Das groteske Universum des Herrn Meese
Der Künstler nimmt die Besucher in München mit auf eine Reise in seine Fantasiewelten
MÜNCHEN - Das Groteske ist immer laut, krass, oft sexuell konnotiert. Es zerstört die großen Gesten, macht sich lustig über sie und fordert wilden Genuss. Jonathan Meese feiert in seiner Kunst das Groteske. Er spielt mit Nazisymbolik herum, betreibt auf der Leinwand gigantische Materialschlachten und liebt es verbal zu provozieren. Die neue Ausstellung „Die Irrfahrten des Meese“in der Pinakothek der Moderne in München zeigt jetzt erstmals auch seine lyrische Seite.
Weder politische noch soziale, ja nicht einmal ästhetische Kategorien zählen für Meese, wenn die Kunst über ihn kommt. In seinen Arbeiten verwurstet er alles, was ihm in die Finger kommt: von Aufnahmen mit Claudia Schiffer über die eigene Unterhose bis zum Eisernen Kreuz. Der Mann mit langer Mähne, in Trainingsjacke und schwarzer Hose scheint ein manischer Sammler zu sein. „In der Kunst kann man tatsächlich fliegen. Dabei sollte man alles riskieren und niemals sich selber zensieren“, sagt der 48-Jährige in München. Für Meese ist Kunst auch keine Geschmacksfrage, sondern „eine Frage der Notwendigkeit“. Sein Blick auf die Welt formuliert sich deshalb nicht nur in Malerei, Skulptur, Zeichnung, Installation oder Performance, sondern auch in Wort und Text.
Die neue Ausstellung ist retrospektiv und wie ein Labyrinth angelegt. Kern der Schau bilden 18 Gemälde aus der Zeit von 2003 bis 2018, von denen einige noch nie öffentlich zu sehen waren. Hinzu kommen Raummodelle, Kleinplastiken, Zeichnungen, Fotocollagen und Künstlerbücher aus verschiedenen Jahrzehnten sowie ein von ihm entworfener Teppich auf dem Boden. Alles zusammen wird in einem einzigen großen Raum präsentiert. Der Teppich ist voller Hinweise und Symbole, er bildet sozusagen die Topografie der Ausstellung: „Die Irrfahrten des Meese“als Gesamtkunstwerk. Wie ein Odysseus der Gegenwart nimmt der Künstler aus Berlin den Besucher mit auf eine imaginierte Reise. Wobei die Kuratoren Bernhart Schwenk und Swantje Grundler wohldosiert exemplarische Werke aus über 20 Jahren ausgewählt und zu verschiedenen Stationen gruppiert haben.
Meeses Pinselstrich ist wild, die Farben laut und bunt. Schlagworte in krakeliger Kinderhandschrift tauchen auf. Eine Frau mit mächtig erigiertem Penis und tropfender Brust, eine brennende Burg mit Scheißhaufen, ein Diktatorenkartenspiel, amorphe Wesen halb Mensch, halb Tier wie „Mr. Oktn“, der Gott des Benzins, – sie alle dienen dem Künstler als Spielzeug. Spielerisch sind aber nicht nur seine Malereien, sondern auch sämtliche anderen Arbeiten angelegt. Hier ballern Räuber und Gendarm um die Wette, dort steckt Barbie kopfüber in einem Gipskarton, nebenan leben Fantasiewesen in Luftblasen unter Wasser und gegenüber tanzt sich der Künstler in einem Video die Seele aus dem Leib. Guten Willen mitbringen Um das Universum des Herrn Meese zu erkunden, muss man in der Tat etwas guten Willen mitbringen. Für den Künstler sind die gezeigten Arbeiten alles „kleine Sehnsuchtsorte“. Auf den Besucher wirken sie dagegen eher wie Alpträume. Man wird das Gefühl nicht los, dass er bewusst spinnt, um sich wichtig zu machen bei seinem Kampf gegen die Dämonen und auf der Suche nach Eldorado. Im Interview mit „Zeit online“sagte Meese neulich: „Es gibt keine bösen Zeichen, keine bösen Gesten und keine bösen Wörter. (…) Gegenstände sind nie böse, das sind nur Projektionen.“Man kann es sich auch einfach machen.
Normalerweise redet sich Jonathan Meese in der Öffentlichkeit gern in Rage. Berühmt berüchtigt ist sein Hitlergruß, für den er dann auch vor Gericht stand. In München bleibt er dagegen trotz allen Schwadronierens erstaunlich zahm. Immer wenn er loslegen will, greifen die Kuratoren ein und lenken ihn bewusst in gemäßigte Bahnen.
Was man gern ausblendet, ist, dass der Künstler sehr belesen ist und sich sich für klassische Musik und alte Filme interessiert. Seine Werke sind voller Anspielungen und Bezüge auf die griechische Mythologie, auf blutrünstige Herrscher, auf Komponisten wie Richard Wagner oder Leinwandhelden wie Alexis Sorbas – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Sprich, seine Kunst wirkt bei genauem Hinsehen erstaunlich lyrisch, erinnert an den Dadaismus. Darüber hinaus hat Meese ein gutes Gespür für Farben und Kompositionen. Und er bringt einen mit seiner überbordenden Fantasie immer wieder zum Lachen. Zugleich stoßen seine Arbeiten auch vor den Kopf. Man fragt sich, ob dieser Typ uns nicht alle nach Strich und Faden veräppelt. Meese selbst sieht das natürlich anders. Für ihn ist es „das Schlimmste, Leute zu unterfordern“. Und deswegen feiert er in seiner Kunst laut, krass und sexuell immer wieder aufs Neue das Groteske. Bis 3. März 2019 in der Pinakothek der Moderne, Öffnungszeiten: Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 1020 Uhr. Zur Ausstellung ist ein handliches Katalogbuch entstanden. Weitere Infos auch zu den Führungen unter: www.pinakothek.de