Toleranz braucht immer ein Problem
Experten diskutieren mit Bürgern über den Begriff „Toleranz“.
TROSSINGEN – Die UNESCO hat 1995 den 16. November zum „Internationalen Tag der Toleranz“ausgerufen. Aus diesem Anlass fand in der Stadtbücherei Trossingen eine Gesprächsrunde zum Thema Toleranz statt.
Das Quartett, bestehend aus dem Leiter der Bücherei, Ralf Sorg, Pfarrer Thomas Schmollinger von der Trossinger katholischen Kirche, Jens Kistenfeger von der VHS sowie Christoph Schneider, Professor für Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, gestalten diesen Abend rund um den Begriff Toleranz.
Aber was ist Toleranz überhaupt? Ralf Sorg zitiert dazu erst einmal den Brockhaus: Toleranz kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „ertragen“, „Geduld“, andere Sitten, Gewohnheiten oder Anschauungen zu akzeptieren. Gegenteile sind Fanatismus und Intoleranz.
Christoph Schneider weitet diese Definition aus: „Wenn man tolerant ist, setzt dies immer ein Problem voraus.“So setzt eine geäußerte Toleranz beispielsweise einem Behinderten gegenüber voraus, „dass ich eigentlich ein Problem mit behinderten Menschen habe“, fuhr Schneider fort.
Welche Art von Problemen fordern uns heraus, über Toleranz nachzudenken? Wann ist dieser Begriff angemessen? Um Toleranz geht es vor allem, wenn man von Meinungsverschiedenheiten spricht. „Tolerant ist, wer die andere Meinung keinesfalls vertritt, sie aber akzeptiert und einfach so stehen lässt“, weiß Schneider.
Man merkt schnell, dass Toleranz ganz offensichtlich auf einem schmalen Grad wandelt: „Nicht zu verwechseln mit Gleichgültigkeit – dann vertrete ich nicht mehr meinen Standpunkt“, fügt er hinzu. Wozu Toleranz? Auch Maschinen haben Toleranzen – wenn es um maximale Abweichungen von der Norm geht. Überträgt man dies auf die Gesellschaft, kommt man zum Schluss, „dass die Toleranz ein Schmiermittel ist, sodass wir nicht heiß aneinander reiben“, veranschaulicht Schneider – sprich: Wir brauchen auch gewisse Abstände untereinander.
Pfarrer Thomas Schmollinger versuchte, sich dem Thema Toleranz aus einem religiösen Blickwinkel zu nähern, „wobei es biblisch gesehen diesen Begriff nicht gibt“, merkt er an. Die christliche Toleranz zumindest meint, dass alle Menschen zunächst gleichwertig seien. Toleranz bedeutet, „andere anzunehmen, auch wenn sie Fremde sind.“Die bekannte Regel lautet: „Liebe deinen Nächsten.“
Schmollinger blickt auf seine Zeit in Uganda. Hier begegnen sich Christen und Muslime jeden Tag. „Ich frage mich, warum ich das nicht in Trossingen erlebe“, sagt er.
Die Frage, warum wir Toleranz brauchen, sei einfach zu beantworten: „Es gibt so viele Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, Bräuchen und Kulturen – friedliches Zusammenleben kann auf Dauer nur funktionieren, wenn jedem Individuum und jeder Gruppe weitestgehend das Recht zugesprochen wird, so sein zu dürfen, wie er ist“, zitierte Jens Kistenfeger den Inklusionsbeauftragten Jörg Zwecker, der an diesem Abend kurzfristig verhindert war.
Anschließend war ausgiebig Zeit für das Publikum, sich mit den Experten zu unterhalten und auszutauschen. Vor allem die heutigen Zustände und Probleme, wie das Einspannen von Religionen in die Politik, wurden unter Beleuchtung der Toleranz rege diskutiert.