Nur zwei Gaststätten sind übrig
Mittwochsrentner suchen Alternativen zum Einkehren – Gesellschaft hat sich verändert
SEITINGEN-OBERFLACHT - Jeden zweiten Mittwoch treffen sich die Mittwochsrentner um Max Buschle aus Seitingen-Oberflacht zum Wandern und Einkehren. Letzteres ist im Ort mittlerweile nicht mehr so einfach. Traditionelle Gaststätten haben seit Jahren geschlossen, andere nur tageweise geöffnet. Die Zeiten hätten sich eben geändert, meint Buschle.
Mittwoch, 15 Uhr in der „Bruckmühle“in Seitingen-Oberflacht: Eine Gruppe von gut 20 Rentnern sitzt beisammen, unterhält sich, lacht, singt, musiziert und erzählt Witze – so wie jeden zweiten Mittwoch eben. Vor etwa 25 Jahren wurde die Idee der Mittwochsrentner ins Leben gerufen.
Die Treffen seien wichtig, um rauszukommen und sich auszutauschen, meint Buschle. In den Anfangszeiten hätten sie immer in der „Linde“eingekehrt. Als diese aber mittwochs nicht mehr geöffnet habe, seien sie in den „Bären“gegangen, doch diese Gaststätte hat seit November 2018 auch geschlossen. Sechs traditionelle Gaststätten in Seitingen-Oberflacht Mit der Gesellschaft hat sich gleichzeitig die Situation in der Gastronomie verändert. In Seitingen und in Oberflacht habe es jeweils drei Gaststätten gegeben, erinnert sich Buschle. Übrig geblieben sind nur noch zwei davon. Zu wenig für 2600 Einwohner, findet Seitingen-Oberflachts Bürgermeister Jürgen Buhl. Die Gemeinde sei gerne behilflich, sollte sich ein Gastronom finden. So gibt es beispielsweise Fördermöglichkeiten über das Programm „Entwicklung ländlicher Raum“.
„Der Adler in Seitingen steht schon lange leer“, sagt er. Früher sei dort auch eine Metzgerei untergebracht gewesen, heute seien es Wohnungen. Das Geschäft ist laut Buhl insolvent gegangen. Am Gebäude des „Sternen“in Seitingen hängt ein großes Plakat „zu verkaufen“, an der Tür des „Bären“heißt es: „Wegen Krankheit vorübergehend geschlossen ab 21. November 2018“.
Die „Krone“in Oberflacht ist „leer und wird nicht als Gaststätte betrieben“, sagt Buhl. Um aber die Konzession nicht zu verlieren, würde der Sohn der Wirtsleute auf Anfrage Privatleute beliefern. Übrig geblieben sind noch der „Adler“und die „Linde“in Oberflacht. Daneben gibt es noch das Sportheim, das die ganze Woche geöffnet hat.
Schwer sei es nie gewesen, die „Linde“zu halten, berichtet Luise Hermann, die die Gaststätte seit 1970 führt. Ausschlaggebend seien unter anderem gute Bedienungen, glaubt sie. Das Geschäft laufe an den beiden Öffnungstagen, Freitag und Samstag, gut. „Kundschaft haben wir immer“, betont sie. Doch mit ihren 74 Jahren sei sie nicht mehr die Jüngste, zwei Tage würden ihr reichen.
Auch Petra Schorpp, die zusammen mit ihrem Mann Josef den „Adler“in Oberflacht führt, ist zufrieden mit dem Geschäft. Sie hätten viele Gäste – nicht nur aus dem Ort, sondern auch aus Tuttlingen, Trossingen und umliegenden Gemeinden. Gutes Personal sei absolut wichtig, betont sie. Ihren Beruf mag die 56-Jährige: „Man kann Leute mit gutem Essen glücklich machen.“
Und das Konzept scheint anzukommen: Schon jetzt habe sie Reservierungen für Weihnachten. „An solchen Festtagen merkt man, dass es weniger Gaststätten gibt“, sagt sie. Von Montag bis Mittwoch ist Ruhetag, denn montags werde geschlachtet, mittwochs gewurstet, erklärt Schorpp. Als zweites Standbein beliefert das Wirtepaar den Aixheimer Dorfladen mit Wurstwaren. Petra Schorpp ist sich sicher: „Wer gute Qualität beim Essen liefert, kann davon auch leben.“
Das Gaststättensterben im ländlichen Raum – eine Entwicklung, die Daniel Ohl, dem Pressesprecher des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Baden-Württemberg, Sorgen bereitet. Heutzutage würden Gaststätten schließen, da sich kein Nachfolger findet. „Absolute Ausnahme sind Insolvenzen.“Vor 30 oder 40 Jahren hat das noch ganz anders ausgeschaut. Damals habe das Leben in den Gaststätten und an den Stammtischen stattgefunden, heute sei Essen gehen eher mit Genuss verbunden, stellt Ohl fest. Die Nachfrage sei „erfreulich gut“.
Aber das allein reicht eben nicht: Mit der Vielzahl an Freizeitangeboten werde die Laufkundschaft weniger, sagt Ohl und ergänzt: „Das Dorf
Dehoga-Sprecher Daniel Ohl
allein ernährt den Wirt nicht mehr.“Wer als Gastronom erfolgreich sein wolle, brauche ein größeres Einzugsgebiet als nur das Dorf und Alleinstellungsmerkmale. Man müsse für ein bestimmtes Gericht oder Ambiente bekannt sein.
„Wichtig ist, nicht auf dem Weg zu liegen, sondern Ausflugsziel zu sein“, sagt der Dehoga-Sprecher. Hinzu komme die Vielzahl an Vereinsfesten, die der Gastronomie den Boden entziehen würden. Ohl könnte sich vorstellen, dass die örtliche Gastronomie bei Vereinsfesten eingebunden wird. Personalmangel und viel Bürokratie Auch die wirtschaftliche Lage und politischen Vorgaben machen es den Wirtsleuten schwer. Gutes Personal für die Gastronomie zu finden, sei nicht leicht, sagt Ohl. Zudem brauche es mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten. Und die Bürokratie könne man gar nicht mehr mit früher vergleichen: „Die Wirte sitzen mehr im Büro als bei den Gästen.“Außerdem gehe die Mehrwertsteuerregelung „voll zu Lasten des Ertrags“. Sieben Prozent fielen an, wenn man beispielsweise eine Wurst im Stehen isst, 19 Prozent im Sitzen.
Mittlerweile haben sich die Mittwochsrentner nach Alternativen umgeschaut. Wenn sie sich im Ort treffen, gehen sie beispielsweise ins Sportheim, im Sommer auch mal ins Turnerheim oder eben in die „Bruckmühle“. „Wenn das Wetter schön ist, wandern wir auch in die Nachbarorte und kehren dort ein“, erzählt Buschle. Denn an ihrer Tradition, sich jeden zweiten Mittwoch zu treffen, wollen sie festhalten.
„Das Dorf allein ernährt den Wirt nicht mehr.“