Unruhe bei Ravensburger
Spielehersteller ändert Strukturen wegen Digitalisierung
RAVENSBURG (mws/ben) - Ravensburger gibt seine traditionelle Aufteilung in Buchverlag und Spieleverlag auf. Das oberschwäbische Familienunternehmen gründet Vertriebs-, Marketing- und Produktionsabteilungen, die sich künftig um alle Produkte des Hauses kümmern sollen. Größte Veränderung ist die Zusammenführung der gesamten Vertriebsaktivitäten in Deutschland, wie Vorstandschef Clemens Maier der „Schwäbischen Zeitung“am Freitag bestätigte. „Aus einer divisionalen Organisation muss eine funktionale Organisation werden, die alle Produktkategorien umfasst“, erklärte Maier, der Urenkel des Firmengründers Otto Maier.
Das Unternehmen reagiere mit dieser Veränderung darauf, dass der Anteil der Online-Käufe auch im Spielwarenhandel immer weiter steige. „Ob und wie viele Stellen möglicherweise rausfallen, das kann ich nicht sagen“, sagte Maier. „Klar ist aber, dass das alles sehr, sehr überschaubar sein wird.“
RAVENSBURG - Weniger als ein Viertel aller Brettspiele in Deutschland sind über die virtuelle Ladentheke gegangen, als Clemens Maier 2011 in den Vorstand des Spieleherstellers Ravensburger aufgerückt ist. Heute ist der Urenkel des Firmengründers fast zwei Jahre Chef des Familienunternehmens – und knapp 40 Prozent der Spiele werden über Onlinekanäle verkauft. Diese Entwicklung ist nur ein Effekt der zunehmenden Digitalisierung. Eine fundamental wichtige Frage ist zudem, wie sich die Digitalisierung auf die Spiele selbst auswirkt – und damit auf das Kerngeschäft von Ravensburger.
Konkret sind es drei Fragen, erklärt Maier: Wie liest oder spielt der Kunde? Wie informiert er sich? Und wie kauft er ein? „Zuerst hatten wir die Befürchtung, dass sich das Spielen durch die Digitalisierung grundlegend ändert“, sagt der 47-jährige Vater im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Überraschenderweise seien diese Bedenken unbegründet, da sich der klassische Spielwarenmarkt als stabil erwiesen hat. „Die größte Veränderung liegt beim Einkaufsverhalten“, sagt Maier. Der klassische Fachhandel, also Buch und Spiel, nehme ab, der Onlinehandel gewinne an Bedeutung, sagt er. Aus diesem Grund baut Maier die Organisation der RavensburgerGruppe zurzeit grundlegend um. „Aus einer divisionalen Struktur wird eine funktionale“, erklärt Maier die wohl größte Veränderung der vergangenen 20 Jahre, von der fast alle der mehr als 2100 Mitarbeiter des oberschwäbischen Unternehmens betroffen sein werden.
Bislang ist Ravensburger in fünf Divisionen aufgeteilt: die drei Geschäftsbereiche Kinder- und Jugendbuch, Spielwaren, Promotion und Freizeit (Spieleland), die Marke Brio und die Region Nordamerika – jeweils mit einem eigenen Vertrieb, eigenem Marketing sowie eigener Produktion und Logistik, der sogenannten SupplyChain. „Wir glauben, dass das nicht mehr die richtige Organisation ist. Manche unserer Strukturen sind mehr als 20 Jahre alt“, kommentiert Maier die immer weiter gewachsene Komplexität des Unternehmens. Vertrieb, Marketing, Produktentwicklung, Supply-Chain und Digitales werden – neben den klassischen Unternehmenseinheiten wie Finanzen, Personal, IT oder Recht und Lizenzen – nun marken- und produktübergreifend ausgerichtet. Ein Vorteil dieser auf Funktionen fokussierten Struktur ist, dass sie einfach erweitert werden kann, beispielsweise
„Ob und wie viele Stellen möglicherweise wegfallen, kann ich nicht sagen.“
durch Zukäufe, wobei „derzeit keine geplant sind“, sagt Maier.
Das beste Beispiel für die Neuausrichtung ist gleichzeitig die größte Veränderung: die Zusammenführung des gesamten Vertriebs in Deutschland. Ein Team soll künftig alles vertreiben – alle Produktkategorien wie Bücher, Spiele und Puzzles sowie alle Marken wie Brio. Was bleibt ist die Aufteilung nach Ländern innerhalb des Vertriebs, „denn wir haben nur wenige Kunden, die über Ländergrenzen hinweg arbeiten“, sagt Maier.
Die Ravensburger Gruppe verliert an Komplexität, baut bestehende Doppelstrukturen ab und steigert so die Effizienz. Das bedeutet natürlich auch, dass Kosten gespart werden – „und das ist auch gut so. Das ist aber nicht der Grund, warum wir dieses Projekt initiiert haben“, erklärt Maier. Klar ist aber auch, dass „es Bereiche gibt, in denen wir weniger Mitarbeiter brauchen“, sagt der RavensburgerChef, „ob und wie viele Stellen möglicherweise rausfallen, das kann ich nicht sagen“. Die Stimmung bei der Belegschaft sei „ehrlich gesagt“angespannt. Die intensiven Gespräche mit dem Betriebsrat laufen seit September und sind noch nicht abgeschlossen. Die Verhandlungen seien Ravensburger-Chef Clemens Maier über die aktuellen Veränderungen hart, aber konstruktiv. „Wir reden ja nicht über ein Programm, das vorsieht, viele Mitarbeiter abzubauen.“
Wirtschaftliche Not sei nicht der Grund für diese grundlegende Erneuerung des oberschwäbischen Spieleherstellers, erläutert Maier. Zwar sind die wichtigsten europäischen Märkte im Kerngeschäft Spielwaren (knapp 85 Prozent vom Umsatz) im vergangenen Jahr rückläufig gewesen – England minus 2,8 Prozent Umsatz im Vergleich zum Vorjahr, Deutschland minus 0,1 Prozent, Italien minus 0,2 Prozent und Frankreich minus 0,8 Prozent, aber Ravensburger hat den Umsatz 2017 mit 471,1 Millionen Euro fast konstant gehalten – am Ende waren es 0,5 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Negativer ist die Entwicklung im Bereich Buch gewesen: in Deutschland minus 1,5 Prozent Umsatz, bei Kinder- und Jugendbüchern sogar minus 1,8 Prozent – ähnlich negativ die Entwicklung in Österreich und in der Schweiz. Unterm Strich ist der Gewinn von Ravensburger von 32,1 Millionen auf 23,7 Millionen Euro gesunken.
Die Aussichten für das laufende Jahr seien dagegen vor allem in den USA und in Deutschland sehr gut, sagt Maier. Konkreter wolle er nicht werden, schließlich laufe noch das entscheidende Weihnachtsgeschäft. „Deshalb will ich keine Prognose wagen. Es ist so, dass oft die letzten 20 Millionen sehr viel zum Gewinn beitragen.“Ziel sei es, in Umsatz und Gewinn zu wachsen – „wir arbeiten daran“.
Die Umstrukturierung des Unternehmens sei kein Schnellschuss, sondern die Konsequenz einer Strategie, die die Führungsriege von Ravensburger um Maier bereits 2016 entwickelt habe – also vor dessen Antritt als Vorstandsvorsitzender. Im Jahr 2017 hat der Vorstand die neue Strategie in einem Dreijahresplan konkretisiert, mit einigen einhergehenden Wechseln im Management von Ravensburger zu Maiers Antritt. Dieses Jahr hat das Management des Traditionsunternehmens dann festgelegt, wie die Organisation entlang der neuen Strategie ausgerichtet werden soll. Seit Ostern läuft das Projekt nach Angaben Maiers jetzt, angeführt von einem Kernteam von vier Personen, das sich in der Detailarbeit auf ein größeres, bereichsübergreifendes Team stützt. „Für die Umsetzung werden wir sicher das gesamte Jahr 2019 brauchen“, sagt Maier.
Die allem zugrunde liegende Strategie besteht wiederum aus drei Stoßrichtungen, wie Maier im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“vor einem Jahr dargelegt hat: aus der Stärkung der einzelnen Marken, der internationalen Ausrichtung des Unternehmens und – natürlich – der fortschreitenden Digitalisierung.