Erdogans Inthronisierung in Ankara
Vereidigung als Staatschef läutet Beginn des Präsidialsystems in der Türkei ein – Schröder vertritt Deutschland
ISTANBUL - Schon in den ersten Minuten der türkischen Präsidialrepublik am Montagnachmittag wurde im Parlament von Ankara für alle sichtbar, wie tief gespalten das Land ist. Als Recep Tayyip Erdogan das Plenum betrat, um den Amtseid abzulegen, erhoben sich die Abgeordneten seiner Regierungspartei AKP und der verbündeten Rechtspartei MHP. Die Parlamentarier der Opposition blieben dagegen demonstrativ sitzen und rührten keine Hand zum Applaus. Erdogan mag ab sofort als Präsident eine große Machtfülle besitzen – doch er hat nur gut die Hälfte des Landes auf seiner Seite. 10 000 Gäste im Palast Die Regierung inszenierte die Vereidigung mit großem Pomp. Bei Erdogans Fahrt vom Präsidentenpalast zum Parlament vor dem Amtseid warfen Zuschauer Rosenblätter auf das Fahrzeug des Staatschefs. Zum abendlichen Empfang wurden rund 10 000 Gäste in Erdogans Palast erwartet, darunter rund 50 Staats- und Regierungschefs sowie andere ranghohe Politiker aus dem Ausland, aber auch türkische Normalbürger wie Bergleute, Ärzte oder Lehrer.
Mit der Vereidigung in Ankara beginne die zweite Türkische Republik, schrieb der angesehene Kommentator Murat Yetkin. Fast ein Jahrhundert nach Gründung der modernen Türkei durch Mustafa Kemal Atatürk im Jahr 1923 wird die Macht in Ankara neu verteilt. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft, das Parlament büßt viele Befugnisse ein. Erdogan kann ab sofort schalten und walten, wie er will.
Das wird auch dann gelten, wenn der seit dem Putschversuch von 2016 bestehende Ausnahmezustand kommende Woche ausläuft. Erdogan kann in seinem neu gestärkten Amt mindestens bis zur nächsten Wahl im Jahr 2023 auch ohne Ausnahmezustand per Dekret regieren und Minister oder Beamte entlassen, ohne die Erlaubnis des Parlaments einholen zu müssen. Laut Medienberichten ist zudem eine Verschärfung der Terrorgesetze möglich.
Deutschland wurde bei der Feier von Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder vertreten, einem persönlichen Freund von Erdogan, der als Mittelsmann zwischen der Bundesregierung und der Führung in Ankara fungiert – einen aktiven Regierungspolitiker wollte Berlin nicht entsenden, weil dies als Beifall für Erdogans autokratischen Regierungsstil hätte verstanden werden können. Orbán und Maduro sind dabei Auch andere westliche Staaten hielten sich zurück; einziger aktiver EURegierungschef bei der Zeremonie war der ungarische Premier Viktor Orbán. Die Gästeliste umfasste auch den wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gesuchten sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir und Venezuelas Staatschef Nicolas Maduro.
Erdogans Regierung steht insbesondere in der Wirtschaftspolitik vor schwierigen Herausforderungen. Die Türkische Lira hat seit Jahresbeginn rund 16 Prozent an Wert verloren, die Inflation liegt bei 15 Prozent, das Außenhandelsdefizit wächst. In der Außenpolitik dürften der Krieg in Syrien und die Krise in den Beziehungen der Türkei zu ihren Partnern in Europa und Amerika im Mittelpunkt stehen.