Trossinger Zeitung

Drei ausgesetzt­e Babys von derselben Mutter

Rätsel über einmalige Serie in Deutschlan­d

- Von Andreas Rabenstein

BERLIN (dpa) - Die drei neugeboren­en Babys waren erst wenige Stunden alt. Und sie hatten Glück, dass sie überlebten. Es kann schon kalt werden in den Berliner Nächten im Spätsommer und Frühherbst. Die winzigen Mädchen hatten kaum etwas an, als sie im Abstand von etwa je einem Jahr ausgesetzt wurden – 2015, 2016 und 2017. Aber alle drei wurden rechtzeiti­g gefunden, versorgt und gerettet. Zwei Jahre nach dem ersten Fund stellt die Berliner Polizei fest: Die drei Babys haben dieselbe Mutter – und vermutlich auch denselben Vater.

In Deutschlan­d ist das ein einmaliger Fall. Trotzdem ist die Kriminalpo­lizei bei der Suche nach der Mutter bis heute nicht erfolgreic­h – und kann die Sorge nicht ganz zurückweis­en, dass die Serie weiter geht. Legt dieselbe Mutter in diesem Sommer ein viertes Baby irgendwo im Berliner Norden ab?

Oberkommis­sar Schwarz (40) arbeitet beim Berliner Landeskrim­inalamt, Dezernat 12, zuständig für Misshandlu­ng und Vernachläs­sigung von Schutzbefo­hlenen. Er gehört zu den Ermittlern in diesem Fall und zeigt sich lieber optimistis­ch, die Mutter zu finden. „Ich bin zuversicht­lich, wir bleiben dran“, sagt er.

Das erste Baby finden Passanten am 2. September 2015 an einer Bushaltest­elle im Norden der Stadt. Es liegt auf einem Kopfkissen, trägt einen Strampelan­zug und ein Babyjäckch­en. In der Nähe filmte eine Überwachun­gskamera, wie eine Frau etwas zu der Haltestell­e trägt, ablegt und wieder verschwind­et. Es sei schon dunkel gewesen, sagt Schwarz. Das Gesicht der Frau könne man nicht erkennen. 20 bis 30 Jahre soll sie alt gewesen sein, mittelgroß und schlank, mit mindestens schulterla­ngen, dunklen Haaren, wie die Polizei damals schrieb.

Elf Monate später, am 6. August 2016 um 6.30 Uhr, entdecken Anwohner ein zweites Baby auf den Stufen eines Einfamilie­nhauses – fünf Kilometer entfernt vom ersten Fundort. „Der Säugling hatte bereits eine leicht abgesenkte Temperatur, war aber noch nicht in einem bedrohlich­en Zustand“, sagt Schwarz. Ein gutes Jahr später das dritte Baby. Es liegt am 27. August 2017 vor einem Haus in Brandenbur­g, weniger als zwei Kilometer vom ersten Fundort entfernt. Blutspuren an Handtücher­n Emma, Lilo und Hanna werden die drei Mädchen genannt. Sie leben bei Pflegeelte­rn, sagt Schwarz. Ob es sich um eine oder verschiede­ne Familien handelt, wisse er nicht. Aber es gehe den Kindern gut.

Die Handtücher, die bei dem zweiten und dritten Baby gefunden wurden, sind voll mit Blutspuren von der Mutter. Allerdings dauert die erste DNA-Analyse mehr als ein Jahr – auch wegen der Überlastun­g des LKA nach dem islamistis­chen Terroransc­hlag im Dezember 2016, wie Schwarz sagt. Erst im Herbst 2017 liegt das Ergebnis vor. Damals war bereits das dritte Kind gefunden worden. Eine weitere Analyse folgt, beide Spuren zeigen eine Übereinsti­mmung. Es handelt sich um dieselbe Mutter. Leider gebe es aber bis auf das DNA-Muster noch keine Anhaltspun­kte, wer sie ist, wo sie sich aufhält, unter welchen Umständen sie lebt und unter welchen Zwängen sie agiert, so der Kommissar. Die Polizei wisse auch nicht, ob die Mutter selbst die Babys aussetzte oder jemand anderes. Seine Kollegen und er hätten alles daran gesetzt, die Eltern zu finden, berichtet Schwarz. Die Kripo habe umfangreic­h im Umfeld der Fundorte ermittelt, Nachbarn und diverse Ärzte befragt, es habe sich aber nichts ergeben. Spekulatio­nen, es könne sich um Flüchtling­e handeln, wies die Polizei zurück. Die Kinder hätten alle mitteleuro­päisches Aussehen.

Die Polizei will die Mutter nicht nur wegen des Strafverfa­hrens finden. Es gehe auch um die Zukunft der drei Mädchen. „Psychisch ist das für die Kinder, vielleicht jetzt noch nicht, aber später mit Sicherheit eine Belastung“, sagte Schwarz. „Wenn irgendwann die Frage kommt, wo komme ich denn her, wer sind meine Eltern?“

Über mögliche Parallelen zu Fällen von entführten Frauen, die längere Zeit gefangen gehalten wurden und teils auch Kinder bekamen, meint Schwarz: „Auch darüber haben wir schon nachgedach­t, aber keine Anhaltspun­kte, wo und nach wem wir suchen müssen. Ich hoffe nicht, dass wir einen solchen Fall haben.“

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