Rassismus
Der Historiker Götz Aly über Antisemitismus heute und gesellschaftliche Gegenwehr – Anlass sind die „Laupheimer Gespräche“
Der Historiker Götz Aly spricht über Antisemitismus heute
LAUPHEIM - Aktueller denn je dürften dieses Jahr die „Laupheimer Gespräche“sein. Die wissenschaftliche Tagung am Donnerstag, 14. Juni, im Kulturhaus Schloss Großlaupheim beschäftigt sich nicht nur mit Antisemitismus in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart. Den Eröffnungsvortrag hält der Historiker und Politikwissenschaftler Götz Aly, Autor zahlreicher Studien zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust. Im Interview mit Roland Ray spricht er über Antisemitismus in Deutschland heute und wie dem aus seiner Sicht begegnet werden muss. Herr Aly, die Zahl antisemitisch motivierter Straftaten in Deutschland ist seit Jahren erschreckend hoch, jüdische Einrichtungen stehen unter Polizeischutz. Wie antisemitisch ist Deutschland heute? Es gibt in Deutschland nach wie vor einen beachtlichen Antisemitismus, auch in bürgerlichen Kreisen. Er wird durch eine Art Abwehr-Antisemitismus verstärkt, der sich seit den 1950er-Jahren entwickelt hat. Dessen Stoßrichtung ist vor allem antiisraelisch und folgt der selbstentlastenden Idee, dass die Israelis im Prinzip genauso verbrecherisch mit den Palästinensern umgehen wie einst die Deutschen mit den Juden. Das ist völliger Quatsch – Gaza lässt sich mitnichten mit dem Warschauer Ghetto vergleichen, was selbst deutsche Bischöfe hin und wieder tun. Drittens haben wir es mit zugewandertem Antisemitismus zu tun: Junge Muslime sind in ihren autokratisch regierten Herkunftsstaaten meist mit einem harten Anti-Israelfördern, Bild aufgewachsen; auch wenn sie bei uns leben, halten sie sehr oft daran fest. Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund die Äußerung des AfDVorsitzenden Alexander Gauland, Hitler und die Nazis seien nur ein „Vogelschiss“in mehr als 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte? Gauland und andere bei der AfD begehen solche Grenzverletzungen sehr gezielt, um ihren rechtsradikalen Anhang, den sie brauchen und an sich zu binden. Diese Absicht verfolgt Herr Gauland. Das ist verwerflich, umso mehr, als er es besser weiß. Er ist kein Holocaustleugner, er kennt die Literatur. Aber er relativiert das Geschehene und bedient damit das Bedürfnis eines Fußvolks, das gern einmal „Deutschland, Deutschland über alles …“grölt und zur Gewalt gegen Ausländer und Andersdenkende bereit ist. Sind wir als Demokratie gefestigt genug, solche Entwicklungen abzuwehren? Über die Fragen „Was war der Nationalsozialismus?“, „Wie ist er geschichtlich einzuordnen?“wird heute insgesamt sehr viel vernünftiger geredet als vor 40 Jahren. Was an Information geleistet wurde und wird, ist stark und vielfältig. Gegen eine Mauer aus Vorurteilen und gewollter Ignoranz ist aber kein aufklärerisches Gras gewachsen. Warum ist es unerlässlich, sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen? Wir müssen den Nationalsozialis- mus als massengestützte Gewaltherrschaft begreifen, an der sich die große Mehrheit der Deutschen aktiv, teilweise sympathisierend oder passiv beteiligt hat. „Die Nationalsozialisten“, wie man heute sehr distanzierend zu sagen pflegt, kamen nicht vom Mars, sondern aus der Mitte der deutschen Gesellschaft. Auf dieser sehr breiten Basis begingen Deutsche beispiellose Verbrechen. In Ihrem Buch „Europa gegen die Juden, 1880 - 1945“beschreiben Sie den neuzeitlichen Antisemitismus als grenzüberschreitendes Phänomen, geschürt von Nationalismus, Krisen, Umbrüchen, Sozialneid. All diese Erscheinungen treten heute wieder auf, nicht zuletzt in Europa. Ist das ein Nährboden für den Antisemitismus der Gegenwart? Zweifellos. Dieser Antisemitismus gehört zu jenem alten und neuen Antiliberalismus, der in unterschiedlicher – rechter und linker, antikapitalistischer und protektionistischer – politischer Gestalt seine Anhängerschaften magnetisiert. Was ist Ihrer Meinung nach zu tun? Wir müssen uns damit auseinandersetzen und unser verfassungsrechtliches Gefüge, die Prinzipien eines demokratischen, weltanschaulich und religiös neutralen Rechtsstaats offensiv verteidigen und festigen. Wir müssen zu neuer Klarheit finden und dürfen uns nicht in Nebenthemen verlieren. Wie lassen sich antisemitische Übergriffe und Straftaten eindämmen? Die Sanktionen für rassistisch, religiös oder politisch motivierte Übergriffe und Straftaten sollten verschärft und die Grenzen sehr deutlich gezogen werden. Im Fall von Mitbürgern nichtdeutscher Staatsangehörigkeit sollte antisemitisches Verhalten ein Ausweisungsgrund sein. Wir müssen dahin kommen, dass sich Juden in Deutschland frei und unbehelligt bewegen und ihre Besonderheiten pflegen können. Davon sind wir schändlich weit entfernt.