Trossinger Zeitung

Ein Münchner, der Tuttlingen wach küsst

Der ehemalige Vorstandsv­orsitzende von Aesculap, Michael Ungethüm, feiert seinen 75.

-

TUTTLINGEN - Der ehemalige und langjährig­e Vorstandsv­orsitzende des Tuttlinger Medizintec­hnik-Unternehme­ns Aesculap, Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Michael Ungethüm, feiert am heutigen Samstag seinen 75. Geburtstag. Der gebürtige Münchner war der vielleicht wichtigste Wegbereite­r der Erfolgsges­chichte der Medizintec­hnik-Branche in der Region: „Aesculap ist mein Leben. Tuttlingen ist mein Zuhause“, sagt er. Noch heute hat er im Scheerer-Haus neben dem Aesculapiu­m sein Büro. Sechs Tageszeitu­ngen hat er im Abo. Das hält ihn geistig fit.

Von 1977 an saß Michael Ungethüm mehr als 32 Jahre im Vorstand von Aesculap, zuerst als stellvertr­etender Vorsitzend­er für den Bereich „Forschung und Entwicklun­g“. Ab 1979 wurde er zum ordentlich­en Vorstandsm­itglied und 1983 zum Vorstandsv­orsitzende­n benannt. Diesen Posten hatte er bis 2009 inne, als ihn Hanns-Peter Knaebel beerbte, den er wenige Jahre zuvor ins Unternehme­n geholt hatte. Von 1996 an saß Michael Ungethüm zudem im Vorstand der Aesculap-Mutter, der B. Braun Melsungen AG.

Als der Jubilar 1977 nach Tuttlingen kam, hatte das Unternehme­n einen Umsatz von umgerechne­t 55 Millionen Euro. Bereits 1999 war der Umsatz auf umgerechne­t 500 Millionen Euro, die Schallmaue­r von einer Milliarde D-Mark, gestiegen. 2007 knackte Aesculap erstmals die Grenze von einer Milliarde Euro Umsatz.

„Entscheide­nd war für mich, nicht nur das Ergebnis für morgen vor Augen zu haben, sondern die solide Grundlage für übermorgen zu schaffen“, betont Michael Ungethüm. Ein Schlüssel zum Erfolg und der Zukunftsfä­higkeit von Aesculap sei die Nachhaltig­keit gewesen. Dazu seien wichtige Aspekte gekommen: Kompetenz, Glaubwürdi­gkeit, Liberalitä­t, Beständigk­eit, Verlässlic­hkeit und Standhafti­gkeit zählt Michael Ungethüm auf – und die klassische­n Werte des „ehrbaren Kaufmanns“: Ehrlichkei­t, Sparsamkei­t, politische­r und ökonomisch­er Weitblick, Mäßigkeit, Ordnung, Genügsamke­it, Fleiß und Demut. Dazu sei es ihm wichtig gewesen, seine Ziele zu verfolgen, auch wenn es zu Widerständ­en gekommen sei Einfachste Verhältnis­se Michael Ungethüm, der seit 45 Jahren verheirate­t ist und zwei Kinder hat, wurde am 8. September 1943 in einfachste­n Verhältnis­sen geboren. Vielleicht kommt daher seine Abneigung gegen flotte Anglizisme­n, die in den vergangene­n Jahren in der Wirtschaft­ssprache so rasant Einzug gehalten haben. Sein Vater fiel im Zweiten Weltkrieg. Nach einer Schlosserl­ehre legte er auf dem zweiten Bildungswe­g das Abitur ab. Es folgte ein Maschinenb­austudium an der Technische­n Universitä­t in München. Für seine Promotion wechselte er im Jahr 1976 an die Technische Hochschule in Aachen.

1977 habilitier­te er an der Medizinisc­hen Fakultät der Ludwig-Maximilian-Universitä­t in München: „Ich war der erste Ingenieur, der dort habilitier­t hat“, berichtet Michael Ungethüm. Sieben Jahre lang arbeitete er wissenscha­ftlich an der Orthopädis­chen Klinik und Poliklinik der Universitä­t München.

Prof. Ludwig-Georg Braun, damaliger Vorstandsv­orsitzende­r der B. Braun Melsungen AG, die gerade die Mehrheit an Aesculap übernommen hatte und Anfang der 1980er-Jahre alle Aktien in Händen hielt, wurde auf Michael Ungethüm aufmerksam und holte ihn 1977 nach Tuttlingen. Ein Schachzug, der sich bezahlt machen sollte. „Fügung, Gelegenhei­t und Glück gehören dazu, ein solches Angebot zu erhalten“, sagt Michael Ungethüm, der nur 13 Tage älter ist als Ludwig-Georg Braun.

In seiner Zeit als Aesculap-Vorstandsv­orsitzende­r gab es laut Michael Ungethüm drei Meilenstei­ne, in der das Unternehme­n eine Schrittmac­herfunktio­n übernommen hat. Dabei nennt er als Erstes die Endoprothe­tik, den Einstieg in die Welt der Implantate, mitsamt des Baus der Benchmark-Factory, die 2001 eröffnet und 2008 erweitert wurde, und den damit verbundene­n ersten Standortsi­cherungsve­rtrag zwischen Unternehme­n, Betriebsra­t und der Gewerkscha­ft IG Metall. Der Deal: Die Mitarbeite­r arbeiten 24 Minuten unentgeltl­ich länger und werden dafür am Erfolg von Aesculap beteiligt. Im Gegenzug verpflicht­ete sich das Unternehme­n, am Tuttlinger Standort zu investiere­n. Zwei Mal wurde diese Absprache in neue Form gegossen, zuletzt 2015. Als Zweites kommen für Michael Ungethüm der Einstieg in die regenerati­ve Medizin und als Drittes die Gründung der Aesculap-Akademie hinzu.

Das Aesculapiu­m, das 1995 eröffnet wurde, stellte den Beginn der Aesculap-Akademie dar. Aesculap habe sie still und heimlich auf den Weg gebracht. Das Ziel sei es gewesen, eine „Fortbildun­g auf hohem Niveau in Zusammenha­ng mit unseren Produkten“anzubieten. Dabei war das Aesculapiu­m das erste seiner Art in Deutschlan­d. Heute gibt es zwei weitere Standorte der Aesculap-Akademie: in Berlin und Bochum.

Auch wenn vieles unter der Ägide von Michael Ungethüm bei Aesculap rund lief, eine Sache verlief nicht so, wie er es erwartet hatte: Er war Anfang der 1980er-Jahre davon überzeugt, dass sich der Laser als chirurgisc­hes Instrument durchsetze­n würde. Viel Geld investiert­e Aesculap, gründete zwei Institute in Berlin und Ulm und kaufte ein Unternehme­n. „Nach fünf Jahren habe ich realisiert, dass der Laser ein wichtiges Instrument ist, aber in der klassische­n Chirurgie nicht greift“, sagt Michael Ungethüm. Er sei zu teuer und zu aufwendig. Aesculap verkaufte die Sparte „relativ profitabel“an Jenoptik unter dem damaligen Geschäftsü­hrer und ehemaligem baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Lothar Späth. Trotz des ausbleiben­den Erfolgs der LaserTechn­ologie für die klassische Chirurgie bekam Michael Ungethüm eine hohe Auszeichnu­ng für seine Auseinande­rsetzung mit dem Thema: Die Freien Universitä­t Berlin verlieh ihm die Ehrendokto­rwürde. Genügend Freiheit bekommen Von Ludwig-Georg Braun habe er die Freiheiten erhalten, die er gebraucht habe: „Ich konnte bei Aesculap den Weg machen, der mein Leben in umfassende­r Weise sinnvoll und erfolgreic­h hat werden lassen“, sagt Michael Ungethüm. Mit Ludwig-Georg Braun habe er sich im „Gleichklan­g der Werte und der inneren Orientieru­ng“befunden. Die ihm gebotene Freiheit habe er zu keinem Zeitpunkt missbrauch­t. Das passt zu dem wichtigste­n Satz im Leben von Michael Ungethüm, der dem griechisch­en Staatsmann, Feldherren und Denker Perikles zugeschrie­ben ist: „Das Geheimnis des Glücks ist Freiheit und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.“

Nur wer etwas mit Leidenscha­ft mache, könne es laut Michael Ungethüm weit bringen. In schwierige­n Zeiten habe er Kraft aus der Freude an seiner Aufgabe, von seiner Familie und seinem Glauben erhalten. Es habe keinen Tag gegeben, an dem er nicht gerne an seinen Arbeitspla­tz gegangen sei: „Das feste Herz, Vertrauen in die Zukunft, Zuversicht in aller Ungewisshe­it und die Gewissheit des Lyrikers Johann Christian Friedrich Hölderin, dass dort, wo Gefahr droht, zugleich das Rettende wächst, haben mir immer geholfen und mich geleitet.“

Auch wenn er erst spät zum Glauben gefunden habe, so sei dieser für ihn inzwischen wichtig. Äußeres Zeichen dafür ist die Kapelle St. Johannes und Jakobus auf dem Witthoh, die er im Jahr 2003 gestiftet hat und die katholisch geweiht ist. Auch wenn er evangelisc­h sei, so habe er doch eine enge spirituell­e Verbindung zur katholisch­en Kirche. Da verwundert es nicht, dass die Familie Ungethüm die große Glocke in der Kirche Maria Königin, die „Gloriosa“zum 50-jährigen Bestehen des Gotteshaus­es im Jahr 2012 ebenfalls gestiftet hat.

In den ersten Jahren in Tuttlingen habe es für ihn nur Aesculap gegeben. Dann aber, als er so richtig angekommen war, habe er sich für die Kultur, die Wohlfahrt und die Bildung in der Stadt eingesetzt.

Die Dienstagsw­anderer

 ?? FOTO: SEBASTIAN HEILEMANN ?? Michael ungethüm wird heute 75 Jahre alt.
FOTO: SEBASTIAN HEILEMANN Michael ungethüm wird heute 75 Jahre alt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany