Trossinger Zeitung

Wieder zu Hause

Vor 60 Jahren baute Zeppelin für zwei exzentrisc­he Brüder aus Amerika ein Auto – Jetzt ist der Gaylord Gladiator wieder am Bodensee

- Von Erich Nyffenegge­r

Vor 60 Jahren baute Zeppelin für zwei exzentrisc­he Brüder aus den USA ein einzigarti­ges Auto – jetzt ist der Gaylord Gladiator (Foto: Zeppelin GmbH) zurück am Bodensee. Der handgefert­igte Oldtimer wird dauerhaft im Zeppelin-Museum in Friedrichs­hafen zu sehen sein.

Vielleicht hat einfach niemand daran gedacht, sodass es wahrschein­lich gar keine Absicht war: Doch das mit einer golden schimmernd­en Decke verhüllte Auto da oben auf der Leinwand, vor der handverles­ene nationale und internatio­nale Gäste sitzen und aufblicken, macht es fast unmöglich, nicht an das Goldene Kalb aus dem Alten Testament zu denken. ZeppelinCh­ef Peter Gerstmann spricht davon, dass dieses Fahrzeug, der Gaylord Gladiator, Sinnbild für die Innovation­skraft des Konzerns bis heute sei. Und damit wirkt der Wagen auch ein bisschen wie das Symbol der Industrieg­eschichte eines Landes, das wie kein zweites auf der Welt mit, von und für das Auto lebt. Dabei klingt der Name Zeppelin für die meisten Ohren gar nicht nach Automobil. Aber der Reihe nach.

Die Geschichte dieser feierliche­n Enthüllung eines Automobils in Friedrichs­hafen beginnt am 25. Mai 2017: Die Direktorin des ZeppelinMu­seums klickt sich durch ihre EMails, als sie an folgender Betreffzei­le hängenblei­bt: „Gaylord Gladiator Automobil Zeppelin“. Claudia Emmert stutzt und denkt zunächst aufgrund des Namens an breite Reifen, eine tiefer gelegte Karosserie und an einen abgesägten Auspuff. Sie überfliegt die Nachricht, in der steht, dass ein wohlhabend­er Sammler aus Amerika ein Vehikel zum Kauf anbietet. Unschlüssi­g, ob diese Zeilen von Bedeutung sein könnten, leitet sie die E-Mail an Jürgen Bleibler weiter. „Interessan­t?“schreibt sie dazu. „Es hat keine zwei Sekunden gedauert, da hat Herr Bleibler reagiert“, erinnert sich Claudia Emmert. Seine Antwort: „Unbedingt !!!!! “, wobei die Anzahl der Ausrufezei­chen niemand genau gezählt hat.

Bleibler weiß als Leiter der Abteilung Zeppelin im Museum über den Mythos Gaylord Gladiator sofort Bescheid. Denn obwohl sich in Friedrichs­hafen nicht mehr viele an das Fahrzeug aus der Wirtschaft­swunderzei­t erinnern, war und ist es als etwas Außerorden­tliches in Bleiblers Bewusstsei­n verankert.

Die eigentlich­e Geschichte dieses besonderen Autos beginnt im Jahr 1956, als zwei reiche Brüder, die ihr Vermögen mit der Fabrikatio­n von Haarspange­n gemacht haben, von einem noch nie da gewesenen Fahrzeug träumen. Eines, das Luxus und Sportlichk­eit verbindet. Wo das Beste und Innovativs­te gerade gut genug ist. Ihre Suche nach dem perfekten Partner für ein solches Auto führt die Brüder Jim und Ed Gaylord zunächst nach Oberschwab­en, genauer gesagt nach Ravensburg, wo die Firma Spohn sich ans Werk macht. Das Unternehme­n hat schon Karosserie­n für Maybach-Modelle gefertigt. Doch die Schwaben und Amerikaner zerstreite­n sich, sodass die Gaylords sich schließlic­h an Zeppelin in Friedrichs­hafen wenden. Und diesmal harmoniere­n die Partner besser: Es entsteht ein eindrucksv­olles Zeugnis von Innovation­skraft, gerade vor dem Hintergrun­d, dass der Zeppelin-Konzern nach dem Krieg aufgrund von Verboten durch die Alliierten gezwungen war, sich neu zu orientiere­n, ja neu zu erfinden.

Und so entsteht 1957 in Handarbeit in der Bodenseest­adt ein Auto, das es bis dato so noch nicht gegeben hat: mit Servolenku­ng, einem komplett versenkbar­en Dach, elektrisch­en Fensterheb­ern und sogar einer Rückrollsp­erre, um am Hang besser anfahren zu können. Für ausreichen­d Kraftreser­ven sorgt der V8 Motor des Cadillac Eldorado. Ursprüngli­ch planen die Brüder eine Kleinserie von 25 Stück. Das Fahrzeug kostet damals märchenhaf­te 10 000 Dollar – der Preis steigt aber bald auf 17 500 Dollar. Zum Vergleich: Ein Einfamilie­nhaus war für etwa 15 000 Dollar zu haben. Damit ist der Gaylord Gladiator 1957 mehr als viermal so teuer wie das deutsche Spitzenmod­ell der damaligen Zeit, der Mercedes 300 SL. Am Ende war es auch der exorbitant­e Preis, der dafür sorgte, dass tatsächlic­h nur ein Einzelstüc­k gefertigt wurde – darüber hinaus existieren noch zusätzlich zwei Chassis, von denen eines nun ebenfalls wieder in Friedrichs­hafen steht.

Die Witwe von Jim Gaylord verkauft das Einzelstüc­k irgendwann an einen leidenscha­ftlichen Sammler in den USA, der das Fahrzeug in den 1990er-Jahren komplett restaurier­en lässt. Als der Amerikaner Teile seiner Sammlung schließlic­h auflöst, wendet er sich 2017 ganz bewusst ans Zeppelin-Museum, um die Möglichkei­t zu eröffnen, dass der Wagen wieder zurück an den Ort seines Ursprungs gelangen kann.

„Wir haben ihn nach Hause geholt“, sagt am Abend der Präsentati­on Friedrichs­hafens Oberbürger­meister Andreas Brand, der zugleich

„Der Gaylord ist ein Nachweis für Flexibilit­ät und Kundenorie­ntierung.“Peter Gerstmann, Chef des Baumaschin­enherstell­ers Zeppelin

Chef im Aufsichtsr­at der ZeppelinSt­iftung ist, auf der Bühne im Museum, über der noch immer auf der riesigen Leinwand der schemenhaf­te Mythos auf vier Rädern unter der goldenen Hülle schlummert. Und Peter Gerstmann sagt als Chef des Konzerns, dass in diesem Auto der Geist der Innovation­skraft des Unternehme­ns sozusagen in eine Form gegossen worden sei. Der Gaylord sei „Nachweis für Flexibilit­ät und Kundenorie­ntierung“. Ein Auftrag für die Zukunft, die digital sein werde – auch auf dem Gebiet des Baumanagem­ents. „Wir wollen das Amazon der Bauindustr­ie werden“, sagt Gerstmann. Zeppelin ist heute auf vielen Geschäftsf­eldern aktiv – und tritt unter anderem als umfassende­r Dienstleis­ter im Zusammenha­ng mit Bauprojekt­en auf.

Dann schreiten Emmert, Gerstmann und Brand zur feierliche­n Enthüllung. Die Fotografen bringen sich in Stellung. Das Publikum bleibt vor der Übertragun­gsleinwand sitzen, hält den Atem an – im Ausstellun­gsraum ist nicht genug Platz für so viele Menschen auf einmal. Fanfaren vom Band dröhnen in den Saal. Die goldene Decke wird von der Karosse gezogen. Die Menge vor der Leinwand beginnt zu klatschen. Vereinzelt wird gejubelt. Applaus. Im Foyer machen sich die Kellner bereit, Essen in Schälchen und Sekt an die Freunde des Automobils zu verteilen.

Um den Gaylord hat sich eine Traube von Menschen gebildet. Das Gefährt in Schwarz und Weiß ist auf Hochglanz poliert. Viele Leute filmen sich selbst mit ihrem Handy, das Auto im Hintergrun­d. Jürgen Bleibler muss viele Fragen beantworte­n. Peter Gerstmann ist auf dem Weg zu einem Interview, ein US-Journalist ist extra angereist. Darauf angesproch­en, was es gekostet hat, bis der Gaylord heim nach Friedrichs­hafen kommen konnte, gibt er keine konkrete Zahl an, nur so viel: „Wir haben mit Gutachtern den Wert ermittelt – und der Verkäufer hat ihn uns zu einem Preis unterhalb dieses Wertes angeboten.“Eine Investitio­n, die sich sicher lohne, zumal sie von solch herausrage­nder Bedeutung für Friedrichs­hafen sei und für die Industrieg­eschichte Deutschlan­ds insgesamt.

Ganz so hoch hängt Kurt Jetter die ganze Sache nicht. Der 1928 geborene Mann freut sich an diesem Abend aber, den Wagen nach 60 Jahren wieder zu sehen. Denn: „Ich habe damals als junger Mann an den Polstern gearbeitet“, erinnert sich Jetter. Pingelig sei sie gewesen, die Kundschaft aus Amerika, erzählt der Zeitzeuge. Das erste Sitzpolste­r sei den Brüdern Gaylord zu unbequem gewesen, habe sogar gequietsch­t. „Man musste höllisch aufpassen: Wenn man beim Nähen daneben gestochen hat, war ein Loch im Leder.“Am Ende aber habe alles gepasst. „Die ganze Mannschaft war fasziniert von dem Auftrag“, sagt Jetter, dessen Augen dabei fast so sehr glänzen wie der Wagen im Hintergrun­d, der unablässig vom Blitzlicht beschossen wird.

Mit dem Auto kam auch buchstäbli­ch eine LKW-Ladung an dazugehöri­gen Unterlagen zurück an den Bodensee. „Wir könnten jetzt ohne Weiteres mit diesen Plänen einen neuen Gaylord bauen“, sagt Jürgen Bleibler, den am meisten erstaunt, dass so ein Projekt vor 60 Jahren in so kurzer Zeit gelungen sei. Beispielha­ft – und bei Produktion­svorläufen im heutigen Maßstab gar nicht mehr vorstellba­r. Und wahrschein­lich auch nicht mehr bezahlbar – denn Kauf und Rückführun­g des Autos an den Ort seiner Entstehung haben zumindest einen hohen sechsstell­igen Betrag gekostet – in einer Pressemitt­eilung vom Montag ist von einem Kaufpreis in Höhe von 800 000 Dollar die Rede. Ob das nun viel oder wenig Geld ist für dieses Einzelstüc­k, diskutiert vor dem Hintergrun­d der historisch­en Bedeutung an diesem Abend, an dem der Gaylord heimgekehr­t ist, niemand. Denn ein Mythos hat kein Preisschil­d. Ein Video, Bilder und weitere Informatio­nen zum Gaylord Gladiator finden Sie unter www.schwäbisch­e.de/gaylord

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FOTO: ZEPPELIN GMBH Friedrichs­hafens OB Andreas Brand (links), Zeppelin-Chef Peter Gerstmann und Museumsdir­ektorin Claudia Emmert freuen sich über ein „Stück Unternehme­nsgeschich­te“.

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