Dünner Mann, dünner Film
Sylvain Whites Film „Slender Man“lässt das Potenzial der Vorlage ungenutzt
Nichts ist so alt wie die Internet-Sensation vom letzten Jahr. Beim „Slender Man“liegt die große Aufregung sogar noch ein ganzes Stück länger zurück, schließlich erblickte das bedrohliche Wesen ohne Gesicht bereits im Juni 2009 das Licht der virtuellen Welt. Geschaffen wurde es von Erik Knudsen unter dem Pseudonym Victor Surge – als Einreichung für einen FotoshopWettbewerb. Verbunden waren die Bilder mit kurzen Andeutungen, wonach der „Slender Man“oft wie aus dem Nichts auftauche und es wohl vor allem auf Kinder abgesehen habe.
Wie so oft entwickelte die Geschichte darauf ein Eigenleben als sogenannte Creepypasta, also gruselige Bilder und vermeintliche Legenden, die im Internet zirkulieren. Es entstanden weitere Bildmontagen, Texte, Videos und ein durchaus atmosphärisches Videospiel. Allerdings schien der Mythos gerade auf sehr junge Internetnutzer eine teils unheilvolle Faszination auszuüben, was darin gipfelte, dass vor vier Jahren ein zwölfjähriges Mädchen mit dem Messer auf ihre gleichaltrige Freundin einstach. Begründung: Der „Slender Man“habe es ihr befohlen.
Der nun erschienene Film zum Thema widmet sich aber nicht den realen Vorkommnissen (dazu gibt es bereits eine Dokumentation „Beware the Slender Man“), sondern versucht, den zugrunde liegenden Mythos weiterzuspinnen. Allzu viel ist dem französischen Regisseur Sylvain White („Ich werde immer wissen, was du letzten Sommer getan hast“) dabei allerdings leider nicht eingefallen. Zudem gab es Unstimmigkeiten mit dem Filmstudio, das wohl Angst hatte, dass der Film angesichts der tragischen Ereignisse als geschmacklos empfunden werde. In der Folge ließ man die ursprüngliche Fassung schneiden, was in weniger Gewalt resultierte, wohl aber auch einen Grund für die teils arg abrupten Szenenwechsel darstellt.
All diese Vorgeschichten sind deutlich spannender als die eigentliche Filmhandlung, denn die ist schnell erzählt: Vier Schulfreundinnen – Hallie (Julia Goldani Telles), Wren (Joey King), Chloe (Jaz Sinclair) und Katie (Annalise Basso) – beschwören eines Abends aus Langeweile den „Slender Man“. Dazu sehen sie sich ein unheimliches Video an. Aus dem zunächst harmlos erscheinenden Grusel-Spaß wird aber schnell bitterer Ernst, als kurz darauf Katie vermisst wird. Sie beschließen darauf, im Wald wertvolle Sachen zu opfern, um die Freundin zu retten – was erwartungsgemäß schiefgeht und den dünnen Mann mit den langen Tentakeln (Javier Botet) nun erst recht auf den Plan ruft.
Regisseur White hat wohl eine zeitgemäße Mischung aus „Blair Witch Project“und den „The Ring“Horrorfilmen um eine tödliche Videokassette angestrebt. An Letztere erinnern immerhin einige verstörende Bilder, über weite Strecken lässt der Film aber das Potenzial der Vorlage ungenutzt und versucht, allein mit brachialen Klängen gelegentlich Unbehagen aufkommen zu lassen. Manche Dinge lässt man eben am besten ruhen – und dieser InternetMythos gehört mittlerweile sicherlich dazu. Slender Man. Regie: Sylvain White. USA 2018. 93 Minuten. Mit Joey King, Julia Goldani Telles, Jaz Sinclair.