Mythos Fliegen beflügelt seit 90 Jahren
Spaichinger Segler waren mit den ganz Großen Pioniere des lautlosen Gleitsports
SPAICHINGEN - Ein ziemlich verwegenes Unterfangen muss vor 90 Jahren die Fliegerei gewesen sein. In dieser Zeit, in der noch ausprobiert und getüftelt wurde, Pferde die Flugzeuge den Berg hochziehen und Helfer beim Start für ein bruchfreies Indie-Luft gehen sorgen mussten, haben die Altvorderen die Spaichinger Segelfliegergruppe gegründet. Am 21. und 23. September feiern die Flieger, die inzwischen mit der Aldinger Gruppe fusioniert sind, ihren runden „Geburtstag“.
Wer die Geschichte der Fliegerei in unserer Gegend im Heuberger Boten 1978 – auf der Basis der Niederschriften des Vereins – liest, staunt: einerseits muss in den 20er-Jahren eine große Lust am Tüfteln und am Abenteuer geherrscht haben, andererseits eine Art Aufbruchstimmung der Fliegerei. Und: Spaichingen und Umgebung waren offenbar, so wie heute das Klippeneck, ein bekannter Platz in der Deutschen Fliegerszene.
Es war nicht so wie heute, dass die Fliegerei vor allem durch leichtere Materialien und ausgeklügelte Technik fortentwickelt wird, man sich diese Dinge aber leisten können muss: Damals, in jenen ersten Gründerjahren, schienen die Segelfliegergruppen, von denen die erste in Wurmlingen (Tuttlingen) entstand, dann die Spaichinger, Schwenninger und Rottweiler Gruppen entstanden, allesamt an dem großen Projekt Flugzeugentwicklung beteiligt gewesen zu sein. Und das mit Begeisterung. Gottlob Thumm war ein Tüftler, seine Firma stellte Motoren her; auch heute gibt es sie noch, allerdings auf Elektromotoren spezialisiert. Thumm war der maßgebliche Mann in jenen ersten Jahren der Segelfliegerei in Spaichingen und Umgebung. Zu Flügen und zur Ausbildung wurden, so schien es, alle geeignet scheinenden Hügel und Berge der Region benutzt.
Der Dreifaltigkeitsberg mit seinen Startbedingungen an jenem 300 Meter hohen Westhang und einer unbewaldeten Hochfläche rückte schon 1926 in den Fokus der Segelflugwelt. Das, was heute die Formel 1 ist, müssen wohl diese Flugpioniere gewesen sein: Sie testeten neu gebaute Flugzeuge und gründeten so manchen Mythos. Einer davon, Wolf Hirth, selbst Ingenieur, kam zum Testen eines Messerschmitt-Flugzeugs 1926 auf den Dreifaltigkeitsberg. Dass das Flugzeug zu Bruch ging, bei einem „Großen“wie Hirth wie bei den „Kleinen“wie Thumm, das gehörte dazu. Im Herbst 1927 startete dann Hirth zum ersten Gleitflug in Südwürttemberg, so die Annalen des Vereins. Mit Schmierseife eingerieben Die Spaichinger - jetzt schon selber als Segelfluggruppe - unterstützten diese Flugpioniere. Zum Beispiel mit einem langen Hackbrett, das mit Schmierseife eingerieben war als Startrampe, eine Quelle berichtet sogar, dass die Patres auf dem Berg beim Start geholfen hätten. Hangstart, Katapultstart und dann - durch die Schwenninger, die am Hörnle in Gosheim gestartet waren - Schleppstart auf dem Klippeneck. Der Karpfen und auch der Osterberg bei Dürbheim blieben weiter Startplätze. 1933 wurden auch die Spaichinger Segelflieger in die gleichgeschaltete Struktur des „Dritten Reichs“einbezogen, mit Uniformzwang, vor allem aber dem Ziel der militärischen Nutzung der Fliegerkünste, und so wurden 1939 viele Flieger zur Luftwaffe eingezogen. Viele starben. Vereinsintern waren die Meinungen gespalten: Es gab Anhänger der Nazis, aber auch Gegner. Nach dem Krieg ließ die französische Besatzung die Fliegerei zunächst nicht zu, 1951 wurde sie wieder frei gegeben. In Spaichingen gründete Gottlob Thumm die Gruppe neu. An Gebäuden stand auf dem Klippeneck die Fliegerhalle, die in der Nazizeit gebaut wurde, in Spaichingen hatten die Segler ihr Vereinsheim beim Schlackenplatz. Erst als die Stadthalle gebaut werden sollte, mussten die Segler raus. Sie bauten 1983/84 - wieder in Eigenleistung - ihr Vereinsheim, die Fliegerwerkstatt, in der Primstraße.
Mit der Technik mitzuhalten, Flugzeuge vor allem für die Ausbildung anzuschaffen, das kostet Geld; und so ließen sich die Segler neben Festen, Tanzveranstaltungen, Heimarbeit und Sponseringaktionen etwas Ungewöhnliches einfallen: Sie bauten gemeinsam in Eigenleistung ein Zweifamilienhaus im Längelenweg und nutzten den Verkaufserlös für die Vereinskasse. Neben der technischen Ausstattung - es wurden sogar Flugzeuge selber gebaut und alle werden bis heute selbst gewartet und der Konzentration auf das Klippeneck nach dem Krieg sowie der Gemeinschaftspflege rückte ein Aspekt der Vereinsarbeit immer mehr in den Mittelpunkt: das Gewinnen von Nachwuchs. Das Jubiläum wird gefeiert am Freitag, 21. September, mit einer vereinsinternen Feier in der Stadthalle, und am Sonntag, 23. September ist ein Fest in der Stadthalle mit Festprogramm für die Öffentlichkeit. Los geht es um 10 Uhr mit dem Frühschoppen und der Stadtkapelle und natürlich Bewirtung den ganzen Tag. In der Halle gibt es einen SegelflugSimulator und einen flugfähigen Schulgleiter vom Typ SG38, also genau so ein Flugzeug, wie es in den Anfangstagen am Dreifaltigkeitsberg, Hohenkarpfen und Osterberg zum Einsatz kam. Auch werden weitere Flieger gezeigt und es gibt ein Rahmenprogramm für Kinder.