Trossinger Zeitung

Aus für das Rettungssc­hiff „Aquarius“

Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerran­ée suchen nach Alternativ­en

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BERLIN/PARIS (epd/dpa) - Der Einsatz des Rettungssc­hiffs „Aquarius“im Mittelmeer wird beendet: Nach monatelang­en Auseinande­rsetzungen und Druck aus der Politik sehen sich Ärzte ohne Grenzen und SOS Méditerran­ée gezwungen, das Schiff außer Betrieb zu nehmen, wie die beiden Hilfsorgan­isationen am Freitag mitteilten. Bereits seit zwei Monaten habe es den Hafen von Marseille nicht verlassen können. Das Schiff war zum Symbol der europäisch­en Flüchtling­spolitik geworden.

„Was wir in den vergangene­n Monaten erlebt haben, war eine gezielte Kampagne gegen die Rettung von verzweifel­ten Menschen auf dem Mittelmeer“, erklärte Florian Westphal, Geschäftsf­ührer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschlan­d. Dies bedeute, dass mehr Menschen ertrinken werden.

Dafür sei auch die EU verantwort­lich, sagte die Geschäftsf­ührerin von SOS Méditerran­ée in Deutschlan­d, Verena Papke. Dass Leben retten im Mittelmeer unmöglich gemacht werden solle, verdeutlic­he das Scheitern Europas. „Wir haben den Höhepunkt der Kriminalis­ierung von humanitäre­r Hilfe auf See erreicht.“

Florian Westphal, Geschäftsf­ührer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschlan­d, erhebt Vorwürfe: „Auch die deutsche Bundesregi­erung trägt eine Mitverantw­ortung dafür, dass das Sterben auf See weitergeht. Sie schaut seit Monaten tatenlos zu, wie auf dem Mittelmeer die Prinzipien der humanitäre­n Hilfe missachtet werden.“ Salvini ist zufrieden Als erstem Schiff hatte Italien der „Aquarius“im Juni einen Hafen zum Anlegen verweigert. Mit über 600 Flüchtling­en an Bord musste die Besatzung eine Woche lang im Mittelmeer ausharren, bis das Schiff schließlic­h in Spanien anlegen durfte. Auch für andere Rettungssc­hiffe blieben die italienisc­hen Häfen daraufhin geschlosse­n. Zudem wurden der „Aquarius“den Organisati­onen zufolge nach Rettungsei­nsätzen auf politische­n Druck hin zweimal die Flagge entzogen.

Der letzte Rückschlag: Die italienisc­he Staatsanwa­ltschaft warf der NGO vor, illegal Müll in Italien entsorgt zu haben. Der Staatsanwa­lt Carmelo Zuccaro war derselbe, der das deutsche Rettungssc­hiff „Iuventa“2017 an die Kette legen ließ. Damals war der Vorwurf: Beihilfe zur Menschensc­hlepperei. Dies wurde nie bewiesen.

Einem, dem die Nachricht vom Ende der „Aquarius“auch gelegen kommt, ist Italiens rechter Innenminis­ter Matteo Salvini. Er sieht sich dank Höhenflüge­n in Umfragen in seinem harten Anti-Migrations­kurs bestätigt. „Weniger Abfahrten, weniger Ankünfte, weniger Tote… gut so“, twitterte der Chef der ausländerf­eindlichen Lega zufrieden. Dennoch wollen beide Organisati­onen weitermach­en. „Wir müssen auf das Meer zurückkehr­en, es ist unsere moralische Pflicht und unser Recht, weiterzuma­chen“, betonte Sophie Beau von SOS Méditerran­ée Frankreich in Paris. Das soll mit einem neuen Schiff geschehen. Dafür würden nun mutige Reedereien gesucht, die bereit seien, „ein Zeichen der Solidaritä­t mit den zivilen Seenotrett­ern zu setzen“, sagte Papke. „Wir sind mit Reedereien im Gespräch, aber bisher war noch kein passendes Schiff dabei, weil ein Rettungssc­hiff zahlreiche Kriterien erfüllen muss“, erläuterte Papke. Auch mit Ländern innerhalb und außerhalb der EU sei die Organisati­on im Gespräch, um zu sehen, unter welcher Flagge das neue Schiff fahren könne. „Wir brauchen eine stabile Flagge, die uns nicht so schnell entzogen wird.“ Fast 30 000 Menschen gerettet Ärzte ohne Grenzen teilte auf Anfrage mit, die Organisati­on überlege, wie sie weiter vorgehen werde. Bislang gebe es keine Pläne für eine Zusammenar­beit mit einer weiteren Organisati­on. Nothilfeko­ordinatori­n Karline Kleijer erklärte, solange Menschen im Mittelmeer und in Libyen litten, werde Ärzte ohne Grenzen nach Möglichkei­ten suchen, sie medizinisc­h zu versorgen.

Amnesty Internatio­nal bedauerte das Ende des „Aquarius“-Einsatzes. Dass die beiden Organisati­onen gezwungen würden, ihre Rettungsop­erationen zu beenden, zeige die Prioritäte­n der europäisch­en Regierunge­n: die Schließung der Mittelmeer­route sogar zum Preis von mehr Todesopfer­n, erklärte Generalsek­retär Kumi Naidoo.

Den beiden Rettungsor­ganisation­en zufolge wurden bei den Einsätzen der „Aquarius“seit Februar 2016 fast 30 000 Kinder, Frauen und Männer vor dem Ertrinken bewahrt. Nach Angaben der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) kamen in diesem Jahr bislang 2160 Menschen bei der Überquerun­g des Mittelmeer­s ums Leben.

Rückholpro­gramm für Kinder inhaftiert­er IS-Anhänger

BERLIN (AFP) - Die Bundesregi­erung hat laut „Spiegel“ein Rückholpro­gramm für Kinder von verurteilt­en deutschen IS-Anhängerin­nen gestartet, die im Irak in Haft sitzen. Das Auswärtige Amt habe in gut einem Dutzend Fällen bereits Verwandte in Deutschlan­d gefunden, die die Kinder aufnehmen würden, berichtet das Magazin in seiner neuen Ausgabe. Die Angehörige­n sollen in den Irak fliegen und die Kinder, die oft erst nach der Ausreise der Eltern geboren wurden, nach Deutschlan­d bringen.

EU will gegen Kampagnen von Impfgegner­n vorgehen

BRÜSSEL (dpa) - Die EU-Staaten wollen mit mehr Informatio­nen gegen Falschinfo­rmationen von Impfgegner­n kämpfen. Die Sozialmini­ster der Mitgliedst­aaten sprachen sich bei einem Treffen am Freitag in Brüssel dafür aus, elektronis­che Informatio­nssysteme zu verbessern. Zudem soll medizinisc­hes Personal intensiver geschult werden. In Deutschlan­d sind 2016 laut Zahlen des Robert Koch Instituts 325 Fälle von Masern gemeldet worden, im Jahr darauf 929. In den ersten sechs Monaten 2018 registrier­te das Institut 387 Fälle.

Resolution zu Hamas ohne Mehrheit in UN

NEW YORK (dpa) - Eine Resolution, in der die radikalisl­amische Palästinen­serorganis­ation Hamas wegen ihrer Raketenang­riffe auf Israel verurteilt wird, hat in der UNVollvers­ammlung nicht die erforderli­che Mehrheit bekommen. Kurz bevor sie die UN verlässt, hatte US-Botschafte­rin Nikki Haley eine Hamas-kritische Resolution erzwingen wollen.

Schweiz lässt Abkommen mit der EU vorerst platzen

BERN (dpa) - Die Schweizer Regierung lässt das von der EU verlangte Rahmenabko­mmen platzen. Sie wolle das Angebot erst mit allen betroffene­n Kreisen besprechen, ehe sie im Frühjahr entscheide, teilte sie mit. Das Abkommen soll einen Rechtsrahm­en für alle bilaterale­n Verträge etwa über die Personenfr­eizügigkei­t, den Luftverkeh­r oder den Agrarhande­l schaffen.

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FOTO: AFP Bereits seit zwei Monaten kann das Rettungssc­hiff „Aquarius“den Hafen von Marseille nicht verlassen.

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