2,13 Milliarden Überstunden
Hälfte der Mehrarbeit unbezahlt – DGB-Chef empört
BERLIN (dpa) - Die Arbeitnehmer in Deutschland leisten immer mehr Überstunden. Die Zahl der Überstunden pro Arbeitnehmer stieg im Schnitt von 48 im Jahr 2016 auf 53,2 im vergangenen Jahr. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervor. 2015 waren es 47,3 Überstunden pro Arbeitnehmer, in den Jahren davor 46,9 beziehungsweise 47,3. Bezahlt waren im vergangenen Jahr im Schnitt 26,7 Überstunden pro Arbeitnehmer, unbezahlt 26,5. Insgesamt häuften die beschäftigten Arbeitnehmer 2017 rund 2,13 Milliarden Überstunden an.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund zeigte sich alarmiert. Die Zahl habe „ein unerträgliches Maß erreicht und bedeutet ein hohes gesundheitliches Risiko für die Beschäftigten“, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann. Ein Skandal sei die Tatsache, dass die Hälfte der Überstunden nicht bezahlt werde.
RAVENSBURG - Wunsch und Wirklichkeit klaffen selten so extrem auseinander wie in der deutschen Arbeitswelt: Während sich jeder zweite Erwerbstätige wünscht, weniger zu arbeiten – im Schnitt vier Stunden –, haben eben diese Arbeitnehmer im vergangenen Jahr 2,1 Milliarden Überstunden angehäuft. Erstes geht aus einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz hervor, zweites aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag. Erschwerend kommt hinzu: Nur die Hälfte der Mehrarbeit wird tatsächlich vergütet. Rund eine Milliarde Überstunden blieb 2017 unbezahlt.
Im Vergleich zu 2016 haben die Überstunden damit um knapp 13 Prozent zugenommen. Noch mehr Überstunden hatten die Deutschen zuletzt im Jahr 2007. Die Daten stammen vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.
DGB-Chef Reiner Hoffmann warnte vor einem hohen gesundheitlichen Risiko für die Beschäftigten. Angesichts der vielen unbezahlten Überstunden sprach er von „Lohndiebstahl“. Die Linken-Arbeitsmarktpolitikerin Jessica Tatti bezeichnete die aktuellen Zahlen als „skandalös“. Sie zeigten, dass sich viele Arbeitgeber auf dem Rücken ihrer Beschäftigten bereicherten, so Tatti. Für Unternehmen zahle sich das aus. Allein im Jahr 2017 hätten sie über 36 Milliarden Euro gespart, weil die Beschäftigten Überstunden zum Nulltarif geleistet hätten.
Was auch aus der Anfrage hervorgeht: Jeder Fünfte in Deutschland arbeitete im vergangenen Jahr unterhalb der Niedriglohnschwelle. Das sind weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns. Bei den Frauen liegt sogar jede Vierte unter dieser Schwelle.
Kritik kam deshalb auch von der Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele: „Es darf nicht sein, dass immer mehr Menschen trotz Arbeit arm sind und nicht in gesicherten Verhältnissen leben können“, sagte sie. Bentele forderte einen Mindestlohn von mehr als zwölf Euro in der Stunde. Unzufrieden mit Überstunden Dabei zeigt die Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz: Je mehr Überstunden Arbeitnehmer leisten, desto größer ist der Wunsch, früher Feierabend zu machen. Bei Beschäftigten, die nur zwei Überstunden pro Woche machen, wollen nur 38 Prozent der Befragten ihre Arbeitszeit reduzieren. Bei denen, die mehr als zehn Überstunden pro Woche schieben, steigt der Anteil auf 71 Prozent.