Plötzlich trifft Götze
Der FC Bayern gibt gegen Augsburg erstmals Punkte ab – weil ein Ex-Spieler trifft
MÜNCHEN - Wenn in der doch recht weitläufigen Münchner Allianz Arena die Anweisungen der Trainer auf der Tribüne zu hören sind, muss Bastian Schweinsteiger im Elfmeterschießen des Champions-League-Finals 2012 gleich an den Pfosten schießen – oder der Zusammenschluss der aktiven Fanszenen in Deutschland zu einem 20-minütigen Stimmungsboykott aufgerufen haben.
An diesem 25. September 2018 war letzteres der Fall. Auch die Münchner Fanszene protestierte am 5. Spieltag der Bundesliga nicht etwa gegen das erste Unentschieden des FC Bayern der Saison – gegen den FC Augsburg gab es ein 1:1 (0:0) – sondern, wie berichtet, gegen die zunehmende Kommerzialisierung des Profifußballs und gegen den DFB und die DFL.
Die 75 000 Fans schwiegen die ersten 20 Minuten. Das heißt: Nicht ganz: Wenn ein Spieler mal gefoult wurde – oder auch bei Torannäherungen –, ließen sich einige dann doch zu Pfiffen oder ein paar „Ooooohs“und „Aaaaahs“hinreißen. Etwa, als Augsburgs Caiuby in der achten Minute Bayerns Torwart Manuel Neuer nach einem sehenswerten Angriff und einem strammen Schuss im Strafraum zu einem Reflex zwang. Oder als auf der Gegenseite kurz drauf Thomas Müller den linken Pfosten traf. Als dann Bayerns Mittelfeldspieler Renato Sanches in der zwölften Minute per Distanzschuss beinahe das 1:0 erzielte, gab es gar etwas längeren Applaus.
Als nach 20 Minuten endlich „FCBayern-olé“-Gesänge auf der einen und, etwas leiser, die wackeren „FCA! FCA!“-Anfeurungsrufe durchs Stadion hallten, war das ziemlich munter losgegangene Spiel in einem doch eher zähen Aggregatzustand angelangt. Die Mannschaften neutralisierten sich, die Augsburger verdichteten klug das Mittelfeld, stellten geschickt die Räume zu.
Gefährlich wurde nur, wenn jemand im Mittelfeld den Turbo einschaltete. Dieser jemand war meist ein junger Mann mit Rastalocken, die bei eingeschaltetem Turbo schön durch die Luft wirbelten. Mit zwei Jahren Verspätung deutet der junge Portugiese zumindestan, das Versprechen einlösen zu können, das er einst als 18-Jähriger bei Benfica gab und weswegen die Münchner zunächst 35 Millionen Euro für ihn zahlten.
In der 35. Minute versuchte Sanches es mit einem Schlenzer, der sich aus 25 Metern Richtung Tor drehte – aber eben direkt in Andreas Luthes Arme. Zwei Minuten später spielte er Doppelpass mit Arjen Robben, trieb seine Rastalocken und den Ball Richtung Strafraum, zog dynamisch ab – aber einen halben Meter über das Tor.
Dass Sanches in der Startelf stand, war zu erwarten gewesen, Niko Kovac fuhr sein Prinzip der Maximalrotation weiter. Vorne stürmte also etwa neu Sandro Wagner, links wirbelte neu Serge Gnabry. Leon Goretzka stand auch zuletzt in der Startelf, diesmal aber unerwartet auf der linken Abwehrseite. Nebeneffekt: Auf der Bayern-Bank saßen zunächst auch die Sportskameraden Boateng, Thiago, Ribéry, James, Lewandowski. Kovac würde also genug Kreativität und Durchschlagskraft in der Hinterhand haben, sollte es zäh werden. Sollte man meinen.
Die bei den Augsburgern im Vorfeld meistdiskutierte Frage, ob Torwart Fabian Giefer nach seinen zwei entscheidenden Patzern in den letzten zwei Spielen noch eine Bewährungsprobe bekommen würde, beantwortete Baum mit einem klaren: Nein. Andreas Luthe, zuletzt wegen muskulärer Probleme ausgefallen, stand im Tor. Und je näher die Pause kam, desto mehr bekam er zu tun. Die gefährlichste Chance vergab Sandro Wagner, der in der 41. Minute aus kurzer Distanz Luthe anschoss. Drei Minuten später klärte Luthe mit einer tollen Parade Gnabrys Schuss zur Ecke. Neuer patzt beim Ausgleich Die zweite Halbzeit begann mit Teil 2 der Funktionärsschelte durch die Fans. Die Südkurve stellte DFB und DFL per Transparent ein vernichtendes „Zwischenzeignis“aus. „Auslandsvermarktung: Geschwänzt“stand etwa darauf. Auf einem anderen wurden die DFB-Funktionäre mit „Hausverbot“belegt.
Dieses Transparent hing noch, als Arjen Robben das umjubelte 1:0 erzielte. Es spricht für die Augsburger und dieses Spiel, das ein Konter vorangegangen war. Gnabry hatte den Turbo eingeschaltet, den Ball im Strafraum quergelegt zu Robben. Und der nach einem Wackler und einer künstlerischen Schöpfungsverzögerungspause zum 1:0 eingeschossen (48.).
Kovac brachte Ribéry, Kovac brachte Thiago, ihm reichte das 1:0 nicht. Doch Müller traf nach Ribérys Vorarbeit nur aus dem Abseits (84.).
Das zweite Tor des Abends erzielte dann einer, den Kovac womöglich auch eingewechselt hätte – wenn er noch in München spielen würde. Felix Götze, jüngerer Bruder vom Weltmeistermacher Mario Götze, profitierte von einem Fehler Neuers. Der Keeper hatte den Ball bei einer Ecke durchflutschen lassen, Götze, diesen Sommer aus München nach Augsburg gewechselt, machte aus zwei Metern sein erstes Bundesligator.
Kovac war natürlich unzufrieden: „Wir haben nicht das abgerufen, was wir uns vorgenommen haben. Wenn wir einige unserer Chancen nach dem 1:0 nutzen, sieht es anders aus.“Kollege Manuel Baum dagegen frohlockte: „Das ist ein Wahnsinn. Ich wusste erst gar nicht, wer unser Tor geschossen hat. Das sind halt die Geschichten im Fußball: Dass wir in München punkten und Felix bei seinen Bayern das Tor schießt. Unglaublich.“