72 Kameras als Augen des Gesetzes
In Mannheim wird im Kampf gegen die Straßenkriminalität der Einsatz von „intelligenter Videoüberwachung“getestet – Innenminister Strobl: „Europaweit einzigartig“
MANNHEIM (lsw) - Als europaweit erste Stadt testet Mannheim seit Montag eine „intelligente Videoüberwachung“zur besseren Bekämpfung der Straßenkriminalität. „Dabei geht es nicht um Gesichtserkennung, sondern um das Erkennen von Verhaltensmustern“, sagte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) in Mannheim. Zunächst startete die Videoüberwachung am Hauptbahnhof. Weitere Kriminalitätsbrennpunkte sollen innerhalb der kommenden Monate und Jahre folgen. Mannheim investiert 900 000 Euro in das System. Das Land Baden-Württemberg beteiligt sich mit weiteren 700 000 Euro.
Geplant ist, dass 72 Kameras verschiedene Plätze in der Innenstadt und dem Stadtteil Neckarstadt fokussieren. Getestet werden soll das System innerhalb der kommenden fünf Jahre, wie Mannheims Erster Bürgermeister Christian Specht (CDU) am Montag sagte.
Wie funktioniert die auf Algorithmen basierende Überwachung, die nach Angaben des Innenministers europaweit bisher einzigartig ist? Wird etwa ein Passant geschlagen, erscheint auf dem Bildschirm im Lagezentrum der Mannheimer Polizei ein Hinweis. Deren Präsident Thomas Köber betonte, dass Beamte auf Basis der Kamerabilder die Situation bewerten und erst dann über einen Einsatz entschieden wird. „Es entscheidet nicht die Maschine, es entscheidet der Mensch“, sagte Köber.
Wer am Montag einen Blick in das Lagezentrum der Mannheimer Polizei werfen konnte, sah Beamte vor zahlreichen Bildschirmen sitzen und den Kameraübertragungen folgen. Im Falle einer Gewalttat oder beispielsweise eines Handtaschendiebstahls sollen Beamte mithilfe farblicher Veränderungen auf dem gezeigten Bildausschnitt das Ausmaß erkennen. Im Zweifelsfall können sie das Kamera-Auge wechseln und die Akteure besser in den Fokus rücken. Daten werden wieder vernichtet Rechtliche Bedenken gibt es aus Sicht des Innenministers an dieser Praxis nicht. Das jüngst geänderte Polizeigesetz des Landes stehe in Einklang mit der Anwendung der neuen Technologie. Das bestätigte Baden-Württembergs Datenschutzbeauftragter Stefan Brink. Ihm zufolge gibt es zurzeit keinen Anlass zur Kritik. „Nach wie vor ist Grundvoraussetzung, dass der überwachte Bereich als Kriminalitätsschwerpunkt identifiziert wurde, was durch entsprechende Zahlen nachzuweisen ist“, teilte er mit. Außerdem würden laut Strobl private Bereiche wie Wohnungen verpixelt. Man wolle auch keinen Datenvorrat anlegen, wie er sagte. Daher werden die Aufzeichnungen lediglich 72 Stunden aufbewahrt und dann vernichtet.
Entwickelt wurde die Software vom Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung (IOSB) in Karlsruhe. Von einer finalen Anwendungsreife kann laut IOSB noch nicht die Rede sein. „Mit der Anwendung im öffentlichen Raum wird völliges Neuland betreten“, hieß es dazu. Für Minister Strobl ist das Projekt dennoch jetzt schon „Pionierarbeit made in BadenWürttemberg“.
Auch ein solches System gerät nach Polizeiangaben an seine Grenzen. Man wolle nun testen, wie gut bestimmte Verhaltensmuster, etwa Schlagen oder Treten, überhaupt durch die entsprechenden Algorithmen erkannt werden können. Davon abgesehen gebe es auch die alte Diskussion, wonach sich im Zuge der Kameraüberwachung die kriminelle Szene in andere Bereiche, in nicht überwachte Gebiete, zurückziehe.
„Wir stehen heute am Anfang eines Entwicklungsprozesses und nicht am Beginn einer voll einsatzfähigen Videoüberwachung“, hieß es auch vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im Stuttgarter Landtag, Sascha Binder. Auch Strobl sagte in Mannheim, die neue Technik sei kein Allheilmittel.