Brutal guad
DSV-Adler triumphieren auch im Team – Eisenbichler fliegt bei WM zu Doppel-Gold
SEEFELD - Oben am Auslauf der Bergiselschanze in Innsbruck haben Karl Geiger, Richard Freitag und Stephan Leyhe gewartet. Markus Eisenbichler musste nur noch seinen Sprung stehen. Die geforderten 96,5 Meter sollten für den Siegsdorfer, der am Tag davor schon Weltmeister im Einzel vor seinem Zimmerkollegen Geiger geworden war, kein Problem sein. Waren es auch nicht. 128,5 Meter lieferte er ab. Das war der souveräne Titel. Der Jubel kannte keine Grenze. Auch Ersatzspringer Andreas Wellinger feierte kräftig mit. Nach 18 Jahren war das deutsche Team wieder Mannschafts-Weltmeister. „Die Deutschen waren heute nicht zu schlagen“, sagte Ex-Weltmeister Stefan Kraft anerkennend. Er war mit seinem österreichischen Team Zweiter mit 56,7 Punkten Rückstand geworden. Eine Welt.
Auch wenn Doppel-Weltmeister Eisenbichler und Kollegen im Mittelpunkt standen, es war auch das Wochenende des Werner Schuster. Wieder hat es der Bundestrainer geschafft, dass seine Springer zum Saison-Höhepunkt in Topform sind. „Der zweite Durchgang war eine Runde zum genießen“, sagte er. Schon bei Halbzeit hatte sein Team einen beruhigenden Vorsprung. Siegspringer Eisenbichler hatte etwas andere Gefühle: „Beim letzten Sprung war ich nervös, musste ihn sauber runterbringen. Ich freue mich für das ganze Team. Das ist brutal guad.“Dennoch erinnerte der zum Saisonende scheidende Bundestrainer an die vergangenen Wochen und Monate. „Es war eine schwere Zeit, als unsere Führungsspringer weggebrochen sind“, erinnerte er an das schwerfällige Comeback von Severin Freund und die andauernde Formschwäche von Olympiasieger Wellinger. Doch beruhigt kann der Coach, der zum Saison sein Amt nach elf Jahren niederlegt, feststellen: „Das war eine Flugshow vom ersten Sprung weg. Ich bin sehr dankbar, dass ich dabei war. Dieser Titel bedeutet mir total viel. Das ist das, was wir nie erreicht haben – ein kleines Märchen“Und weiter: „Am Ende hat es sich zusammengefügt.“
Schuster darf die Früchte seiner systematischen Trainingsarbeit und seines psychologischen Einfühlungsvermögens ernten. Und zu seinen herausragenden Eigenschaften gehört auch Geduld.
Dass Markus Eisenbichler (27) und auch Karl Geiger (26) an einem Wochenende zweimal die Nationalhymne bei der Siegerehrung mitsingen dürfen, war lange Zeit nicht absehbar. Seit mehr als sechs Jahren gehören beide zum Weltcup-Team, trotz einer Bronzemedaille von Eisenbichler bei der WM vor zwei Jahren, waren sie nicht immer Überflieger. Beide bevorzugten die kleinen Schritte in ihrer Karriere. Wobei besonders Eisenbichler durch Verletzungen zurückgeworfen wurde.
Dabei galt besonders der Siegsdorfer als talentiert. Aber auch als schludrig. Nach einigen Schicksalsschlägen hat er sich jedoch neu justiert. Beim Training im Sommer 2012 hat es ihn in Oberstdorf „richtig schlimm geschmissen“, wie er berichtete. Er schilderte ausführlich, was passiert war: „Ein Ski ist nach unten geklappt und ich bin kopfüber gestürzt, habe den Boden gesehen und bin mit dem Kopf und mit dem Rücken aufgekommen.“Der dritte Brustwirbel war gebrochen, der vierte, fünfte und sechste waren angebrochen. „Ehrlicherweise muss ich sagen, es ist glimpflich ausgegangen“, sagt er. „Danach habe ich die Entscheidung getroffen, dass ich es nochmal richtig anpacke.“Nach einem Kreuzbandriss 2014 wollte er ganz aufhören.
Tat er aber nicht. „Eisi ist ein Stehaufmännchen par excellence“, urteilte Schuster. „Markus ist ein Typ, er ist ein extremer Typ“, sagte der Coach über Eisenbichler, der gerne mal einen knackigen Spruch raushaut. Ganz im Gegensatz zum ruhigeren Charakter Geiger.
Im Laufe der Saison erkannten sie ihre Chance. Geiger gelang bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg sein erster von mittlerweile zwei Weltsiegen. Und Eisenbichler avancierte bei der Vierschanzentournee zum großen Herausforderer des späteren Siegers Ryoyu Kobayashi. Ausgerechnet am Bergisel, wo er im Januar noch strauchelte, konnte der Tourneezweite an diesem Wochenende Revanche feiern.
Schon davor war Eisenbichler als Typ wahrgenommen worden. Plötzlich wurde registriert, dass er mit Begeisterung Schafkopf spielt. Fußballer Thomas Müller, auch ein Vorzeige-Bayer, lud ihn zu einem Turnier ein. Nach diesem Wochenende kann er ihm auf Augenhöhe begegnen. Von Weltmeister zu Weltmeister.
Das ständige Auf und Ab hat Eisenbichler und Geiger auch menschlich reifen lassen. Ausgelassen feiern am Samstagabend? Fehlanzeige. Er sei beeindruckt, erklärte Trainer Schuster, wie sie jegliche Feierlichkeiten abgelehnt hätten. „Ich habe gespürt, dass sich das Team sehr stark über diesen Titel definiert.“
Und das Märchen des fliegenden Doppelzimmers ist noch nicht beendet: Am Freitag geht es auf der Normalschanze erneut um Gold, einen Tag später folgt das Mixed. „Die kleine Schanze ist tückisch, das wird sehr spannend“, sagte Schuster: „Aber wir haben zwei Sportler, die auch da sehr stark sein werden. Das kann eine historische WM für den Deutschen Skiverband werden.“