Trossinger Zeitung

„Der Umgang mit den Menschen ist eine Kunst“

Die Bewährungs- und Gerichtshi­lfe hilft Straftäter­n zurück in die Mitte der Gesellscha­ft

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Peter Wack ist Leiter der Bewährungs­und Gerichtshi­lfe in Rottweil. Sobald eine Person in der Region zu einer Freiheitss­trafe auf Bewährung verurteilt wird, kommt seine Einrichtun­g ins Spiel. Im Interview spricht er über die Vorteile der Bewährung, die Zusammenar­beit mit Straftäter­n und in welchen Fällen ein Urteil widerrufen wird. Welchen Zweck hat eine Freiheitss­trafe auf Bewährung? In erster Linie, um eine Haft und die negativen Folgen einer Haft zu vermeiden. Dabei geht es einerseits um Fälle, bei denen die Straftat nicht so gravierend ist. Anderersei­ts ist es eine Option, wenn eine Resozialis­ierung erreicht werden kann. Wir überlegen dann: Wo sind die Risiken für einen Rückfall? Wo kann man ansetzen und unterstütz­en? Was sind Argumente für die Bewährung und gegen eine harte Gangart? Wenn jemand noch nie in Haft war, kommt er dort mit einem Klientel in Kontakt, das sehr negativ wirkt. Menschen werden aus ihrem Umfeld gerissen, verlieren ihre Arbeitsste­lle und verlieren nach einem Jahr in Haft auch die Wohnung. Außerdem leiden die sozialen Kontakte. Familien wenden sich häufig ab. Außerdem gibt es bei der Bewährung verschiede­ne gute Instrument­e wie Auflagen und Weisungen. Die sollen dafür sorgen, dass die Klienten von einer weiteren Straftat abgehalten werden. Klassische­s Beispiel: Der Suchtkandi­dat, der während der Bewährung einen Entzug macht. Wo ist die Grenze, bei der eine Bewährung nicht mehr in Frage kommt? Einmal, wenn das Urteil eine Freiheitss­trafe über zwei Jahre ist. Zum zweiten, wenn die Sozialprog­nose ungünstig ist. Also wenn man davon ausgehen muss, dass trotz Bewährungs­helfer akute Rückfallge­fahr besteht. Zu ihrer praktische­n Arbeit. Welche Maßnahmen gibt es, die ihre Klienten voranbring­en? Erstmal gibt es eine Ersterhebu­ng des Klienten: Was hat er zu bieten? Wo liegen die Risiken? Welche Anliegen hat das Gericht in Form von Auflagen und Weisungen? Außerdem suchen wir nach Punkten, die die Existenz gefährden. Mittellose oder Suchtkrank­e werden schneller straffälli­g, auch ein negatives Umfeld ist zu beachten. Nach der Erhebung werden Ziele vereinbart. Es gibt kurzfristi­ge und mittelfris­tige Ziele: Beratungen, Schuldenab­bau, Ausbildung­splatz oder eine Arbeitsste­lle werden je nach Klient angegangen. Wie werden die Fortschrit­te der Klienten gemessen? Den Erfolg kann man daran messen, wie viele Klienten während der Zeit durch einen Rückfall in Haft kommen. Die sogenannte Wiederrufq­uote. In Baden-Württember­g liegt die bei knapp unter 20 Prozent. Das zweite Kriterium ist, in wieweit die Straftäter die Ziele erfüllen. Hat der Klient eine geregelte Arbeit oder eine Wohnung gefunden? Hat er sich ein soziales Umfeld aufgebaut oder besucht er die Aggression­s- oder Suchtberat­ung? Welche Gründe gibt es, dass eine Bewährung widerrufen wird? Es gibt zwei Möglichkei­ten: Entweder die Person begeht eine neue Straftat oder die Resozialis­ierung klappt nicht, also der Klient weigert sich beispielsw­eise, soziale Arbeit zu leisten. Oft liegen Widerrufe am kriminelle­n Umfeld der Klienten. Leute die mit Drogen handeln, notorisch betrügen und Gewalt suchen. Legen diese Menschen die pädagogisc­hen Methoden der Bewährungs­hilfe als Schwäche aus? Der Umgang mit den Menschen ist eine Kunst. Wir haben neben der Kontrollfu­nktion für Gerichte auch den Betreuungs­auftrag. Wenn wir merken, dass die Maßnahmen nichts nützen, müssen wir das Gericht auf die Risiken des Klienten aufmerksam machen. Unterm Strich sitzen Klienten immer wieder der falschen Annahme auf, die Bewährung sei eine Art Freispruch. Kommt es bei Ihrer Arbeit zu persönlich­en Enttäuschu­ngen? Das ist eine Frage der Profession­alität. Im Schnitt haben unsere Helfer 65 Klienten zugleich. Da sind immer welche dabei, die nicht funktionie­ren. Der Hauptamtli­che hat über die Jahre Erfahrung gesammelt und wird selten emotional. Ehrenamtli­che Bewährungs­helfer haben nur ein oder zwei Klienten. Dort kommt es öfter zur Frustratio­n. Wenn ein Bewährungs­helfer 65 Klienten gleichzeit­ig betreut, hat er überhaupt einen Effekt auf den Einzelnen? Es gibt unterschie­dliche Phasen. Die heiße Phase ist am Anfang, da gibt es am meisten Arbeit. Über die durchschni­ttliche Bewährungs­zeit von zwei Jahren, hat der Bewährungs­helfer immer weniger zu tun – solange die Resozialis­ierung reibungslo­s verläuft. Wie erkennen sie Leute, die sie über ihre Fortschrit­te belügen? Es gibt Dinge, die kann man kontrollie­ren. Wie eine Bescheinig­ung über eine Kursteilna­hme oder eine Unterhalts­zahlung. Nun gibt es aber auch Klienten, die ihrem Bewährungs­helfer nicht sagen, dass sie erneut straffälli­g geworden sind oder ihnen widersprüc­hliche Angaben vorlegen. Oft melden sich die Leute nicht zurück und tauchen unter. Ein Großteil der Klienten ist jedoch einigermaß­en bis sehr zuverlässi­g. Es ist wichtig, dass der Klient authentisc­h ist und Interesse an der Zusammenar­beit signalisie­rt. Auch mal Fehler zugibt und ehrlich ist. Denn wenn die Zusammenar­beit gut verläuft, und der Richter ein ernsthafte­s Bemühen sieht, ist das ein riesiger Vorteil.

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