Hoffmeister-Kraut warnt vor Exodus bei Medizintechnikern
Neue EU-Verordnungen könnten das Aus für viele Firmen bedeuten – Wirtschaftsministerin fordert Erleichterungen
RAVENSBURG/TUTTLINGEN - Die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut schlägt Alarm: Wenn es keine Verlängerung der Übergangsfristen bei der umstrittenen EU-Medizinprodukteverordnung gibt, droht der überwiegend klein- und mittelständisch geprägten Industrie im Südwesten ein Firmensterben. „Bereits jetzt werden nach unseren Beobachtungen Neuentwicklungen massiv zurückgefahren. Wir fürchten eine erhebliche Marktbereinigung gerade bei den kleinen und mittleren Unternehmen“, sagte Hoffmeister-Kraut im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“.
Mit der Medizinprodukteverordnung und der Verordnung für In-Vitro-Diagnostika, die seit dem 26. Mai 2017 in Kraft sind, sind die Anforderungen bei der Zulassung von Medizinprodukten in der EU deutlich verschärft worden. Als Auslöser gilt der Skandal um Brustimplantate aus billigem Industriesilikon der französischen Firma Poly Implant Prothèse (PIP) vor acht Jahren. Um ähnliche Fälle künftig zu vermeiden, hat die EU mit einem neuen Gesetz reagiert: Wer jetzt ein neues Pflaster, ein Skalpell, Implantate oder Herzschrittmacher auf den Markt bringen will, muss ein deutlich aufwendigeres Prozedere durchlaufen. Ziel ist es, die Patientensicherheit zu erhöhen.
Was gut gemeint war, hat sich aus Sicht der Medizintechnikfirmen aber zu einem Moloch entwickelt. „Die beiden EU-Verordnungen bedeuten einen erheblichen finanziellen und personellen Mehraufwand, der teilweise existenzgefährdend sein kann“, warnte HoffmeisterKraut. „Für viele Nischenprodukte dürfte es sich nicht mehr rechnen, diese auf den Markt zu bringen“, so die Ministerin. Oettinger soll helfen Wie die „Schwäbische Zeitung“aus Ministeriumskreisen erfahren hat, hat sich Hoffmeister-Kraut in der Sache deshalb an EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger gewandt. Der soll sich für eine Verlängerung der Übergangsfristen über den Mai 2020 hinaus in Brüssel stark machen. Als Gründe nannte HoffmeisterKraut Engpässe bei den Prüfinstituten und fehlende Fachkräfte, etwa im Bereich Qualitätsmanagement.
Darüber hinaus forderte die CDUPolitikerin den Aufbau eines Beratungsund Informationssystems für Zulassungs- und Erstattungsverfahren bei Medizinprodukten und Unterstützung für einen besseren Zugang zur klinischen Erprobung neuer Medizinprodukte. Die Problematik, sagte eine Sprecherin von Hoffmeister-Kraut am Dienstag, sei auch Thema beim „Forum Gesundheitsstandort BW“, das am 12. Juli vom Staatsministerium ins Leben gerufen wird.
Nach Schätzungen der Branchenvertretung Medical Mountains aus Tuttlingen laufen bis zu 40 Prozent der kleinen und mittleren Medizintechnikfirmen Gefahr, aufgeben zu müssen.
Uli Kammerer, Chef von Weber Instruments aus Emmingen-Liptingen (Landkreis Tuttlingen), einem mittelständischen Unternehmen, das Instrumente zum Einbau von Implantaten herstellt, glaubt, dass eine Verlängerung der Übergangsfristen hilfreich sei. Langfristig hält der Unternehmer eine Marktbereinigung aber für wahrscheinlich. „Medizintechnikfirmen mit zehn bis 20 Mitarbeitern haben keine Zukunft mehr“, so Kammerer, der durchaus kritisch mit seiner Branche ins Gericht geht. Viele Medizintechnikfirmen hätten die schärfere Regulierung viel zu lange auf die leichte Schulter genommen und gehofft, dass „der Kelch an ihnen vorübergeht“. Nun sind die strengeren Anforderungen Gesetz.