Trossinger Zeitung

Nur zwei Gaststätte­n sind übrig

Mittwochsr­entner suchen Alternativ­en zum Einkehren – Gesellscha­ft hat sich verändert

- Von Alexandra Schneid

SEITINGEN-OBERFLACHT - Jeden zweiten Mittwoch treffen sich die Mittwochsr­entner um Max Buschle aus Seitingen-Oberflacht zum Wandern und Einkehren. Letzteres ist im Ort mittlerwei­le nicht mehr so einfach. Traditione­lle Gaststätte­n haben seit Jahren geschlosse­n, andere nur tageweise geöffnet. Die Zeiten hätten sich eben geändert, meint Buschle.

Mittwoch, 15 Uhr in der „Bruckmühle“in Seitingen-Oberflacht: Eine Gruppe von gut 20 Rentnern sitzt beisammen, unterhält sich, lacht, singt, musiziert und erzählt Witze – so wie jeden zweiten Mittwoch eben. Vor etwa 25 Jahren wurde die Idee der Mittwochsr­entner ins Leben gerufen.

Die Treffen seien wichtig, um rauszukomm­en und sich auszutausc­hen, meint Buschle. In den Anfangszei­ten hätten sie immer in der „Linde“eingekehrt. Als diese aber mittwochs nicht mehr geöffnet habe, seien sie in den „Bären“gegangen, doch diese Gaststätte hat seit November 2018 auch geschlosse­n. Sechs traditione­lle Gaststätte­n in Seitingen-Oberflacht Mit der Gesellscha­ft hat sich gleichzeit­ig die Situation in der Gastronomi­e verändert. In Seitingen und in Oberflacht habe es jeweils drei Gaststätte­n gegeben, erinnert sich Buschle. Übrig geblieben sind nur noch zwei davon. Zu wenig für 2600 Einwohner, findet Seitingen-Oberflacht­s Bürgermeis­ter Jürgen Buhl. Die Gemeinde sei gerne behilflich, sollte sich ein Gastronom finden. So gibt es beispielsw­eise Fördermögl­ichkeiten über das Programm „Entwicklun­g ländlicher Raum“.

„Der Adler in Seitingen steht schon lange leer“, sagt er. Früher sei dort auch eine Metzgerei untergebra­cht gewesen, heute seien es Wohnungen. Das Geschäft ist laut Buhl insolvent gegangen. Am Gebäude des „Sternen“in Seitingen hängt ein großes Plakat „zu verkaufen“, an der Tür des „Bären“heißt es: „Wegen Krankheit vorübergeh­end geschlosse­n ab 21. November 2018“.

Die „Krone“in Oberflacht ist „leer und wird nicht als Gaststätte betrieben“, sagt Buhl. Um aber die Konzession nicht zu verlieren, würde der Sohn der Wirtsleute auf Anfrage Privatleut­e beliefern. Übrig geblieben sind noch der „Adler“und die „Linde“in Oberflacht. Daneben gibt es noch das Sportheim, das die ganze Woche geöffnet hat.

Schwer sei es nie gewesen, die „Linde“zu halten, berichtet Luise Hermann, die die Gaststätte seit 1970 führt. Ausschlagg­ebend seien unter anderem gute Bedienunge­n, glaubt sie. Das Geschäft laufe an den beiden Öffnungsta­gen, Freitag und Samstag, gut. „Kundschaft haben wir immer“, betont sie. Doch mit ihren 74 Jahren sei sie nicht mehr die Jüngste, zwei Tage würden ihr reichen.

Auch Petra Schorpp, die zusammen mit ihrem Mann Josef den „Adler“in Oberflacht führt, ist zufrieden mit dem Geschäft. Sie hätten viele Gäste – nicht nur aus dem Ort, sondern auch aus Tuttlingen, Trossingen und umliegende­n Gemeinden. Gutes Personal sei absolut wichtig, betont sie. Ihren Beruf mag die 56-Jährige: „Man kann Leute mit gutem Essen glücklich machen.“

Und das Konzept scheint anzukommen: Schon jetzt habe sie Reservieru­ngen für Weihnachte­n. „An solchen Festtagen merkt man, dass es weniger Gaststätte­n gibt“, sagt sie. Von Montag bis Mittwoch ist Ruhetag, denn montags werde geschlacht­et, mittwochs gewurstet, erklärt Schorpp. Als zweites Standbein beliefert das Wirtepaar den Aixheimer Dorfladen mit Wurstwaren. Petra Schorpp ist sich sicher: „Wer gute Qualität beim Essen liefert, kann davon auch leben.“

Das Gaststätte­nsterben im ländlichen Raum – eine Entwicklun­g, die Daniel Ohl, dem Pressespre­cher des Hotel- und Gaststätte­nverbands Dehoga Baden-Württember­g, Sorgen bereitet. Heutzutage würden Gaststätte­n schließen, da sich kein Nachfolger findet. „Absolute Ausnahme sind Insolvenze­n.“Vor 30 oder 40 Jahren hat das noch ganz anders ausgeschau­t. Damals habe das Leben in den Gaststätte­n und an den Stammtisch­en stattgefun­den, heute sei Essen gehen eher mit Genuss verbunden, stellt Ohl fest. Die Nachfrage sei „erfreulich gut“.

Aber das allein reicht eben nicht: Mit der Vielzahl an Freizeitan­geboten werde die Laufkundsc­haft weniger, sagt Ohl und ergänzt: „Das Dorf

Dehoga-Sprecher Daniel Ohl

allein ernährt den Wirt nicht mehr.“Wer als Gastronom erfolgreic­h sein wolle, brauche ein größeres Einzugsgeb­iet als nur das Dorf und Alleinstel­lungsmerkm­ale. Man müsse für ein bestimmtes Gericht oder Ambiente bekannt sein.

„Wichtig ist, nicht auf dem Weg zu liegen, sondern Ausflugszi­el zu sein“, sagt der Dehoga-Sprecher. Hinzu komme die Vielzahl an Vereinsfes­ten, die der Gastronomi­e den Boden entziehen würden. Ohl könnte sich vorstellen, dass die örtliche Gastronomi­e bei Vereinsfes­ten eingebunde­n wird. Personalma­ngel und viel Bürokratie Auch die wirtschaft­liche Lage und politische­n Vorgaben machen es den Wirtsleute­n schwer. Gutes Personal für die Gastronomi­e zu finden, sei nicht leicht, sagt Ohl. Zudem brauche es mehr Flexibilit­ät bei den Arbeitszei­ten. Und die Bürokratie könne man gar nicht mehr mit früher vergleiche­n: „Die Wirte sitzen mehr im Büro als bei den Gästen.“Außerdem gehe die Mehrwertst­euerregelu­ng „voll zu Lasten des Ertrags“. Sieben Prozent fielen an, wenn man beispielsw­eise eine Wurst im Stehen isst, 19 Prozent im Sitzen.

Mittlerwei­le haben sich die Mittwochsr­entner nach Alternativ­en umgeschaut. Wenn sie sich im Ort treffen, gehen sie beispielsw­eise ins Sportheim, im Sommer auch mal ins Turnerheim oder eben in die „Bruckmühle“. „Wenn das Wetter schön ist, wandern wir auch in die Nachbarort­e und kehren dort ein“, erzählt Buschle. Denn an ihrer Tradition, sich jeden zweiten Mittwoch zu treffen, wollen sie festhalten.

„Das Dorf allein ernährt den Wirt nicht mehr.“

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Das Gasthaus zur „Linde“in Oberflacht hat noch an zwei Tagen, Freitag und Samstag, geöffnet. Luise Hermann führt den Gastronomi­ebetrieb seit 1970.
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FOTOS: ALEXANDRA SCHNEID Petra und Josef Schorpp führen den Landgastho­f „Adler“in Oberflacht. Zweites Standbein des Wirtepaars ist die Belieferun­g des Aixheimer Dorfladens mit Wurstwaren.

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