Früher europabegeistert, heute Land der EU-Skeptiker
Italien ist Gründungsmitglied der Europäischen Union – Die jetzige Regierung setzt die europäische Zukunft aufs Spiel
ROM - „Europa?“, fragt der Taxifahrer nach. „Europa, das ist doch nur ein Fass ohne Boden, da regieren nicht vom Volk gewählte Bürokraten, die uns Italiener finanziell ausbluten lassen wollen.“Dann schimpft der Mittfünfzigjährige in römischem Dialekt unverständlich vor sich, um, beim Bezahlen der Taxifahrt, noch hinzuzufügen, in verständlichem Italienisch, dass „Italien wieder ein souveräner Staat werden muss“.
Ähnlich denken immer mehr Italiener. Umfragen belegen, dass rund 45 Prozent aller Italiener der EU skeptisch gegenüber stehen. Für 20 Prozent müsste Italien aus der Union austreten.
„Italien zuerst“ist auch das Stichwort, bei dem Matteo Salvini die Augen leuchten. Der Chef der rechtsradikalen Regierungspartei Lega ist eigentlich Innenminister, verhält sich aber eher wie ein Außenminister, der dem restlichen Europa zeigen will, dass er die „nicht vom Volk gewählte EU-Kommissionsbande“nicht akzeptiert.
Auch die andere Regierungspartei, die populistische Fünf-SterneBewegung M5S, hat mit dem vereinten Europa nicht viel im Sinn. M5SMitgründer und Ex-Komiker Beppe Grillo plädiert für den „Italexit“. „Nur raus aus dem Sauhaufen, wo man uns Italiener wie ein Hündchen an der Leine führt“, tönt Grillo. Ein Kurs wie in Polen und Ungarn Lang vorbei sind die Zeiten der vorbildhaften Europabegeisterung der Italiener. 1952 gehörte das Land zusammen mit der Bundesrepublik, mit Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Luxemburg zu den Gründern der Europäischen Gemeinschaft, die aus der sogenannten Montanunion entstanden war. Innerhalb der heutigen EU mit mehr als sechsmal so vielen Mitgliedsstaaten ist Italien die drittstärkste Volkswirtschaft. Und inzwischen auch jenes Land, das wie Polen und Ungarn, einen EU-kritischen bis EU-feindlichen Kurs fährt.
Im Unterschied zur sozialdemokratischen und liberalen Opposition sei es den regierenden Parteien Italiens egal, ob die EU untergeht oder nicht, meint Giuseppe De Rita, Präsident des römischen Sozialforschungsinstituts Censis. „Sie wollen die EU nur ausnutzen, sie wie eine Orange auspressen. Unserer Regierung geht es nicht um eine sicherlich notwendige Reform der Union“.
Angesichts der Tatsache, dass die Regierungsparteien in Umfragen mehr als 60 Prozent aller Italiener auf ihrer Seite wissen, müsse davon ausgegangen werden, sagt der ehemalige sozialdemokratische Regierungschef Matteo Renzi, dass „die EU in Italien im Moment für viele Menschen ein Auslaufmodell ist“. Vorreiter wie in den 1920ern? In Sachen Anti-EU-Stimmung hat Italien im westlichen Europa die Führungsposition übernommen. Italien könnte, meint der Philosoph und Linkspolitiker Massimo Cacciari, „wie schon 1922 mit dem Aufkommen des Faschismus erneut eine politische Avantgarde-Position einnehmen, für ein neues Europa der Vaterländer, das die EU zu reiner Makulatur werden lässt“. Lega und M5S unterlassen verbal nichts, um alles, was mit der EU zu tun hat, „in den Dreck zu ziehen“, so Cacciari.
Der einflussreichste Pro-Europäer ist Staatspräsident Sergio Mattarella. Es vergeht keine Woche, in der er nicht warnende Worte ausspricht. Etwa gegen den Haushalt für 2019, in dem hohe Neuschulden eingeplant werden, was die EU entschieden ablehnt. Mattarella zufolge untersagt die Verfassung solches Schuldenmachen, weil damit die Sparguthaben der Italiener und die Banken in Gefahr gebracht werden.
Unschwer ist eine Auseinandersetzung zwischen dem Staatspräsidenten und der Regierung vorauszusehen. Noch hat Mattarella ein Vetorecht bei vielen Gesetzesprojekten. Noch. Schon ist in der Regierung die Rede davon, die Verfassung zu ändern, sodass zukünftig die Staatspräsidenten nicht mehr von den Abgeordneten des Parlaments sondern direkt vom Volk gewählt werden können. Aber soweit ist es noch nicht. Und so kann Mattarella mitreden, und die schlimmsten antieuropäischen Auswüchse mit dem Hinweis auf die Verfassung und die Abkommen mit der EU unter Umständen abwenden. Alle Teile unserer Europa-Serie finden Sie online auf schwäbische.de/serie-europa