Neymar, die teuerste Nervensäge der Welt
Wieso der Brasilianer, trotz aller Stärken, wohl nie Ronaldo und Messi überflügeln wird
SAMARA (dpa/SID/coko) - Es war bereits 22.28 Uhr, als Neymar endlich aus der Kabine kam. Mit dem Pokal für den besten Spieler der Partie unter dem Arm schlenderte Brasiliens Superstar durch die Mixed Zone. Seit dem Schlusspfiff des WMAchtelfinales gegen Mexiko waren bereits zweieinhalb Stunden vergangen. Neymar hatte der Begegnung beim 2:0 wieder einmal seinen Stempel aufgedrückt. Doch erneut hatte er sich dabei nicht auf sein riesiges fußballerisches Vermögen beschränkt, sondern durch Schauspieleinlagen und Provokationen mindestens die halbe Fußballwelt gegen sich aufgebracht.
Warum macht er das? Wieso hat es ein Spieler, der zu den zwei, drei besten Fußballern auf diesem Planeten gehört, nötig, sich immer wieder voller Theatralik auf dem Rasen zu wälzen? Warum fällt er bei jeder noch so kleinen Berührung zu Boden und krümmt sich danach so lange, dass man befürchten muss, sein Karriereende sei nah? Neymar bleibt mit seiner Art ein Rätsel, auflösen mochte er es auch am Montag in Samara nicht. Wortlos schritt er durch die Katakomben zum Bus und verschwand in der russischen Nacht. „Es hat schon sehr wehgetan“Auf der Pressekonferenz war er den Fragen, auch mit Hilfe von Coach Tite, noch ausgewichen, die sich überwiegend um diese eine Szene Mitte der zweiten Halbzeit drehten. Da war ihm der Mexikaner Miguel Layun unmittelbar vor der brasilianischen Bank leicht auf den Knöchel getreten, obwohl die Partie unterbrochen war. Eine unnötige Aktion, die auch die Rote Karte hätte nach sich ziehen können. Doch da Neymar sich trotz der nur geringen Berührung krümmte und drehte und wälzte, als Neymar also wieder den „Rollkoffer“machte (O-Ton Frankreichs Enfant Terrible der 1990er-Jahre, Eric Cantona) als gebe es kein morgen mehr, verzichtete Schiedsrichter Gianluca Rocchi auf einen Platzverweis.
„Es hat schon sehr weh getan“, sagte der Stürmerstar von Paris Saint-Germain. Mehr wollte er dazu und zu weiteren Szenen, in denen er ebenfalls Schauspieleinlagen reif für den Oscar gezeigt hatte, nicht sagen. Dafür redeten andere. Allen voran Mexikos Trainer Juan Carlos Osorio. Ungefragt attackierte er den Stürmer. „Es ist eine Schande für den Fußball“, sagte Osorio. Layun, dessen Foul erst die Schauspieleinlage ermöglicht hatte, meinte: „Er kümmert sich die ganze Zeit darum, auf dem Boden zu liegen. Wenn er liegen will, soll er nach Hause gehen und sich in sein Bett legen.“Dänemarks Ex-Nationaltorwart Peter Schmeichel sagte als Experte der BBC: „Ich hatte schon Sorge, er stirbt.“
Neymar – der 222-Millionen-Euro-Mann von PSG, dominiert jegliche Debatten über die Seleção.
Trotz seiner Entgleisungen auf und neben dem Fußballplatz könnte Neymar auf dem besten Weg sein, neuer Weltfußballer zu werden. Denn Lionel Messi und Cristiano Ronaldo, die dominierenden Figuren des Weltfußballs der letzten Dekade, mussten bereits schmachvoll die Heimreise antreten. Mit weiteren Spielen im Turnier und vor allem mit einem Weltmeistertitel könnte Neymar die beiden Superstars übertrumpfen. Deren Klasse wird er aber freilich nie erreichen, wenn er sich kein anderes Hobby als die Schauspielerei, Fachgebiet „sterbender Schwan“, aussucht. So nämlich ist Neymar nicht nur der teuerste Spieler, sondern vor allem die teuerste Nervensäge der Welt.
Kritik erntete Neymar auch schon für ein Foto, das er im März auf Twitter teilte und mit dem er, im Rollstuhl sitzend und nur mit einer Badehose bekleidet, den verstorbenen Wissenschaftler Stephen Hawking und dessen Behinderung imitierte. Dazu stellte der damals verletzte Neymar Hawkings Zitat: „Man muss eine positive Einstellung haben und das Beste aus der Situation machen, in der man sich befindet.“Sogar den Tod eines anderen auf sich selbst zu beziehen, das schaffen auch nicht viele.