„Es gibt immer noch eine massive Verleugnungsfront“
Im Vatikan tagt die Missbrauchskonferenz – Jesuitenpater Klaus Mertes fordert, dass die Kirche die systemischen Ursachen anerkennt
SANKT BLASIEN - Führende Vertreter der katholischen Kirche suchen derzeit beim Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan Wege aus der Missbrauchskrise. Am Sonntag wird Papst Franziskus in einer Grundsatzrede über die Ergebnisse informieren. Über das, was sich ändern muss, hat Helena Golz mit dem Jesuitenpater Klaus Mertes gesprochen. Sie haben 2010 als Leiter des Berliner Canisius-Kollegs auf Missbrauchsfälle aufmerksam gemacht. Jetzt haben wir 2019. Kommt die Bischofskonferenz zu spät? Es ist ja schon mal gut, dass sie kommt. Wenn man einmal begriffen hat, was für ein Riesenthema das ist und was für eine Rieseninstitution die katholische Kirche ist, mit 1,2 Milliarden Menschen auf dem Globus, dann darf man es nicht eilig haben, wenn man wirklich etwas verändern will. Das klingt, als wären Sie zufrieden mit dem Verlauf der Aufarbeitung. Nein, zufrieden bin ich überhaupt nicht. Ich denke zwar, dass die Kirche in Deutschland in den letzten neun Jahren sehr viel getan hat. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass niemand in Deutschland das Thema Missbrauch so ernst genommen hat wie die katholische Kirche, vor allem auf der Ebene ihrer pastoralen, karitativen und pädagogischen Institutionen. Aber es ist wie bei einem Marathonlauf. Zufrieden ist man erst, wenn man im Ziel ist. Und wir sind noch lange noch nicht am Ziel. Was ist das größte Problem? Es gibt immer noch eine massive Verleugnungs- und Verweigerungsfront. Man muss anerkennen, dass es bei Missbrauch nicht nur um das Problem von einzelnen Personen geht, sondern um ein Systemproblem. Wir haben nicht nur eine Priesterkrise, wir haben eine Bischofskrise. Was bedeutet das? Missbrauch hat zwei Seiten. Das eine ist die Gewalttat, also der Missbrauch selbst, das andere ist die Vertuschung der Gewalttat durch die oberen Ebenen. Verantwortliche haben die Opfer nicht wahrgenommen, sie zurückgewiesen oder sogar aktiv Strafvereitelung betrieben, indem sie die Verbrechen nicht gemeldet haben. Das ist die eigentliche Institutionskrise. Und die Debatte darüber spaltet die Kirche, zwischen denjenigen, die das auch als Systemproblem anerkennen und denen, die es nicht tun. Was muss sich ändern? Im Bereich der Prävention ist ja sehr viel geschehen. Aber wir müssen an weitere Bereiche der strukturellen Prävention ran, und da stehen große Themen wie die katholische Sexualmoral, die Verteufelung der Homosexualität, die männerbündische Struktur des Klerus. Fragen müssen geklärt werden: Was ist wirklich geschehen, wer trägt die Verantwortung, welche Bischöfe müssen eventuell zurücktreten, welche Priester müssen suspendiert werden? Dazu bedarf es einer unabhängigen Verwaltungsund Disziplinargerichtsbarkeit in der katholischen Kirche. Was kann die Konferenz im Vatikan hier leisten? Ich hoffe, dass Kardinal Marx als der Vertreter des deutschen Katholizismus dies in die Konferenz einbringt, weil die systemischen Themen von mehr oder weniger allen relevanten Gremien in der katholischen Kirche in Deutschland als zentral benannt worden sind. Die US-amerikanische Bischofskonferenz hat, um nur ein kleines Beispiel zu nennen, einen konkreten Vorschlag eingebracht. Sie will ein unabhängiges Gremium errichten, das es für die Bischöfe übernimmt, Strafanzeigen gegen Kleriker und Bischöfe an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben. Die katholische Kirche wird nämlich das Problem der Aufarbeitung des Missbrauchs nicht lösen, wenn sie nicht anfängt, Macht innerhalb der Kirche im Sinne einer Gewaltenteilung zu teilen. Bei der Konferenz im Vatikan sind Bischöfe aus aller Welt, auch aus Ländern, in denen sexueller Missbrauch noch ein Tabu ist. Wie ist da der gemeinsame Nenner? Meine Hoffnung ist nicht, dass jetzt plötzlich eine neue Kirche erfunden wird, das wäre illusorisch. Das was Sie ansprechen, darf nicht missbraucht werden, die Themen auf weltkirchlicher Ebene erst gar nicht anzusprechen. Vielleicht ist ja diese Konferenz schon erfolgreich, wenn die inhaltlichen Konflikte sichtbar werden. Nur dann kann man ja gemeinsam nach Lösungen suchen.