Nicht alle Stellen sind besetzt
Ausbildungsstart: Unternehmen hatten zum Teil Probleme, Azubis zu finden.
TUTTLINGEN - Ab September beginnt für viele junge Menschen im Landkreis zum ersten Mal der Berufsalltag. Dann startet das neue Ausbildungsjahr. Für die Betriebe ist es schwer, ihre Stellen mit geeigneten Bewerbern zu besetzen. Rund 500 Stellen bleiben laut Agentur für Arbeit im Kreis Tuttlingen voraussichtlich unbesetzt (wir berichteten). Unsere Zeitung hat in der Region nachgefragt.
Bei Chiron arbeiten aktuell 98 Auszubildende. Zum Start des neuen Ausbildungsjahres beginnen 34 junge Frauen und Männer ihre Lehre. „Wir haben alle Stellen gut besetzen können, wenngleich die Bewerberzahlen je nach Beruf unterschiedlich ausfallen“, sagt Melanie Buschle, Sprecherin von Chiron. Der Elektronik-Bereich sei eher schwach. Es habe relativ wenig Bewerbungen für die sechs Stellen gegeben. „Doch wir konnten alle besetzen“, so Buschle.
Die Schwierigkeit, geeignete Azubis zu finden, werde zunehmen. „Die weiterführenden Schulen ziehen bisher potenzielle Bewerber ab. Der Wunsch, ein Studium zu absolvieren, nimmt zu“, sagt Buschle. Andererseits sei der Run auf kaufmännische Stellen immer noch groß. Und das bei einer sehr begrenzten Stellenzahl. Eine Umorientierung finde nur in den seltensten Fällen statt. „Wir haben kein Patentrezept und versuchen permanent über Kooperationen mit Schulen, die Leute für Technik zu begeistern“, sagt Buschle. „Ich denke wir benötigen noch Zeit, um ein Umdenken zu erreichen.“ Beim Stukkateurbetrieb Hohner arbeiten zwei Lehrlinge, von denen einer seine Ausbildung im September startet. „Leider konnten nicht alle Stellen besetzt werden, da bei den heutigen Schulabgängern der weitere Weg eher Richtung Studium eingeschlagen wird und die wenigsten sich für eine handwerkliche Lehre entscheiden“, sagt Sandra Schelling von Hohner. Die Ausbildungsstelle zum Maler konnte das Unternehmen mit einem Mitarbeiter mit Fluchterfahrung besetzen. Weitere Bewerbungen habe es nicht gegeben. Und das, obwohl das Unternehmen viel Werbung für die Ausbildung mache. Neben gemeinsamen Marketingprojekten mit anderen Handwerksbetrieben werde Werbung etwa auf Bussen oder in den Sozialen Medien gemacht. „Für die Zukunft wünschen wir uns, dass der Stuckateur und Maler wieder mehr Attraktivität gewinnt, da das Handwerk ansonsten schweren Zeiten entgegen geht“, sagt Schelling. Eine Erfahrung, die auch Dominik Schmidt, Inhaber des Elektrikerbetriebs Partut, gemacht hat. „Wir hatten schon Jahre, in denen Bewerber noch im Oktober nach einer Stelle gefragt haben“, sagt Schmidt. „Man hat den Eindruck, dass das Handwerk oft der Notnagel ist.“In Schmidts Betrieb werden zwei Azubis ausgebildet. Einer davon fängt ab September an. Probleme, die Stelle zu besetzen habe es in diesem Jahr aber nicht gegeben. Schmidt setzt bei der Auswahl mehr auf den persönlichen Eindruck als auf das Zeugnis. Doch teilweise scheitere der Ausbildungsvertrag schon daran, dass der Bewerber gar nicht zum vereinbarten Probearbeiten erscheint. Und das, obwohl es beim Beruf des Elektrikers mittlerweile um viel mehr gehe als Kabelschächte. Vielmehr rücken heute Bereiche wie Photovoltaik oder Ladetechnik in den Vordergrund. Hubert Aggeler, Ausbildungsleiter beim Tuttlinger Straßenbauunternehmen Storz, hat am Montag die letzte offene Ausbildungsstelle besetzt. 19 Azubis werden am 1. September bei Storz anfangen –„wir sind sehr zufrieden“, sagt Aggeler. Besonders, weil das Unternehmen mehr Stellen als sonst ausgeschrieben hatte. Auch dieses Jahr lernt der Großteil, neun Azubis, den Beruf Straßenbauer. Voraussetzung ist der Werkrealschulabschluss, „wir bekommen aber auch immer Bewerbungen mit Mittlerer Reife“, sagt Aggeler.
Die Jahrgänge werden kleiner. Klar sei deshalb schon seit Jahren: „Die Konkurrenz in Tuttlingen, gerade von der Industrie, ist groß, da muss man mehr tun“, sagt Aggeler. Das Unternehmen sei deshalb bei der Ausbildungsnacht dabei, bei diversen Messen, gehe in Schulen, schalte Anzeigen, nutze Kontakte. „Unser Vorteil ist, dass junge Leute oft lieber draußen arbeiten, als den ganzen Tag in der Halle zu verbringen“, glaubt der Ausbildungsleiter. Bei zwei bis drei Bewerbungen, die er auf eine Stelle bekommt, schätzt er sich glücklich, „dass wir trotzdem gute Bewerber kriegen“. Noch freie Stellen gibt es bei der Bäckerei Schneckenburger. Je zwei von drei Ausbildungsplätzen in der Bäckerei und in der Konditorei sind noch unbesetzt. Und das, obwohl das Unternehmen die Löhne erhöht habe und über Tarif zahle, sagt Geschäftsführer Marc Schneckenburger. „Im Zweifelsfall bleiben die Stellen frei. Wir sagen: Der Wille muss auch da sein“, meint er.
15 Ausbildungsplätze vergibt das Unternehmen mit Hauptsitz in Tuttlingen jährlich, je drei als Konditor und Bäcker, acht oder neun als Bäckereifachverkäufer. „Wenn die Nachfrage da ist, auch mehr“, sagt Schneckenburger. Das war dieses Jahr der Fall: Zehn Azubis fangen in den Filialen im Verkauf an. Die Nachfrage bei den Ausbildungsstellen ist in der Großbäckerei schwankend. Ob das nun an weniger Bewerbern liege oder daran, „dass wir aufgrund der Arbeitszeiten weiter hinten bei der Beliebtheit sind“, kann Schneckenburger nicht eindeutig festmachen. Fest stehe aber: „Wir haben es uns für 2019 auf die Fahnen geschrieben, stärker ans Ausbildungskonzept und das Recruiting ranzugehen.“ Für den Ausbildungsberuf Chirurgiemechaniker hat Aesculap 13 Lehrstellen ausgeschrieben gehabt. Diese seien auch alle besetzt worden. „Wir merken jedoch, dass sich die Suche nach Auszubildenden in den technischen Berufen zunehmend schwieriger gestaltet“, so Arno Brugger, Abteilungsleiter Berufsausbildung der Aesculap AG. Das liege zum einen an der rückläufigen Attraktivität des Berufsbildes, lasse sich aber auch auf den gegenwärtigen Wandel in der Berufswelt zurückführen, der große Veränderungen für technische Berufe voraussagt. „Wir möchten uns mit unserem Ausbildungskonzept diesem Wandel aktiv stellen“, erklärt Brugger. Um die Perspektiven in den Vordergrund zu stellen, pflege Aesculap den intensiven Kontakt zu den Partnerschulen. Brugger: „Zudem sind wir auf jeder regionalen Ausbildungsmesse vertreten, um Aesculap als attraktiven Ausbildungsbetrieb bekannt zu machen.“Als Unternehmen biete Aesculap den Auszubildenden zudem großen Raum zur beruflichen Entfaltung und Weiterentwicklung. „Eine Verkäuferin könnten wir durchaus noch brauchen“, sagt Erik Bühler, Chef der Metzgerei und des Partyservices Bühler – diese Ausbildungsstelle ist also noch frei. Die Lehrstelle zum Metzger ist dagegen besetzt – das erste Mal seit acht Jahren, wie Bühler sagt. Und im Grunde auch nur rein zufällig: Der junge Mann kommt aus einem anderen Betrieb, in dem er nicht weiter machen wollte. „Sein zweites und drittes Lehrjahr verbringt er jetzt bei mir“, sagt Bühler.
Die Lehrlingssuche in der Metzgereibranche sei ein großes Problem, bestimmt seit fünf Jahren sei es nicht gelungen, jemand für die Ausbildung zur Fleischereifachverkäuferin zu bekommen. Ähnlich aufwändig gestalte sich auch die Suche nach ausgelerntem Personal. Auch da helfe gelegentlich Kollege Zufall, gepaart mit Glück: Ein Bekannter hatte Kontakt zu einem Metzger, der nach einem Aufenthalt in einer anderen Stadt nach Tuttlingen wollte. So kam das Arbeitsverhältnis zustande. „Es ist sehr schwierig, jemandenzu bekommen“, fasst Karola Ausländer, Obermeisterin der Friseurinnung Tuttlingen, die Ausbildungssituation in ihrem Handwerk zusammen. Die starke Industrie greife die jungen Leute ab, die Situation sei die, dass viele Friseurbetriebe gar nicht mehr ausbilden wollen – weil die Bewerberlage eher problematisch sei. Sie selbst hätte eine Praktikantin gehabt, die bei ihr Lehrling werden wollte. Letztendlich habe sie sich aber gegen sie entschieden und derzeit keinen Auszubildenden.
Die Obermeisterin geht davon aus, dass sich derzeit auch die geburtenschwachen Jahrgänge auswirken: „Wir müssen die nächsten sieben, acht Jahre nun einfach überbrücken.“
„Die Konkurrenz in Tuttlingen, gerade von der Industrie, ist groß, da muss man mehr tun“Ausbildungsleiter bei Straßenbau Storz, Hubert Aggeler