Trossinger Zeitung

Mehr Engagement oder einfach abhaken?

Armut- und Reichtumsb­ericht sorgt im Kreistag für Gesprächss­toff

- Von Christian Gerards

TUTTLINGEN - Der erste Armutsund Reichtumsb­ericht für den Landkreis Tuttlingen ist am Mittwochna­chmittag Thema im Kreistag gewesen. Intensiv wurde dabei darüber diskutiert, ob die daraus resultiere­nden Erkenntnis­se mithilfe der Kreispolit­ik positiv verändert werden können.

Eines der drängendst­en Probleme ist es laut der Kreisverwa­ltung, für Familien und Einzelpers­onen geeigneten und bezahlbare­n Wohnraum zu finden. Sozialdeze­rnent Bernd Mager erinnerte in der Sitzung daran, dass in Deutschlan­d jemand als arm gilt, wenn er weniger als 60 Prozent des Durchschni­ttseinkomm­ens zur Verfügung hat. Die ansteigend­en Mietkosten würden das Armutsrisi­ko erhöhen.

Dieter Müller (SPD) betonte, dass es auch im Kreis Tuttlingen keine heile Welt geben würde: „Wir tun viel, aber vielleicht können wir noch mehr tun“, sagte er. Der stetig wachsende Zulauf zur Tafel sei inzwischen ein Gradmesser für die Armut geworden. Er sprach sich dafür aus, dass der Kreis bei der Kinderbetr­euung mehr unterstütz­en sollte. Und: „Altersarmu­t und Einsamkeit sind Themen, die wir dringend gesondert behandeln sollten“, sagte Müller. Wie Kreisrat Hermann Polzer (OGL) in der Sitzung des Sozial- und Gesundheit­sausschuss­es des Kreistags Mitte April betont habe, sagte Müller, dass man es bei einem Armutsberi­cht lassen könne: „Wir brauchen den Reichtum nicht zu analysiere­n.“Für seine Rede erhielt er von zahlreiche­n Kreisräten Applaus. Ein Stückweit Realität Polzer hat indes seine Meinung zur Bezeichnun­g des Armuts- und Reichtumsb­ericht geändert: Der Name sollte bleiben, es gebe schließlic­h „auch die andere Seite“. Insgesamt stimmen ihn die Zahlen des Berichts nachdenkli­ch: „Sie spiegeln ein Stück die Realität wieder.“Polzer spricht sich dafür aus, in der Kreispolit­ik Spielräume zu nutzen, wenn man „die Zahlen und die Zielrichtu­ng im Auge behält“. Der Wohnraumgi­pfel, den Landrat Stefan Bär im Herbst einberufen will, nannte Polzer einen „ersten und griffigen Punkt“.

Anders sieht es Kreisrat Clemens Maier (FWV): „Was bezwecken wir mit dem Bericht?“, fragte er. Ihm seien nur relativ wenige Möglichkei­ten eingefalle­n, die der Kreis machen könnte. „Lohnt es sich daher, größere Energie reinzustec­ken?“, fragte er weiter. Er habe den Bericht zur Kenntnis genommen und finde die Ergebnisse bedauerlic­h. „Wir können als Kreis nicht groß tätig werden. Die Wohnraumpr­eise werden vom Markt bestimmt und durch steigende Baupreise gemacht“, sagte Maier. Er plädierte dafür, nicht übers Ziel hinauszusc­hießen.

Kreisrat Leopold Grimm (FDP) zeigte sich frustriert darüber, dass man mit einem Sozialetat, der 50 Prozent des Kreishaush­alts ausmache, nichts ändern würde. Im Landkreis Tuttlingen würden händeringe­nd Fachkräfte gesucht: „Aber wir haben Leute, die nicht in Lohn und Brot sind.“Mit Blick auf den Wohnraumgi­pfel sagte er, dass das Problem schon bei der Landesbauo­rdnung anfangen würde: „Jeder Bauherr regt sich darüber auf. Da müssen wir ansetzen“, betonte Grimm. Ähnlich sah es auch Kreisrat Paul Haug (FDP): „Wir nehmen das zur Kenntnis. Es ist manchmal ernüchtern­d, was da steht. Wir helfen in der Not.“In einem Kreis mit Vollbeschä­ftigung seien 3000 Erwerbstät­ige, die eine Transferle­istung beziehen, zu viel.

Landrat Stefan Bär erinnerte daran, dass die größten Posten im Sozialetat mit 40 Millionen Euro in der Behinderte­n- und Jugendhilf­e liegen würden. „Es gibt 28 000 Menschen im Landkreis Tuttlingen, die Sozialleis­tungen beziehen, die ein Schicksal haben, für die sie im Grunde nichts können.“ Thema wird immer wichtiger Kreisrat Michael Beck (CDU) betonte, dass der Landkreis „nicht nichts machen“könne. So sei etwa die Stadt Tuttlingen seit Monaten in Gesprächen mit Bauträgern, um zu vermitteln, was das Interesse der öffentlich­en Hand sei: „Das kennen die teilweise gar nicht“, sagte Beck. So würde im Tuttlinger Gemeindera­t aktuell darüber diskutiert, ob die Stadt als Mieter von leerstehen­den Wohnraum auftreten soll, um diese für den Wohnungsma­rkt zu aktivieren: „Dass wir uns mit diesem Thema befassen, wird immer wichtiger“, betonte Beck.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Armut hat auch im Landkreis Tuttlingen seine ganz unterschie­dlichen Facetten. Was daraus zu schlussfol­gern ist, darüber diskutiert­e der Kreistag am Mittwochna­chmittag.

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