„Mich zu Helene Fischer tanzend wiedergefunden“
Können sich Rotarier in behinderte oder arme Leute einfühlen? Susanne Ritzi-Mathé antwortet
SPAICHINGEN - Die Rotarier Hohenkarpfen-Tuttlingen, die 30 Mitglieder, darunter 50 Prozent Frauen haben, haben dieses Jahr ein Fest für die Bewohner und Angehörigen des Behindertenheims St. Agnes ausgerichtet. Ist das etwas Einmaliges? Und können sich Mitglieder eines elitären Clubs überhaupt in Probleme einfühlen, die zum Beispiel auch jemand hat, der am unteren Einkommensbereich liegt? Regina Braungart hat die aktuelle Präsidentin, Susanne Ritzi-Mathé, gefragt. Frau Ritzi-Mathé, war das Fest für die Behinderten Neuland? Nein, wir von Rotary machen öfter solche Dinge, gehen rein, arbeiten mit. Es ging darum, dass die Leute einen schönen Tag erleben. Ich selbst war jetzt in Sao Paolo, wo wir in den Slums helfen, eine Schule aufzubauen. Wir gehen da rein, arbeiten mit, streichen und holen die Kinder raus aus dem ganzen Elend. Es gibt viele solch toller Projekte von Rotary. Es ist, was in unseren Leitlinien steht: Das selbstlose Dienen an der Gesellschaft. Das begeistert mich und viele andere. Wir sind ja 1,32 Millionen auf der Welt. Was haben Sie in Spaichingen ganz genau getan? Wir haben uns morgens getroffen, gestuhlt, gegrillt, dann getanzt, Spiele gemacht und den Leuten zu essen gegeben. Es war unglaublich schön. Die Kommunikation kam von Herzen und war nicht gekünstelt. Gehen Sie dann öfter hin? Wir wollen das jetzt jedes Jahr machen. Die Rückmeldungen vom Leiter, Herrn King, und von den Betreuern war, dass das Fest für die Bewohner bereichernd war. Sie haben auch eine Collage geschickt. Und auch für uns: Es war so schön. Ich habe mich zum Beispiel mit einem blinden Bewohner tanzend zu Helene Fischer wiedergefunden. Nun sind die Rotarier ja ein sich als eher elitär verstehender Club – und die drin sind, müssen nicht mit Hartz IV auskommen. Und Sie können sich leisten, nach Sao Paolo zu fliegen. Ist das kein Widerspruch? Ich zum Beispiel bin als Handwerkertochter aufgewachsen und habe gelernt, dass man Obdachlose wie den Papst persönlich grundsätzlich gleich respektvoll behandelt. Meine Mutter hat immer gesagt: Es sind alle Menschen gleich. Ich weiß, ich bin in einer bevorzugten und glücklichen Situation, die nicht selbstverständlich ist. Ich weiß, dass ich mich nicht genau in die Situation der Menschen zum Beispiel in Sao Paolo einfühlen kann. Aber ich sehe, dass ich helfen kann, und ich freue mich, dabei zu sein. Wenn man sieht, dass Rotary aus einer kleinen Initiative entstanden ist, nämlich von Geschäftsleuten, die den fairen Handel vorantreiben wollten, dann sieht man die Richtung. Was macht so eine Begegnung weit über die Milieugrenzen hinweg mit Leuten, die einen großen Teil ihres Selbstbewusstseins aus ihrem Status beziehen? Es gibt ja Projekte, die Topmanager zum Beispiel zu Obdachlosenprojekten, der Drogenhilfe oder ähnlichem mitnehmen. Es gibt Menschen, Topmanager, die haben viel Geld und fallen doch in Depressionen. Vielleicht, weil sie nicht dankbar sein können. Ich selbst umgebe mich nicht gern mit Menschen, die ihr Selbstbewusstsein aus ihrem Status ziehen. Ich glaube, das ist ein menschliches Problem. Bei den Rotariern sind keine Leute, die Hartz IV beziehen, das ist schon richtig. Man sucht Menschen, die in der Lage sind zu helfen. Es hört sich so elitär an, aber wir haben Lehrer, Handwerker, Ärzte, generell Menschen, die bereit sind, der Gesellschaft etwas zu geben, und die die Möglichkeit dazu haben. Kann man über diese sozialen Grenzen Empathie entwickeln? Viele dürften doch an Positionen sein, in denen Empathie eher hinderlich ist, zum Beispiel, wenn sie als Firmenchefs Menschen entlassen müssen oder wollen. Ich habe im Betrieb Menschen aller sozialen Gruppen. In den Favelas oder im St. Agnes agiere ich, wie meine Werte sind. Es gibt eben solche und solche Menschen. Mich trifft es tief im Herzen, wenn ich eine solche Entscheidung fällen muss. Aber man muss manchmal das Ganze im Blick haben. Es ist das Allerschwierigste am Unternehmertum, wenn man jemandem sagen muss, er muss gehen, damit der gesamte Betrieb erhalten bleibt. Sie meinen, jeder ringt so mit sich, wie Sie? Ich denke, dass manche eine dickere Haut haben. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, wird man ja auch oft angegriffen und braucht einen Schutz. Welche Rückmeldung, gerade zu der inneren Bewegung, haben Sie von Ihren Mitgliedern zum Sommerfest im St. Agnes? Alle waren mit solcher Begeisterung dabei. Alle haben gesagt, was man gibt, kehrt zu einem zurück. Und jeder hat angepackt. Es ist schade, wenn man glaubt, dass wir nicht hinlangen können. Vielleicht war das früher anders, aber jetzt nicht mehr. Wo kommt das Geld her, das Sie haben, um zu helfen? Wir machen viele Aktionen, um Spenden zu generieren, zum Beispiel Tannenbäume verkaufen, oder die Aktion mit Boris Grundl. Er hat aufs Honorar verzichtet und die Besucher haben gespendet. 20 000 Euro konnten wir so für die Aktion gegen Kinderlähmung spenden. Die Mitglieder zahlen auch. Und wenn wir so ein Projekt machen wie in Sao Paolo, dann stellen wir bei Rotary International einen Antrag und bekommen unsere Summe aufgestockt. Für Sao Paolo bekommen wir wahrscheinlich 100 000 Euro. Nächstes Jahr, wenn Anfang Juli die neue Präsidentin, Margit Mosbacher aus Trossingen, antritt, werden wir zum Beispiel alte Handys sammeln für das Projekt gegen Kinderlähmung.