Chance auf ein selbstbestimmtes Leben
In Wohngemeinschaften werden psychisch Kranke unterstützt – Serie Teil 3
TUTTLINGEN - Betroffene, die nach einer psychischen Erkrankung wie zum Beispiel einer Psychose oder Depression eine Chance suchen, ihr Leben wieder eigenverantwortlich und selbstbewusst zu gestalten, finden im „Betreuten Wohnen“des Psychosozialen Förderkeises Tuttlingen die notwendige Unterstützung und Begleitung. In Wohngemeinschaften lernen die Betroffenen wieder eine Struktur in ihren Alltag zu bringen und diesen eigenverantwortlich zu gestalten. Seit 1989 gibt es die Wohngemeinschaften. Zusätzlich gibt es seit 1995 das ambulant betreute Einzelwohnen, hier leben die Menschen in ihren eigenen Wohnungen und werden von Sozialarbeitern besucht und unterstützt.
„Es ist eine Maßnahme der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetz und wird hauptsächlich vom öffentlichen Träger, dem Landkreis, finanziert“, erklärt Sozialarbeiter Tobias Roming. „Diese Maßnahmen gibt es flächendeckend.“In Tuttlingen gibt es drei Wohngemeinschaften, eine spezielle Frauen-WG mit vier Plätzen, für Frauen, die einen geschützten Rahmen brauchen, sowie zwei gemischte WGs, eine mit neun, die andere mit drei Plätzen. Alle in Stadtnähe, so dass die Bewohner gut am öffentlichen Leben teilnehmen können. Bei Interesse an einer Wohngemeinschaft, und freien Plätzen, wird erst einmal zwei Wochen zur Probe gewohnt. Arbeit ist individuell „Insgesamt betreuen wir im Landkreis durchschnittlich 50 Personen, darunter auch diejenigen, die in ihren eigenen Wohnungen leben und dort begleitet werden“, erklärt Simone Vogler, Sozialarbeiterin. „Dabei arbeiten wir sehr individuell“, bemerkt sie. „Wir richten uns nach den Bedürfnissen unserer Klienten und arbeiten personenzentriert. Unser Ziel ist es, den Menschen mit Wertschätzung auf Augenhöhe zu begegnen, ihnen zu einem geregelten Tagesablauf zu verhelfen, ihr Selbstvertrauen und das Selbstbewusstsein zu stärken.“
Die Sozialarbeiter unterstützen da, wo es notwendig ist; die Klienten entscheiden, an welchen Zielen sie arbeiten möchten. In einem Hilfeplan werden Ziele festgehalten und in regelmäßigen Abständen mit der zuständigen Fachkraft der Eingliederungshilfe besprochen. Ein empathisch, mitfühlendes Interesse an den Bedürfnissen, Gedanken und Gefühlen der Menschen ist eine der Grundvoraussetzungen für die spannende Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen, bemerkt Tobias Roming. „Und ich bin immer wieder beeindruckt, wie sie ihre krisenhaften Lebenslagen gemeistert haben. Eine wichtige Voraussetzung für die Hilfe im Betreuten Wohnen ist, dass sich die Betroffenen auf das Hilfsangebot einlassen – das heißt aktiv nach ihren Möglichkeiten mitarbeiten.“Oft hilft ein Kennenlerngespräch, um Zweifel oder offene Fragen zu klären.“
„Die meisten unserer Klienten sind dankbar. Sie schätzen unsere Art der Unterstützung. Individuelle Betreuung und die Möglichkeit, kreativ arbeiten zu können, machen dieses Arbeitsfeld für mich sehr spannend und attraktiv“, stellt Simone Vogler fest.
Eine Betroffene, Carole Ravaux, berichtet begeistert von der Einrichtung. „Ich war anfangs in einer gemischten Wohngemeinschaft. Inzwischen lebe ich in einer eigenen Wohnung und werde ambulant betreut. Das hat mir geholfen, wieder in den Alltag zurück zu finden. Die Betreuung gibt mir Stabilität, denn ich weiß, wenn irgendetwas ist, wohin ich mich wenden kann“, erzählt sie lachend. „Ich habe wieder eine Tagesstruktur aufgebaut, bin emotional wieder stabil. Ich habe wieder etwas zu tun, habe eine Aufgabe und bin in der Gemeinschaft angekommen. Ich weiß, dass ich nicht allein bin“, erzählt sie und erklärt, dass sie es besonders schätzt, als Mensch behandelt zu werden, nicht als „Nummer“. Telefonieren wird zur Qual Es sind Selbstzweifel, Ängste, Reizüberforderungen, Gedankenüberflutungen, die bei den Betroffenen zum Beispiel schon das Telefonieren zur Qual werden lassen, die das tägliche Leben erschweren. Dazu kommen sehr oft Einsamkeit und ein Verlassenheitsgefühl. „Genau da kommt das Betreute Wohnen mit dem siebenköpfigen Team ins Spiel. Wir wollen, dass unsere Klienten sich als wichtigen Teil der Gemeinschaft erleben können, jenseits der Werte der Leistungsgesellschaft“, betont Tobias Roming.
Dabei kooperieren sie eng mit den unterschiedlichsten Institutionen wie dem Frauenhaus, Phönix, dem Sozialpsychiatrischen Dienst des Landkreises, der Suchtberatung, der Stiftung Liebenau, dem FED, oder der Donauwerkstatt zusammen. Ziel von allen ist es unter anderem, die sogenannte „Drehtür-Psychiatrie“zu vermeiden. „Dies bedeutet Klinikaufenthalt, Entlassung, wieder Klinik, wieder Entlassung – eben eine Situation, die sich unaufhörlich weiter dreht. Durch unsere individuelle, auf den Menschen angepasste Unterstützung, versuchen wir Heim- und Klinikaufenthalte zu vermeiden“, betont Tobias Roming. „Wir haben zum Beispiel Klienten, die kurz vor der Heimaufnahme standen und jetzt im Betreuten Wohnen seit über 15 Jahren nicht mehr in der Klinik waren.“
Es gibt auch ein Sommerprogramm: Dann geht es gemeinsam an den Bodensee, zu Campus Galli, ins Schloss nach Sigmaringen und vielem mehr. Auch ein gemeinsamer Urlaub kann verbracht werden, in diesem Jahr führt die Reise im Herbst mit der Kunsttherapeutin nach Griechenland. Das Team des Betreuten Wohnens möchte Mut machen, bei Interesse am ambulant Betreuten Wohnen ganz einfach und unverbindlich anzurufen: Ansprechpartner ist Tobias Roming, Telefon 07461 / 23 68. Freie Plätze für Wohngemeinschaften können ebenfalls abgefragt werden.