Der Metzgerwirt
Gastwirt und Metzger waren einst ein und dieselbe Person – Heute bedienen sie eine Sehnsucht
IMMENDINGEN-HATTINGEN Wenn Dieter Schmid die Bezeichnung „dry aged“ausspricht, legt sich unter seinem kahlen Haupt die Stirn in Falten, als wolle sich dahinter eine Frage formulieren, wie: „Gibt es denn keinen deutschen Ausdruck dafür?“Der 49-Jährige ist zweifellos ein Mann der Tradition. Verbohrt ist er deshalb aber noch lange nicht. Schmid sagt: „Das mit dem dry aged habe ich dann ausprobiert.“Und für gut befunden. Heute reift in seiner Metzgerei in Immendingen-Hattingen (Landkreis Tuttlingen) das Rindfleisch am Knochen und bei rund 60 Prozent Luftfeuchtigkeit (dry aged = trocken gealtert) in einem speziellen Kühlschrank. Der Clou: Gebratene Steaks serviert er nur zwei Türen weiter unter demselben Dach – in seinem Gasthof Ochsen. Wo die Gäste unter niedriger Decke und zwischen einer mehr als 100 Jahre alten Holzvertäfelung gleichzeitig ein Stück Wirtshausgeschichte aufsaugen. „Die Stuttgarter mögen sowas“, sagt Schmid und grinst.
Womöglich sind es nicht nur Stuttgarter, die diese Kombination aus alt und neu mögen, aus Tradition und Trend, aus der Verbindung zweier Berufungen, die zwar nahe liegt, aber sich kaum noch findet. Hausschlachtungen früher üblich „Metzger und dazu Gastwirt, das war früher normal und auch sinnvoll“, sagt Bernd Dahringer, der mehr als 30 Jahre der Dehoga Biberach/Ravensburg/Sigmaringen/Bodensee vorstand. „Damals waren noch eigene Hausschlachtungen üblich“, erklärt der Gastroexperte. In den Hinterhöfen wurden Schweine und Rinder geschlachtet, das Fleisch zerlegt, Leber, Nieren und Magen genauso verarbeitet wie Haut, Horn und Knochen. Im Wissen um widrige Zeiten und eine unberechenbare Natur nutzten die Menschen das Tier von Kopf bis zum Schwanz. Und schufen sich ein weiteres Standbein, indem sie Kutteln und Kesselfleisch in kleinen Gasträumen servierten. Nicht selten wurde dazu ein Bier aus der hauseigenen Brauerei ausgeschenkt. So auch im Ochsen.
Als Schankstelle wird die Brauerei Ochsen in Hattingen erstmals 1786 urkundlich erwähnt. Aus dem Ausschank entsteht nach wenigen Jahren ein Gasthof, der 1929 an die Familie Schmid geht. Die in zweiter Generation die Brauerei schließt und in die frei werdenden Räume eine Metzgerei einrichtet. Dieses Handwerk wird von den Vätern an die Söhne weitergereicht, mit Dieter Schmid in vierter Generation. Metzger, „das ist einfach in mir drin“, sagt Schmid. Eine Selbstverständlichkeit genauso wie die Tatsache, dass er jeden Abend auch in der Ochsen-Küche und am Tresen steht. Geprägt von einem Fundus, den er bei der jungen Generation vermisst. Oder wie Schmid trocken sagt: „Den Hausfrauen heute muss man ja alles erklären.“
Dieses Klagelied könnte auch von Gerhard Flaitz stammen. Der RössleWirt aus dem oberschwäbischen Weingarten ist ebenfalls Metzger in vierter Generation und lobt die Vielseitigkeit seines Handwerks: „Ein guter Metzger ist immer auch ein guter Koch. Ein guter Koch ist aber noch lange kein guter Metzger.“
Genauso wie beim Ochsen war die Rössle-Wirtschaft anfangs eher ein kleiner Gastraum. „Wir waren Viehhändler", sagt Flaitz über seine Vorfahren, die gleichfalls als Metzger und Gastwirt tätig waren. Erstaunlicherweise wird die Kombination aus zwei Handwerken heute wieder als Qualitätsmerkmal wahrgenommen: „Zu uns kommen die Kunden oft, weil sie im Internet gelesenen haben, dass wir eine hauseigene Metzgerei haben“, sagt Flaitz.
In Zeiten von Massenviehhaltung, Verbraucherskepsis und Ernährungsbewusstsein wächst offenbar die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit. Dieses Verlangen spürt auch Dieter Schmid. „Früher kam das Vieh für unser Fleisch sogar noch hier aus dem Dorf“, sagt er. Das ist zwar heute nicht mehr so, doch die Leute wissen bei ihm noch immer, woher die Ware stammt, wer sie verarbeitet und vor allem wie herzhaft sie schmeckt. Könnte somit ein schon als veraltet geltendes Konzept zwei Branchen beflügeln, die beide jeweils mit Problemen zu kämpfen haben?
„Nein“, meint Dehoga-Mann Dahringer. „Die Dorfgastronomie lässt sich so auf jeden Fall nicht retten.“Und schon gar nicht mit einer Metzgerei: „Für einen normalen Betrieb sind dafür die Anforderungen an die Lebensmittelhygiene heute viel zu hoch.“ Keine Pacht, kaum Personalkosten Der Hygienestandards wegen schlachtet auch Metzgermeister Schmid nicht mehr selber. Und er weiß um die Probleme anderer Wirtshäuser, die er vermeiden kann: „Der Ochsen ist Eigentum, daher zahlen wir keine Pacht.“Außerdem hält er die Personalkosten in Grenzen, weil sich seine Frau um die Gästezimmer kümmert, die Tante mit in der Küche steht und sich die Öffnungszeiten auf Montag bis Freitag beschränken. Dazu kommt ein Arbeitspensum, um das ihn andere nicht beneiden: „Meine Tage beginnen um fünf, sechs in der Früh und enden um 1 Uhr in der Nacht.“
Dem 49-Jährigen macht die Schufterei nichts aus, er kennt es nicht anders. Die Leute allerdings arbeiten heute lieber beim Daimler auf dem Testgelände in Immendingen oder beim Medizintechnikhersteller Aesculap, eben bei Betrieben, die geregelte Arbeitszeiten und sicheres Einkommen versprechen. Im Ochsen holen sie sich die Portion Bodenständigkeit und Romantik ab, die es auch zum Leben braucht.
Wie lange es diese Nischen noch gibt, bleibt aber ungewiss. Dieter Schmid hat keine Kinder, die den Traditionsgasthof eines Tages übernehmen würden. Noch kann der 49Jährige den Ochsen aber viele Jahre weiterführen. Solange es „dry aged“gibt und die „Kesselschwaben“den Weg nach Hattingen finden sowieso. Mit dieser Folge endet unsere Wirtshausserie.