Viel zu beschaulich
Strategiedialog Autoindustrie zieht Zwischenbilanz – Südwesten will konkurrenzfähig bleiben – „Kein großer Wurf“
STUTTGART - 440 000 Arbeitsplätze in Baden-Württemberg hängen von der Autoindustrie ab. Die zu sichern und die Wertschöpfung der Branche im Lande zu halten, sind die Hauptziele des „Strategiedialog Automobilwirtschaft BW“(SDA). Das von Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) initiierte Bündnis von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ist auf sieben Jahre ausgelegt und soll dem Südwesten nichts weniger als die Spitzenposition in der Automobilindustrie und im Bereich neue Mobilität sichern. Über das erste Jahr des Projekts hat Kretschmann nun am Freitag in Stuttgart informiert.
„Wir haben strukturiert, Visionen entwickelt, Schwerpunkte identifiziert und erste Projekte festgelegt“, fasste Kretschmann zusammen, was seit Mai 2017 passiert ist. Dass bislang wenig Konkretes herausgekommen ist, sei bei einem so langfristigen und komplexen Projekt naturgemäß, so der Grünen-Politiker, aber „jetzt wollen wir die PS auf die Straße bringen“. Die Mobilität der Zukunft soll emissionsfrei, unfallfrei und stressfrei sein, sagte Kretschmann. Und vor allem: „Sie ist auch sexy.“
Rund 24 Millionen Euro sollen erst einmal investiert werden, um die für das Land so wichtige Branche fit für die Zukunft zu machen. Für knapp vier Millionen Euro soll ein Technologie-Kalender, eine Kfz-Lernwerkstatt und Demonstrationsprojekte entstehen. Zusammengefasst sollen diese Projekte besonders kleinen und mittelständischen Unternehmen Orientierung in Sachen Elektrifizierung, Digitalisierung und Vernetzung geben und helfen, sich innerhalb der Wertschöpfungskette – von der Forschung über die Fertigung bis hin zum Handel und Dienstleistungen – zu positionieren und den Wissenstransfer im Bereich neuer Technologien zu beschleunigen.
„Die drei Projekte scheinen nicht der große Wurf zu sein“, sagt Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research (CAR) an der Universität Essen auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Eher akademisch und beschaulich nennt sie der Automobilexperte. Auch die von Kretschmann genannten Leuchtturmprojekte – immerhin 20 Millionen Euro an Investitionen sind dafür eingeplant – kommen bei Dudenhöffer nicht gut weg. Sowohl die Ansiedelung einer Zellenproduktion für Batterien als auch die Einrichtung einer europäischen Prüfstelle für Batterien und Energiespeicher in BadenWürttemberg seien „sehr unkonkret“und wenig mehr als eine „Absichtserklärung“. Denn Bosch habe die Zellenproduktion abgelehnt, Daimler seine Produktion im sächsischen Kamenz wieder eingestellt. Die Herstellung von Zellen, die in Batterien zusammengeschlossen werden, gilt als Schlüsseltechnologie für den Bereich der Elektromobilität und macht rund 40 Prozent der Wertschöpfung aus. „Das Spiel neu starten“Daimler-Chef Dieter Zetsche, der den Strategiedialog als „konstruktiv“lobte, sagte dazu, man wolle bei der zweiten Generation der Technologie von Zellen das „Spiel neu starten. Wer als Erster eine industrielle Umsetzung schafft, ist noch offen.“Dabei wäre der Batteriezellenhersteller Varta in Ellwangen dazu in der Lage und bereit, wie der Landtagsabgeordnete Winfried Mack (CDU) im März der „Schwäbischen Zeitung“berichtete. Demnach planen Bund und Land 58 Millionen Euro zu investieren, damit Varta in einem Forschungsprojekt zusammen mit dem Fraunhofer-Institut die Grundlage für die Massenproduktion von Batteriezellen legt. Von den Fördergeldern ist allerdings bislang noch nichts auf die Ostalb geflossen.
Kritik kam auch von der Opposition. Der SPD-Landtagsfraktionschef Andreas Stoch sagte auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“: „Die Landesregierung muss ihren Fokus darauf richten, wie Arbeitsplätze im Land gesichert werden können und was getan werden muss, um die Beschäftigten im Transformationsprozess mitzunehmen. Allein Hochglanzbilder mit den Chefs der Automobilfirmen lösen das Problem nicht.“Neben Zetsche waren Porsche-Chef Oliver Blume und BoschChef Volkmar Denner sowie EnBWChef Frank Mastiaux beim Strategiedialog mit dabei. Der Chef des Energieversorgers bat um „Partner im Ausbau der Ladeinfrastruktur im Land. Alleine können wir das nicht.“
Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG-Metall Baden-Württemberg, mahnte ebenfalls, die Sicherung von Arbeitsplätzen vorrangig zu verfolgen. Denn viele davon würden sich in den kommenden Jahren stark verändern. Darauf müsse man vorbereiten. Auch er sprach von der Wichtigkeit einer Zellenproduktion in BadenWürttemberg: „Es kann nicht sein, dass die Chinesen hierherkommen und uns zeigen, wie das geht“, wetterte der Gewerkschafter. Damit spielte er auf das chinesische Unternehmen CATL an, das angekündigt hat, in Thüringen eine Zellenproduktion aufzubauen. „Das freut uns natürlich nicht“, sagte Kretschmann dazu, gab sich aber trotzdem optimistisch, dass die eigenen Pläne gelingen werden.
Doch die greifen viel zu kurz, meint jedenfalls Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer: „Es erscheint alles ein wenig um den Kirchturm gestrickt.“Besser wäre eine bundesweite oder gar internationale Ausrichtung der Projekte. „Schön und interessant wären etwa Partnerschaften mit China oder CATL in Thüringen oder mit Daimler im sächsischen Kamenz“, sagte Dudenhöffer. Auch das Fazit von BUND-Landeschefin Brigitte Dahlbender war eindeutig: „Nicht weitreichend genug.“
Einig waren sich Kritiker und Befürworter allerdings darin, dass der Dialog im Grundsatz zu begrüßen ist. Schließlich entscheidet sich die Zukunft der Autoindustrie in diesen Tagen.