Warum Assad Idlib noch nicht attackiert
Seit Wochen rollen Panzer, Truppentransporter und Lkw mit Munition der Armee des syrischen Diktators Baschar al-Assad nach Norden. Ziel ist die an die Türkei grenzende Provinz Idlib, wohin sich die Verlierer des syrischen Bürgerkrieges zurückgezogen haben: rund 80 000 Rebellen, von denen nach UN-Schätzungen rund 10 000 vom Al-Kaida-Ableger „Hayar Tahrir Al-Sham“kontrolliert sind.
Russland steht zu seinem Verbündeten Assad. Das russische Verteidigungsministerium schickte 17 mit Lenkwaffen ausgestattete Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer. Bei den Dschihadisten handle es sich um ein „eiterndes Geschwür“, das „liquidiert“ werden müsse, verkündete Russlands Aussenminister Sergej Lawrow am Mittwoch entschlossen. Die USA betrachten eine mögliche Attacke auf die Provinz Idlib mit Argwohn. In der vergangenen Woche hatte US-Sicherheitsberater John Bolton gedroht, im Falle eines erneuten syrischen Giftgasangriffes in Idlib „extrem hart“zu reagieren. Die Amerikaner brachten den Zerstörer „The Sulivans“, Kriegsschiffe mit Marschflugkörpern und zusätzliche B-1B-Bomber in Stellung.
Trotz der gewaltigen Militärpräsenz sei es kaum vorstellbar, dass „sich die beiden nuklearen Supermächte wegen Syrien auf einen Krieg einlassen werden“, betont Nahostexperte Professor Günter Meyer im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Laut dem Leiter des „Zentrums für Forschung zur arabischen Welt“an der Universität Mainz versucht Assad, mit massivem militärischem Druck die Kapitulation der Milizen zu erreichen. Im Süden Syriens war dies im Juli gelungen. Tausende Kämpfer wurden samt Familien nach Idlib evakuiert, wo sie bleiben wollen – oder müssen: Die Türkei scheint nicht bereit, Islamistenmilizen aufzunehmen. Am Freitag erklärte die Regierung in Ankara die Hayat Tahrir al-Sham offiziell zur Terrororganisation. 2,5 Millionen könnten flüchten Bis zu 2,5 Millionen Zivilisten könnten sich bei einer Attacke auf Idlib dann in Richtung Grenze bewegen, warnte UN-Generalsekretär António Guterres. Um sowohl an Moskau als auch an Damaskus ein politisches Signal zu senden, hatte die türkische Armee in den letzten Tagen ihre Präsenz an der türkischen Grenze zur Provinz Idlib erhöht.
Gleichzeitig schickte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seinen Außenminister, seinen Verteidigungsminister sowie seinen Geheimdienstchef nach Moskau. Die diplomatischen Anstrengungen scheinen sich ausgezahlt zu haben. Schon am kommenden Montag wollen Erdogan, Russlands Präsident Wladimir Putin und der iranische Präsident Hassan Ruhani über die „syrische Nachkriegsordnung“sprechen. Ohne grünes Licht aus Moskau und Teheran – soviel ist sicher – wird Assad Idlib nicht angreifen.