Apokalypse im Ries
Bei Nördlingen wurde im September 1634 eine der blutigsten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges geschlagen
NÖRDLINGEN - Die Szenerie beim Besuch auf dem Albuch im Süden des Nördlinger Rieses ist düster. Sturmböen treiben Regenwolken über den Höhenrücken, der zufälligerweise ebenso heißt wie eine nahe, bekannte Region der Schwäbischen Alb. Niemand sonst ist an diesem unwirtlichen Nachmittag dort oben zwischen den mageren Grasflächen, dem Gebüsch und einigen Jurafelsen unterwegs. Erste Tropfen fallen. Der Wind rauscht in den Ohren, unterdrückt alle sonstigen Geräusche. In dieser Atmosphäre fällt es einem leicht, die Augen zu schließen, um sich in eine ferne Vergangenheit zurückzudenken: an zwei Tage im September im Jahr 1634, den 5. und 6. des Monats.
Es ist keine schöne Vergangenheit, die man da im Geiste lebendig werden lassen kann. Trommelschlag ertönt, Kanonen donnern, Musketen knattern. Pulverschwaden ziehen über den Albuch. Das Kopfkino wird präziser. Rundherum Infanteriekolonnen. Fußsoldaten fällen ihre Spieße, rammen sie in die Gegner. Dazwischen preschen Säbel schwingende Reiter vor. Schlachtrufe gellen – zeittypisch mit religiösem Bezug: „Jesus Maria“die einen, „Gott mit uns“die anderen. Fahnen werden hochgehalten – oder fallen. Verwundete, Sterbende schreien sich die Seele aus dem Leib. Das Blut färbt die Acker- krume rot. Eine Apokalypse. Sie geht als Schlacht bei Nördlingen in die Geschichte ein.
Ein katholisches Heer aus kaiserlichen, spanischen und bayerischen Einheiten stand gegen schwedisch-protestantische Truppen. Ihr Aufeinandertreffen war ein entscheidendes Gemetzel des von 1618 bis 1648 tobenden Dreißigjährigen Kriegs – und eines der blutigsten. Die Zahl der Toten lag bei mehr als 10 000 Mann. Insgesamt nahmen zwischen 65 000 und 75 000 Kämpfer an der Schlacht teil.
Zentrum des Ringens wurde der Albuch. Jüngst hat dazu der renommierte Wissenschaftler Herfried Münkler in einem Werk über den Dreißigjährigen Krieg geschrieben, den Gegnern sei klar gewesen: Die Anhöhe „dominierte die anderen Hügel, und wer hier seine Kanonen in Stellung brachte, dominierte das Schlachtfeld“.
An die herausragende Position erinnert seit 1896 ein gemauerter Obelisk. Zuerst schafften es kaiserlichspanische Soldaten auf die Kuppe. Sie bauten Feldbefestigungen. Wer einen Blick dafür hat, sieht noch heute daraus resultierende Bodenwellen im Gelände. Diese Schanzen versuchten die Schweden am zweiten Tag der Schlacht zu stürmen. Sie traten in Hürnheim an. Feuer fraß die in Brand geschossenen Bauernhütten des Dorfes. Von dort aus mussten die Angreifer über weite Hänge den Albuch hochrücken. Schwerbewaffnet, mit Helm und teilweise auch mit Brustpanzer ausgerüstet, mühten sich die Soldaten unter Beschuss hinauf zu den kaiserlich-spanischen Stellungen. „Gut 15-mal rennen sie an“, heißt es in einer Überlieferung. „... und ist dem Feind aus unseren Geschützen sehr großer Schaden zugefügt worden ...“, lautet der Bericht aus dem kaiserlichen Hauptquartier.
Kommt heutzutage ein Besucher im Frühjahr zum Albuch hoch, blühen am Fuß der Schanzenreste Löwenzahn samt Schlehenbüschen. Vor knapp vier Jahrhunderten lagen an diesem Konfrontationspunkt wohl zahllose Leichen und Pferdekadaver. Die toten Soldaten mussten nach der Schlacht von Bauern der Umgebung in Massengräbern verscharrt werden. Gefunden wurde noch keines. Interessanterweise heißt aber ein nahes Flurstück „Totenland“. Auch existiert ein Gewann namens „Polenschlachtwiese“. Heere aus Söldnern Begraben wurden nebeneinander nicht nur Freund und Feind, sondern vielerlei Nationalitäten. Die Heere bestanden vor allem aus Söldnern. Ein paar Heller und die Aussicht auf Beute waren genug Motivation, sich rekrutieren zu lassen. „... kämpfen wir so weit die Erde, mal für dies und mal für das“, heißt es in einem zeitgenössischen Landsknechtslied. So fochten auf schwedischer Seite nur wenige wirkliche Schweden, dafür vor allem Deutsche, aber auch Finnen, Polen und Schotten. Die vereinte katholische Armee hatte neben Söldnern aus dem Reich und aus Spanien gefürchtete kroatische Reiter sowie Italiener mit dabei.
Dass ihnen allen zusammen das südliche Nördlinger Ries zum Schicksal werden sollte, hatte mit der militärischen Großwetterlage 1634 zu tun. Noch beherrschten die Schweden und ihre Verbündeten weite Teile Süddeutschlands. Von Osten her rückte jedoch die Partei des Kaisers heran. Aus dem Süden kamen leicht verspätet verbündete Truppen des spanischen Königs. Die beiden katholischen Monarchen waren verwandte Habsburger. Nominell führten deren Söhne Ferdinand König von Ungarn und Ferdinand von Spanien die Armeen. Ihre strategische Idee bestand in der Kontrolle einer wichtigen Heerstraße. Hierfür musste Nördlingen fallen. Damit sollte das Tor für einen Angriff auf das protestantische Württemberg und den Rhein aufgestoßen werden.
Nördlingen, damals eine gut befestigte freie Reichsstadt, hatte nicht nur eine reformierte Bürgerschaft, sondern auch eine schwedische Garnison in ihren Mauern. In der Stadt wurde beschlossen, den katholischen Heerscharen Widerstand zu leisten. Daraufhin begannen diese am 18. August mit der Belagerung. Ihre Kanoniere schossen die Mauern sturmreif. Die schwedisch-protestantischen Anführer, Feldmarschall Gustaf Horn und Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar, wollten den Gegner schlagen, bevor dessen spanische Verstärkung eintraf, und Nördlingen von der kaiserlichen Belagerung befreien. Der ungestüme Herzog Bernhard beschwor dieses Ziel „bei seiner fürstlichen Ehre, bei Treu und Glauben“.
Am 23. August lagerte die schwedisch-protestantische Armee bei Bopfingen, zwölf Kilometer westlich der bedrängten Reichsstadt. Vorerst waren es 20 000 Mann. Vom Albuch aus ist Bopfingens Hausberg, der markante Ipf, gut zu sehen. Ebenso lässt sich die schwedische Marschstrecke bis zum Schlachtfeld erahnen. Sie verlief hinter einer bewaldeten Hügelkette, weshalb den Kaiserlichen die Sicht auf den vorrückenden Gegner verstellt war. Am Nachmittag des 5. Septembers tauchten überraschend Schweden bei ihren Vorposten auf. Alarm wurde gegeben. Die Schlacht begann. Ein Ringen bis in die Nacht Ungestüm attackierten schwedischprotestantische Truppen. Die Kaiserlichen mussten Gelände aufgeben. Bis in die Nacht hinein dauerte das Ringen an. Die schwedische Streitmacht war inzwischen auf gut 25 000 Mann verstärkt worden. Speziell ihr Herzog Bernhard als Kommandeur der Angriffsspitze sah den Sieg greifbar nahe. Auf der katholisch-kaiserlichen Seite waren aber einen Tag vor der Schlacht die Spanier eingetroffen. Der Herzog unterschätzte deren Zahl entscheidend. Ein schwerer Fehler. Denn so war das Heer der Gegenseite auf 40 000 bis 50 000 Kämpfer angewachsen.
Am nächsten Morgen wollten die Schweden die Entscheidung erzwingen. Im Bericht aus dem kaiserlichen Hauptquartier wird der Kampfgeist der Angreifer gewürdigt: „Des Feindes Heer und besonders seine Reiterei haben gehalten wie eine Mauer, als seien sie des Fliehens oder Weichens nicht gewohnt.“Noch in der Früh gelang den Schweden sogar die Einnahme der mittleren AlbuchSchanze. Dann flog darin aber ein Pulverwagen in die Luft. Die entstehende Verwirrung nutzten spanische
„Die Spanischen haben uns großen Schaden getan, ... haben alles niedergemacht.“Der schwedische Söldner Peter Hagendorf
Einheiten und eroberten die Schanze zurück.
Fortan gerieten die Schweden überall auf dem Schlachtfeld unter Druck. Die katholische Truppenüberlegenheit machte sich bemerkbar. Der schwedische Söldner Peter Hagendorf schrieb in sein Tagebuch: „Die Spanischen haben uns großen Schaden getan, denn auf diesen Tag ist die ganze schwedische Armee geschlagen worden, zu Fuß und zu Pferde, die Spanischen haben alles niedergemacht.“Die Niederlage der Schweden war komplett – auch das belagerte Nördlingen musste sich der katholischen Seite ergeben.
Abgesehen von den Schanzen finden sich noch weitere Spuren der Schlacht – im Boden. Bauern ackern alte Kanonenkugeln hervor, verrostete Schwerter, Sporen oder Rüstungsteile. Bemerkenswert sind die Funde von kleinen Tonkugeln: Munition für schwedische Musketen. Sie waren offenbar ein billiger Ersatz für die teuren Bleiprojektile, was daraufhin deutet, dass die Schweden mit ihren Finanzen und ihrer Ausrüstung am Ende waren. Tonkugeln konnten keine Rüstungen durchschlagen. Wohl ein weiterer Grund für die Niederlage.
Während man auf dem Albuch über das blutige Ereignis sinniert, treibt der Wind weitere dunkle Wolken heran. Sie kommen von Westen – wie seinerzeit die schwedischen Angreifer. Besser schnell den Hang hinunter zum Auto, bevor der Regen richtig anfängt. Spätestens als der Motor anspringt, hat einen die Gegenwart wieder. Auf dem Albuch zurück bleiben die Geister der Toten – sollte es so etwas geben.