Koalitionsspitzen betonen Willen zur Harmonie
CDU, CSU und SPD liegen bei Rente und Flüchtlingspolitik auseinander, doch im Moment sucht niemand Streit
BERLIN - „Wir sind auf einem wirklich guten Weg“, sagt Kanzlerin Angela Merkel am Sonntagabend. „Wir werden sehr, sehr viele Entscheidungen Woche für Woche auch fällen können“, kündigt sie im Sommerinterview der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ein maximales Regierungstempo für die zweite Jahreshälfte an. Von Koalitionskrach mit der CSU will Merkel zum Abschluss der Sommerpause nichts mehr wissen. Jetzt wird geliefert, so ihre Botschaft.
Tag der offenen Tür der Bundesregierung: Ministerinnen, Minister und die Kanzlerin präsentieren sich am Sonntag dem Volk. Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wird auf einer öffentlichen Pressekonferenz nach den Ergebnissen seines Gipfels mit der Regierungschefin und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am Vorabend gefragt. „Es gab Cordon bleu und Pommes frites“, sagt Scholz mit verschmitztem Lächeln. „Es schmeckte gut.“Aber Ergebnisse, Fortschritte im Streit über Renten, geringere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung oder den Schutz von Mietern? Fehlanzeige. Erst die Selfies, dann die Arbeit Das Kabinett geht auf Tuchfühlung mit den Bürgerinnen und Bürgern. Merkel plaudert im Kanzleramt mit Besuchern, steht für Selfies bereit. Es ist der letzte Wohlfühltermin vor der Rückkehr zum politischen Tagesgeschäft. Schon bald wird sich zeigen, ob der Burgfrieden in der Union nach dem harten Streit über die Zurückweisung von Flüchtlingen an den Grenzen hält.
Wie Merkel gibt sich auch Seehofer optimistisch: „Woche für Woche“werde die GroKo jetzt liefern, sagt er im Sommerinterview der ZDF-Sendung „Berlin Direkt“. Wichtige Entscheidungen von der Rente über die Mietpreisbremse bis zum Fachkräftezuwanderungsgesetz würden getroffen. Merkel und Seehofer spielen in ihren Sommerinterviews plötzlich über Bande, statt sich zu duellieren.
Vor einer Woche hatten die Genossen die Union mit einer Rentenoffensive überrumpelt. Sie fordern ein stabiles Niveau bis 2040, was weit über die Koalitionsvereinbarungen hinausgeht. Das verärgert CDU und CSU. Kanzlerin Merkel ermahnt den Koalitionspartner: „Bitte keine Unsicherheit schüren, das ist meine Anforderung an die SPD.“ Rentenpaket in Arbeit Finanzminister Scholz verteidigt seinen Vorstoß. Schon in der Vergangenheit sei viel für stabile Renten getan worden. „Deshalb kann man auch gucken, wie kriegen wir den Rest jetzt hin“, sagt er. „Das ist eine überschaubare und lösbare Sache.“
Der Konflikt überlagert die Arbeit an einem Rentenpaket, das die Ausweitung der Mütterrente, eine höhere Erwerbsminderungsrente und ein stabiles Rentenniveau zunächst bis 2025 vorsieht. CDU und CSU machen ihr Einverständnis von einer deutlicheren Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung abhängig. Dagegen sträubt sich die SPD. Seibert kündigt Einigung an Also gibt es doch Ärger? Regierungssprecher Steffen Seibert winkt ab: „In Kürze“werde es eine Einigung geben. Am Dienstag wollen sich Merkel, die zuständigen Minister und die Fraktionschefs der Koalitionsparteien an einen Tisch setzen. Auch Seehofer will von neuen Konflikten nichts wissen. Zwischen ihm, Merkel und Scholz habe es am Samstagabend „nicht den Hauch eines Streites“gegeben, sagt der CSUChef. Und Merkel betont: Vor Entscheidungen über Rentenpaket und Arbeitslosenversicherung müssten die Fraktionsspitzen einbezogen werden.
Trotz der öffentlich gezeigten Harmonie ziehen CDU, CSU und SPD bei vielen Herausforderungen keinesfalls an einem Strang. Auch innerhalb der Union treten wieder Risse auf, vor allem mit Blick auf ein Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber, die einen Job haben („Spurwechsel“). Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans von der CDU schlägt sich am Sonntag auf die Seite der SPD, die Flüchtlinge, die schon im Land sind und die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden, nicht zurückschicken will. „Wer bis zu einem Stichtag nach Deutschland gekommen ist und wie andere ausländische Bewerber die Kriterien des Einwanderungsgesetzes erfüllt, der sollte hier bleiben dürfen“, sagt Hans.
Das freut die Genossen. „Die Union wird sich bewegen und am Ende der Stichtagsregel zustimmen“, sagt SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel am Sonntag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Bei Unternehmen oder im Handwerk habe „niemand Verständnis für die Realitätsverweigerung von CDU und CSU“. Der CSU kommt die „Spurwechsel“-Debatte ungelegen. Vor der bayerischen Landtagswahl will sie den Eindruck vermeiden, es würden mehr Flüchtlinge im Land bleiben. Seehofer bekräftigte daher schon einmal seinen Widerstand. Debatte über Dienstpflicht Für Unmut bei den Sozialdemokraten sorgte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer mit ihrem Ruf nach einem sozialen Jahr für Flüchtlinge. „Wenn Flüchtlinge ein solches Jahr absolvieren, freiwillig oder verpflichtend, dient das der Integration in Staat und Gesellschaft“, findet Kramp-Karrenbauer. Das werde auch die Akzeptanz von Flüchtlingen in der deutschen Bevölkerung erhöhen. „Der bizarre Ruf nach einer Dienstpflicht für Flüchtlinge offenbart lediglich, dass es die Union nicht erträgt, wenn zwei Wochen lang nicht über das Thema Asyl gesprochen wird“, entgegnet Schäfer-Gümbel. „Die CDU ist von der Rolle.“