Macron muss den Graben zuschütten
Emmanuel Macron ist in einem Wettlauf gegen die Zeit. Nur bis Samstag hat der Präsident Gelegenheit, die Gelbwesten so weit zu beruhigen, dass sie nicht noch einmal in Paris wüten. Denn Bilder wie zuletzt, als rund um den Triumphbogen der Bürgerkrieg herrschte, kann sich der Staatschef nicht noch einmal leisten. Er muss nun zeigen, dass er die Lage noch in Griff hat.
Die Bewegung der Gelbwesten scheint wie der Geist, der aus der Flasche entwichen ist. Selbst die Zusage, die umstrittene Ökosteuer zu verschieben, kann die Proteste nicht stoppen. Diejenigen, die alles kaputt schlagen wollen, sind stärker als die, die für mehr Kaufkraft kämpfen. Mit Demokratie hat die Bewegung kaum noch etwas zu tun. Wie könnte sonst einer ihrer Anführer fordern, dass ein General den Premierminister ersetzen soll? Spätestens bei diesem Szenario müsste jedem klar werden, dass man auf Parteien und Gewerkschaften angewiesen ist, um wichtige Forderungen durchzusetzen.
Doch auch die Parteien scheinen vom gelben Fieber angesteckt. Die Liste derer, die auf der Suche nach Wählerstimmen noch Öl ins Feuer gießen, reicht von den Konservativen bis zum früheren Front National. Er profitiert als Einziger von der Krise. Marine Le Pen, nach ihrer Niederlage gegen Macron schon abgeschrieben, erlebt mit den Protesten ihre politische Wiederauferstehung. Die Forderungen, die die Demonstranten erheben, sind so konfus und inkohärent wie die Chefin des früheren Front National selbst.
Vor anderthalb Jahren war es Macron selbst, der in einer einzigen Fernsehdebatte Le Pens wirre Rhetorik entlarvte. Nun ist der Staatschef wieder gefragt – mit einer sozialpolitischen Wende. Denn nur mehr Gleichheit kann die Proteste auf Dauer beenden und den Populisten das Wasser abgraben. Um Maßnahmen wie eine Erhöhung des Mindestlohns kommt er wohl nicht herum, auch die Abschaffung der Vermögensteuer gehört auf den Prüfstand. Macron hat den Graben zwischen Arm und Reich in den vergangenen 18 Monaten vertieft. Nun muss er ihn wieder zuschütten.