Fall Amri: Verfassungsschutz im Zwielicht
Medien berichten über brisantes behördeninternes Papier – Opposition fordert Aufklärung
BERLIN - Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) wollte Medienberichten zufolge die Existenz eines VManns im Umfeld des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri verheimlichen. Dies gehe aus einem internen Papier hervor, das Mitarbeiter für BfV-Chef Hans-Georg Maaßen zur Vorbereitung auf ein Gespräch mit Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) erstellt hätten. Der Verfassungsschutz wies die Medienberichte zurück.
Die Bundesregierung hatte im Januar 2017 auf Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen versichert, dass das BfV „im Umfeld des Amri“keine V-Leute eingesetzt habe. In dem behördeninternen Papier heißt es dagegen, dass eine V-Person „nachrichtendienstliche Aufklärung“über die dschihadistischen Besucher der Berliner Fussilet-Moschee betreibe. „Ein Öffentlichwerden des Quelleneinsatzes gilt es schon aus Quellenschutzgründen zu vermeiden“, heißt es darin weiter. „Ein weiteres Hochkochen der Thematik muss unterbunden werden.“
Zu den regelmäßigen Besuchern der Moschee zählte offenbar auch Amri. Er trat dort als Vorbeter auf und besuchte die Gebetsstätte sogar wenige Stunden vor dem Anschlag. Der oberschwäbische FDP-Sicherheitspolitiker Benjamin Strasser sieht durch die neuen Erkenntnisse die bisherige Version des BfV zum Fall Amri zerbröckeln. Für den Bundestagsabgeordneten aus Weingarten, Obmann seiner Partei im AmriUntersuchungsausschuss, ist klar: „Die These, dass Amri nur ein kleiner Fisch war, ist nicht mehr haltbar.“Strasser fordert von BfV-Präsident Maaßen, nun Stellung zu beziehen: „Wir müssen jetzt klären, was das Bundesamt für Verfassungsschutz vor dem Anschlag mit Anis Amri vorhatte.“Auch weitere Oppositionspolitiker kündigten an, die Rolle des BfV in den Fokus zu nehmen.
Amri hatte am 19. Dezember 2016 einen Lastwagen in den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz gesteuert und dabei zwölf Menschen getötet. Viele weitere wurden verletzt. Amri wurde vier Tage später auf seiner Flucht in Italien von einem Polizisten erschossen.
BERLIN (dpa/se) - Im Fall des islamistischen Terroranschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt gibt es neue Vorwürfe gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Die „Berliner Morgenpost“, das ARDPolitikmagazin „Kontraste“und der Sender RBB berichteten am Donnerstag, Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen habe offenbar versucht, die Rolle seiner Behörde geheim zu halten. Dies gehe aus einem internen Papier, das Verfassungsschutz-Mitarbeiter für Maaßen erstellt hätten, hervor.
Der Text diente demnach der Vorbereitung eines Gesprächs zwischen Maaßen und Berlins Innensenator Andreas Geisel und dessen Staatssekretär Torsten Akmann (beide SPD) am 24. März 2017 – drei Monate nach dem Terroranschlag. Bei der Attacke waren am 19. Dezember 2016 zwölf Menschen getötet worden.
Wie das Gespräch zwischen Maaßen und Geisel tatsächlich ablief, bleibt unklar. Der Sprecher des Innensenators, Martin Pallgen, bestätigte zwar ein Gespräch zwischen den beiden im März 2017. Operative Maßnahmen oder mögliche Quellen des BfV seien damals aber nicht Thema gewesen.
Der Verfassungsschutz wies die in den Medienberichten veröffentlichten „Mutmaßungen zu Gesprächsinhalten“zurück. Ein Sprecher sagte, das Bundesamt habe alle Unterlagen im Zusammenhang mit dem Anschlag den zuständigen Bundestagsausschüssen vorgelegt.
Der FDP-Obmann im Bundestags-Untersuchungsausschuss zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz, der Weingartener Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Nach dem Versagen des Verfassungsschutzes beim NSU ist das ein weiteres Versagen, das im Raum steht. Mein Eindruck ist, dass es immer mehr um den Schutz des Präsidenten des BfV und seiner Behörde als um den Schutz des V-Mannes geht.“
Für Strasser ist die Behauptung des BfV falsch, dass der laut den Medienberichten verheimlichte VMann nicht aus dem Umfeld des Weihnachtsmarkt-Attentäters Amri stamme. Der Mann, sagte Strasser der „Schwäbischen Zeitung“, habe sich in der salafistischen FussiletMoschee in Berlin aufgehalten – in der Amri laut Medienberichten sogar als Imam Gebete geleitet hatte und vor der er kurz vor dem Attentat im Dezember 2016 von einer Überwachungskamera gefilmt wurde.
Strassers Kommentar dazu: „Das BfV wusste von Amri und das BfV hatte einen V-Mann in der FussiletMoschee. Wenn die überschaubare Anzahl von Besuchern dieser Moschee, in der Amri als Imam aufgetreten sein soll, nicht das Umfeld von Amri bilden soll, dann hat das BfV nicht nur ein Problem mit der deutschen Sprache.“
Die Bundesregierung hatte im Januar 2017 auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen geantwortet: „Im Umfeld des Amri wurden keine V-Leute des BfV eingesetzt.“Im Frühsommer 2018 fragte Strasser erneut, allerdings etwas anders formuliert. Er fragte nach V-Leuten, „die im mittelbaren und unmittelbaren Umfeld der Fussilet-Moschee in Berlin aufhältig waren und Kontakte mit dem späteren Attentäter“hatten. Diesmal antwortete die Bundesregierung: „Eine weitergehende Beantwortung der Anfrage kann nach sorgfältiger Abwägung nicht erfolgen“, da sie das Staatswohl gefährden würde.