Optimist
Jeden Montagabend leitet er einen Lesezirkel, an anderen Abenden tourt Henning Scherf (SPD) durch die Republik: als Vortragsreisender in Sachen „Aktives Altern“. Zehn Jahre lang war er Regierungschef im Bundesland Bremen. Seit seinem Ausstieg aus der Politik 2005 hat der zwei Meter große Mann mit schlohweißem Haar mehrere Bücher geschrieben, zum Beispiel „Gemeinsam statt einsam“.
Sein zentrales Anliegen: Jung und Alt sollen „sich neu aufeinander einlassen“. Er macht Mut zum gemeinsamen, selbstbestimmten Wohnen und lebt vor, was er propagiert. Seit drei Jahrzehnten wohnt er mit seiner Ehefrau Luise und sechs Freunden in einem behindertengerechten Altbau, in separaten Wohnungen, aber mit ausgeprägtem Gemeinschaftsleben. Am Mittwoch wird Scherf 80 Jahre alt.
Mehr als 200 Vorträge hat er im Ruhestand gehalten. Das Honorar spendet er der Nicaragua-Hilfsorganisation „Pan y Arte“, deren Ehrenvorsitzender er ist. Was treibt ihn an? „Ich bin süchtig nach Anerkennung“, sagt er. „Ich brauche Menschen.“Er sei ein „fröhlicher Typ“. Pessimismus ist für den dreifachen Vater und neunfachen Großvater keine Haltung. „Die große Mehrheit der Menschen will doch zu denen, die Optimisten sind.“
Als junger Politiker war der Sohn einer naziverfolgten Drogistenfamilie ein bekennender Linker. Er half den Revolutionären in Nicaragua beim Kaffeepflücken, machte mit bei der Blockade des US-Atomraketenlagers in Mutlangen. Für die CDU war er ein rotes Tuch, egal, ob als Bürgerschaftsabgeordneter, SPD-Landesvorsitzender oder als Senator in wechselnden Ressorts. Dennoch übernahm er 1995 die Führung einer Großen Koalition. Dabei wandelte er sich vom Polarisierer zum Versöhner. 34 Jahre lang war der Volljurist Berufspolitiker. Statt Dienstwagen nahm er lieber sein Hollandrad. Ohne Leibwächter schlenderte er durch Bremen. Der Leutselige hat aber auch Schattenseiten. Im politischen Streit konnte er ungerecht und aufbrausend werden. Fehler kann er zugeben: Jahrelang hatte Scherf Brechmittel-Einsätze gegen mutmaßliche Drogenhändler verteidigt, auch, als 2005 ein Kleindealer daran starb. Zwölf Jahre später bekannte Scherf seine Mitschuld an dem Tod.
Parteipolitisch hält er sich heraus. Zum Bedeutungsverlust der SPD sagt Scherf nur, seine Partei müsse „diejenigen mobilisieren, die sich als Verlierer begreifen“. Eckhard Stengel