Merz verteidigt seinen Vorstoß zum Grundrecht auf Asyl
CDU-Spitzenpolitiker präzisiert seine Vorschläge – Kritik von der SPD
HALLE/BERLIN - Der für den Parteivorsitz kandidierende CDU-Politiker Friedrich Merz hat seine Äußerungen zum Grundrecht auf Asyl verteidigt. „Ich bin für die Beibehaltung des Grundrechts auf Asyl. Punkt“, sagte Merz am Donnerstagabend auf der vierten CDU-Regionalkonferenz in Halle an der Saale. Nötig sei aber eine europäische Lösung. Allerdings sei in Europa keine gemeinsame Asylgesetzregelung möglich, weil im Grundgesetz das Individualrecht auf Asyl stehe ohne Gesetzesvorbehalt, wie Merz sagte. „Wenn wir europäische Lösungen haben wollen, dann müssen wir bereit sein, diesen Gesetzesvorbehalt aufzunehmen“, sagte er.
Merz sagte, was er diskutieren wolle, sei, ob einzelne Asylregelungen nicht über normale Gesetze erfolgen müssten. Derzeit sei alles in den verschiedenen Absätzen des Grundgesetzartikels 16a geregelt – alles mit Verfassungsrang. So könne man niemals zu einer gemeinsamen europäischen Praxis kommen.
Auf der Regionalkonferenz im thüringischen Seebach hatte Merz am Mittwochabend gesagt, es müsse darüber diskutiert werden, ob das im Grundgesetz verankerte Individualrecht auf Asyl „in dieser Form fortbestehen kann, wenn wir ernsthaft eine europäische Einwanderungsund Flüchtlingspolitik wollen“. Damit hatte er sich viel Kritik eingehandelt. Vertreter aller Parteien – mit Ausnahme der AfD – hatten ihm vorgeworfen, das Recht auf Asyl in Deutschland infrage zu stellen.
Kritik kam auch von Annegret Kramp-Karrenbauer, Merz’ schärfster Konkurrentin um den CDU-Vorsitz. „Die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl oder eine Einschränkung halte ich mit dem Wesenskern der CDU für nicht vereinbar“, sagte sie. Spahn, der dritte Kandidat, zeigte sich derweil offen für eine Debatte. Er nannte das Grundrecht auf Asyl „eine große Errungenschaft“. Das Problem sei, „dass es heute zu oft ausgenutzt wird und zu ungesteuerter Migration führt“.
Widerspruch kam von Pro Asyl, der Caritas – und der Opposition. Deutlich wurde auch Finanzminister Olaf Scholz. Der Parteivize von Koalitionspartner SPD forderte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“einen „nüchternen und pragmatischen Umgang“mit Flucht und Migration. Die SPD werde das Grundgesetz „vehement verteidigen“.
Merz erklärte am Abend in Halle, er sei falsch interpretiert worden: „Ich will eine geregelte Einwanderung.“Zugleich forderte der 63-Jährige, der von „Totschlagargumenten“sprach, eine „offene Diskussionskultur“.
BERLIN - Spötter behaupten, dass Friedrich Merz auch deshalb so populär ist, weil jeder über 45 sich wieder 20 Jahre jünger fühlt, wenn er ihn hört. Die bisweilen schneidige Stimme, die klare Sprache, das – gerne mit dem Finger begleitete – Merz-Stakkato.
Auch provoziert hat Merz schon früher gerne. Von ihm stammt der Begriff der „gewachsenen, freiheitlichen deutschen Leitkultur“, an die sich Zuwanderer anpassen müssten, die auf Dauer hier leben wollen. Das Missverständnis, das sein Bierdeckel-Bild hervorrief, ließ er bewusst laufen. Er meint, dass jeder seine Steuer auf einem Bierdeckel ausrechnen können solle. Verstanden wurde, dass die Steuererklärung eines jeden auf einen Bierdeckel passen solle. Eine kalkulierte Provokation In diesem Zusammenhang ist auch seine Bemerkung vom Mittwochabend bei der CDU-Regionalkonferenz in Dresden zu verstehen, über das individuelle Asylrecht diskutieren zu wollen, das Deutschland als einziges Land in Europa habe und das deshalb Schwierigkeiten bereite. Seine Aussage kommt kalkuliert und ruhig. Ganz bewusst scheint Merz diesen Stein ins Wasser zu werfen, um mal zu testen, wo und wie die Wellen so ans Ufer schlagen. Das daraus entstehende Unverständnis und die wütenden Reaktionen dürfte er billigend in Kauf genommen haben. Er wiederholt seine Aussage bei der Regionalkonferenz am Donnerstagabend in Halle an der Saale – inklusive einer Spitze gegen Journalisten, die ihn dafür kritisiert hatten.
Denn die Zweifel an der Tauglichkeit des individuellen Asyls sind tatsächlich kein Phänomen der rechten Ecke der CDU. Im Gegenteil, es gibt sie auch bei Christdemokraten, die sich deutlich weiter links in der Partei befinden als Merz. Öffentlich gemacht hatte die Bedenken aber noch niemand, weil sie zu große Empörung erwarten ließen. Kein Wunder, dass sowohl Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer wie auch der andere Bewerber um den Parteivorsitz, Gesundheitsminister Jens Spahn, sich von der Idee distanzierten: Kramp-Karrenbauer deutlich, Spahn eher in Nuancen. Merz profiliert sich Merz ist mit diesem Vorstoß endgültig wieder auf Betriebstemperatur. Galt es am Anfang als ausgemacht, dass das Verfahren der Regionalkonferenzen eher seiner Konkurrentin auf den Parteivorsitz Annegret Kramp-Karrenbauer nutzen werde, hat sich das Bild nach der nunmehr vierten Regionalkonferenz gedreht.
Von den Dreien, die Angela Merkel an der Spitze der CDU beerben wollen, ist es der 63-jährige Sauerländer, der am meisten von den Auftritten profitiert. Merz war nervös, als er in der vergangenen Woche zum Start der Regionalkonferenzen in Lübeck das erste Mal seit langen Jahren wieder vor eine größere Gruppe CDUMitglieder trat und eine Rede hielt. Die Stimme verrutschte ihm, das Herz schlug offensichtlich hoch. In diesen zehn Minuten ging manches daneben, zündete nicht.
Man darf davon ausgehen, dass ihm zu diesem Zeitpunkt das sichere Bauchgefühl von früher fehlte, das einen erfahrenen politischen Redner die Applauspunkte im Schlaf setzen lässt. Es fehlte dieses mächtige Gefühl, das sicher durch die Rede leitet, dem ganzen Vortrag Schwung verleiht und diesen Rausch auslöst, für den so viele Politikprofis leben.
Spätestens seit seinem Auftritt an diesem Donnerstagabend in Halle kennt Merz die Temperatur des Ladens wieder ganz gut. Er hat sich eingefunden in die Pointen und Spitzen und Erklärungen seines Textes, hat die Gefühlslage der Partei wieder erfasst.
Zur entscheidenden Rede auf dem Parteitag Anfang Dezember in Hamburg wird er wieder völlig drin sein.