Mehr Engagement oder einfach abhaken?
Armut- und Reichtumsbericht sorgt im Kreistag für Gesprächsstoff
TUTTLINGEN - Der erste Armutsund Reichtumsbericht für den Landkreis Tuttlingen ist am Mittwochnachmittag Thema im Kreistag gewesen. Intensiv wurde dabei darüber diskutiert, ob die daraus resultierenden Erkenntnisse mithilfe der Kreispolitik positiv verändert werden können.
Eines der drängendsten Probleme ist es laut der Kreisverwaltung, für Familien und Einzelpersonen geeigneten und bezahlbaren Wohnraum zu finden. Sozialdezernent Bernd Mager erinnerte in der Sitzung daran, dass in Deutschland jemand als arm gilt, wenn er weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Die ansteigenden Mietkosten würden das Armutsrisiko erhöhen.
Dieter Müller (SPD) betonte, dass es auch im Kreis Tuttlingen keine heile Welt geben würde: „Wir tun viel, aber vielleicht können wir noch mehr tun“, sagte er. Der stetig wachsende Zulauf zur Tafel sei inzwischen ein Gradmesser für die Armut geworden. Er sprach sich dafür aus, dass der Kreis bei der Kinderbetreuung mehr unterstützen sollte. Und: „Altersarmut und Einsamkeit sind Themen, die wir dringend gesondert behandeln sollten“, sagte Müller. Wie Kreisrat Hermann Polzer (OGL) in der Sitzung des Sozial- und Gesundheitsausschusses des Kreistags Mitte April betont habe, sagte Müller, dass man es bei einem Armutsbericht lassen könne: „Wir brauchen den Reichtum nicht zu analysieren.“Für seine Rede erhielt er von zahlreichen Kreisräten Applaus. Ein Stückweit Realität Polzer hat indes seine Meinung zur Bezeichnung des Armuts- und Reichtumsbericht geändert: Der Name sollte bleiben, es gebe schließlich „auch die andere Seite“. Insgesamt stimmen ihn die Zahlen des Berichts nachdenklich: „Sie spiegeln ein Stück die Realität wieder.“Polzer spricht sich dafür aus, in der Kreispolitik Spielräume zu nutzen, wenn man „die Zahlen und die Zielrichtung im Auge behält“. Der Wohnraumgipfel, den Landrat Stefan Bär im Herbst einberufen will, nannte Polzer einen „ersten und griffigen Punkt“.
Anders sieht es Kreisrat Clemens Maier (FWV): „Was bezwecken wir mit dem Bericht?“, fragte er. Ihm seien nur relativ wenige Möglichkeiten eingefallen, die der Kreis machen könnte. „Lohnt es sich daher, größere Energie reinzustecken?“, fragte er weiter. Er habe den Bericht zur Kenntnis genommen und finde die Ergebnisse bedauerlich. „Wir können als Kreis nicht groß tätig werden. Die Wohnraumpreise werden vom Markt bestimmt und durch steigende Baupreise gemacht“, sagte Maier. Er plädierte dafür, nicht übers Ziel hinauszuschießen.
Kreisrat Leopold Grimm (FDP) zeigte sich frustriert darüber, dass man mit einem Sozialetat, der 50 Prozent des Kreishaushalts ausmache, nichts ändern würde. Im Landkreis Tuttlingen würden händeringend Fachkräfte gesucht: „Aber wir haben Leute, die nicht in Lohn und Brot sind.“Mit Blick auf den Wohnraumgipfel sagte er, dass das Problem schon bei der Landesbauordnung anfangen würde: „Jeder Bauherr regt sich darüber auf. Da müssen wir ansetzen“, betonte Grimm. Ähnlich sah es auch Kreisrat Paul Haug (FDP): „Wir nehmen das zur Kenntnis. Es ist manchmal ernüchternd, was da steht. Wir helfen in der Not.“In einem Kreis mit Vollbeschäftigung seien 3000 Erwerbstätige, die eine Transferleistung beziehen, zu viel.
Landrat Stefan Bär erinnerte daran, dass die größten Posten im Sozialetat mit 40 Millionen Euro in der Behinderten- und Jugendhilfe liegen würden. „Es gibt 28 000 Menschen im Landkreis Tuttlingen, die Sozialleistungen beziehen, die ein Schicksal haben, für die sie im Grunde nichts können.“ Thema wird immer wichtiger Kreisrat Michael Beck (CDU) betonte, dass der Landkreis „nicht nichts machen“könne. So sei etwa die Stadt Tuttlingen seit Monaten in Gesprächen mit Bauträgern, um zu vermitteln, was das Interesse der öffentlichen Hand sei: „Das kennen die teilweise gar nicht“, sagte Beck. So würde im Tuttlinger Gemeinderat aktuell darüber diskutiert, ob die Stadt als Mieter von leerstehenden Wohnraum auftreten soll, um diese für den Wohnungsmarkt zu aktivieren: „Dass wir uns mit diesem Thema befassen, wird immer wichtiger“, betonte Beck.