Britisches Kabinett billigt Brexit-Entwurf
Einigung nach fünfstündiger Marathonsitzung – Scharfe Kritik im Unterhaus
LONDON - Die britische Premierministerin hat am Mittwochabend die vorläufige Brexit-Vereinbarung mit der EU gegen vehemente Kritik, nicht zuletzt aus den eigenen Reihen, verteidigt. „Dies ist der bestmögliche Deal für unser Land. Er ist im nationalen Interesse“, sagte Theresa May vor ihrem Amtssitz in der Downing Street nach einer mehr als fünfstündigen Sondersitzung des Kabinetts, die von der Regierungschefin als „detailliert und leidenschaftlich“gekennzeichnet wurde. Die von EU-Feinden in der konservativen Fraktion vehement geforderten Rücktritte gleichgesinnter Minister blieben bis zum Abend aus. LabourOppositionsführer Jeremy Corbyn kündigte Widerstand gegen die Vereinbarung an: Diese stelle „die schlechteste aller Welten“dar.
Einem BBC-Bericht zufolge wollen empörte Brexit-Ultras eine Vertrauensabstimmung über die Parteichefin herbeiführen. Dazu sind schriftliche Anträge von 48 der 316 konservativen Unterhaus-Abgeordneten notwendig. Dem Parteistatut zufolge muss sich die Vorsitzende dann einer Abstimmung stellen und bei einer Niederlage vom Parteivorsitz zurücktreten. Da bisher eine klare Mehrheit der Fraktion hinter May stand, galt dieser Ausgang stets als unwahrscheinlich.
Nach dem grünen Licht durch das Kabinett sollte über Nacht das mehr als vierhundert Seiten starke Paket aus Austrittsvertrag und politischer Erklärung über die zukünftige Zusammenarbeit veröffentlicht werden. Für heute ist eine ausführliche Befragung der Premierministerin im Unterhaus geplant.
Am Mittwoch wurde die Fragestunde der Premierministerin zur Mittagszeit erschwert durch die Tatsache, dass außer May und engen Gefolgsleuten niemand die genauen Einzelheiten der Vereinbarung kannte. Das Verhandlungsergebnis bringe „das Vereinigte Königreich dem Ziel der Volksabstimmung erheblich näher“, argumentierte die Premierministerin. Die Briten hatten im Juni 2016 mit 52:48 Prozent für den EU-Austritt votiert. „Wir verlassen Binnenmarkt und Zollunion sowie die gemeinsame Agrar- und Fischereipolitik“sagte sie. Durchlässige Grenze soll bleiben Bei den Verhandlungen mit EUChefunterhändler Michel Barnier stand seit Monaten der zukünftige Status von Nordirland im Mittelpunkt. London, Dublin und Brüssel hatten sich frühzeitig darauf geeinigt, die extrem durchlässige Grenze zwischen der britischen Nordprovinz und der Republik im Süden solle auch in Zukunft offen bleiben. Deshalb wird nun offenbar das gesamte Vereinigte Königreich in der Zollunion mit der EU sowie Nordirland in Teilen des Binnenmarkts verbleiben, bis das Königreich und die EU eine neue Handelspartnerschaft vereinbart haben. Presseberichten in London zufolge stellten wichtige EUMitglieder wie Italien, Deutschland und die Niederlande für dieses Entgegenkommen harte Bedingungen. So muss sich die Insel während ihrer Mitgliedschaft in der Zollunion auch zukünftig an EU-Mindeststandards in der Arbeits- und Umweltgesetzgebung halten. Unklarheit bestand bis zuletzt darüber, ob und wann die sogenannte Auffanglösung für Nordirland enden solle. Insbesondere die irische Regierung unter Premier Leo Varadkar hatte sich dagegen gewehrt, den Briten ein einseitiges Kündigungsrecht zu gewähren, wie von den Brexiteers verlangt. Wie unzufrieden gerade viele Konservative mit dem Verhandlungsergebnis sind, verdeutlichte ein Brexit-Ultra im Unterhaus. „Sie verlieren heute das Vertrauen vieler konservativer Abgeordneter und Millionen von Wählern im Land“, sagte Peter Bone an seine Parteichefin gewandt.
Ganz offen paktieren die konservativen EU-Feinde, darunter auch Ex-Parteichef Iain Duncan Smith, mit der fundamentalistischen Unionistenpartei Nordirlands, der DUP. Deren Fraktionschef Nigel Dodds kündigte an, seine Partei werde dem Deal, „soweit bekannt“, nicht zustimmen können. Das ist für die Premierministerin insofern problematisch, weil ihr die zehn DUP-Abgeordneten der konservativen Minderheitsregierung bisher bei wichtigen Abstimmungen zur Seite standen.
Zu Wort meldeten sich am Mittwoch auch die schottischen Konservativen, die mehrheitlich für den EUVerbleib geworben hatten. Sie beharren nun darauf, dass ihr Land so bald wie möglich die EU-Fischereiregeln hinter sich lässt.