Weniger Stress im Minijob
Die Arbeit auf Abruf soll planbarer werden
BERLIN - Das Wetter ist entgegen der Vorhersage schön. Der Chef des Ausflugslokals ahnt schon, dass heute mehr Gäste kommen als erwartet. Er greift zum Telefon und ruft eine Kellnerin an, die zusätzlich bedienen soll. Die Minijobberin muss ihren Tagesablauf umplanen. Statt mit den Kindern zum Arzt zu gehen, passt die Großmutter während der Stoßzeiten im Restaurant auf sie auf. Diese extrem flexiblen Beschäftigungszeiten nennen Experten Abrufarbeit. Betroffen sind nach Angaben des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rund 1,8 Millionen Beschäftigte, jeder zwanzigste Arbeitnehmer. Die Hälfte davon sind Minijobber.
„Arbeit auf Zuruf ist eine prekäre Beschäftigungsform, die gerade im Gastgewerbe immer stärker um sich greift“, sagt der stellvertretende Chef der Branchengewerkschaft NGG, Guido Zeitler. Damit sind gleich zwei große Probleme verbunden. „Man kann ja nicht mehr planen“, erläutert der Forscher Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua). Zudem habe das Institut einen Zusammenhang zwischen Abrufarbeit und psychosomatischen Beschwerden festgestellt. Rückenschmerzen, Schlafstörungen und Erschöpfung können beispielsweise eine Folge dieser Beschäftigungsform sein. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervor.
Das zweite große Problem sind die schwankenden Einkommen der Betroffenen. In der Regel wird zwar eine wöchentliche Arbeitszeit vereinbart. Doch je nach Bedarf kann die tatsächlich abgeleistete Zeit davon abweichen. In der Folge verdienen die Kellnerinnen, Einpackhilfen von Onlineshops oder Verkäuferinnen mal mehr, mal weniger. Aber Besserung ist in Sicht. „Dem werden nun klare Grenzen gesetzt“, erläutert Zeitler. Die Bundesregierung hat entsprechende gesetzliche Regelungen Ende vergangener Woche zusammen mit der Brückenteilzeit beschlossen.
Ab dem 1. Januar 2019 dürfen die tatsächlichen Arbeitszeiten nur noch um ein Viertel von der vereinbarten Wochenarbeitszeit abweichen. Wer einen Vertrag über zehn Stunden hat, darf also zwischen 7,5 und 12,5 Stunden eingesetzt werden. Für Verdi ist das ein enormer Fortschritt. Deren Textilhandelsexperte Cosimo Damiano-Quinto hofft, dass zum Beispiel die Modekette H&M nun ihre Personalpolitik ändert. Er wirft dem Unternehmen ein extremes Maß an flexibler Arbeit vor. Bis zu 40 Stunden seien gefordert. Auch anderswo im Handel sei die Abrufarbeit gängige Praxis. Bundesrat muss noch zustimmen Die Abrufarbeit ist nach Einschätzung des IAB auch eine Strategie zur Kostenminimierung. „Teile des unternehmerischen Risikos werden an den Beschäftigten weitergegeben“, urteilt das zur Bundesarbeitsagentur gehörende Institut. Ist weniger zu tun, kostet das Personal auch weniger. Gegen die damit verbundenen Einkommensschwankungen hilft die neue gesetzliche Regelung auch ein wenig. Bei Verträgen, in denen gar keine Wochenarbeitszeit festgelegt ist, sogenannte Null-Stunden-Vereinbarungen, wird künftig automatisch eine Arbeitszeit von 20 Stunden angenommen. Der Bundesrat muss den Neuregelungen noch zustimmen. Gegenwind erwartet die große Koalition aus den Reihen der Länder aber nicht.
Ob sich die Arbeitgeber an alle Regeln halten, muss sich dann noch erweisen. Es gelten bereits Regeln zum Schutz der Arbeitnehmer. So sollen Arbeitseinsätze wenigstens vier Tage im Voraus angesagt werden. Doch dürfen die Betriebsräte davon abweichende Praktiken mit der Firma abmachen. In vielen Fällen vermuten Wissenschaftler allerdings, wird insbesondere in kleinen Betrieben Abrufarbeit nach Gusto des Chefs angeordnet.