher ab
GANGHWA (AFP) - Nord- und Südkorea haben im Zuge ihrer diplomatischen Annäherung mit dem Abbau der Propagandalautsprecher im Grenzgebiet begonnen. Die Demontage der Anlagen startete am Dienstag auf beiden Seiten der demilitarisierten Zone, wie das Verteidigungsministerium in Seoul mitteilte. Damit werde eine Vereinbarung des Gipfeltreffens von Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un und Südkoreas Staatschef Moon Jae-in von vergangener Woche umgesetzt.
Abbas gibt Juden Schuld an Holocaust
RAMALLAH (dpa) - Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat in einer phasenweise antisemitischen Rede dem jüdischen Volk die Schuld am Holocaust gegeben, der Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis. Der Holocaust sei nicht durch Antisemitismus ausgelöst worden, sondern durch das „soziale Verhalten“der Juden, sagte Abbas nach Angaben der Nachrichtenagentur Wafa vom Dienstag in Ramallah. Der 82-Jährige versuchte erneut zu belegen, dass das jüdische Volk keine historischen Wurzeln im Heiligen Land habe.
Richtlinie verbessert Schutz von EU-Bürgern im Ausland
BRÜSSEL (dpa) - EU-Bürger sind ab sofort bei Notfällen im Ausland besser geschützt. Eine seit diesem Dienstag gültige EU-Richtlinie regelt, dass Reisende oder in einem Drittstaat lebende Unionsbürger künftig durch das Netz der europäischen Auslandsvertretungen konsularisch abgesichert sind. Dies soll dann zum Tragen kommen, wenn das Heimatland des Betroffenen keinen Schutz gewähren kann. Hilfe kann zum Beispiel bei schweren Krankheiten, bei Verhaftungen oder bei Verlust oder Diebstahl von Reisepässen beantragt werden.