Trossinger Zeitung

Spannung und Provokatio­nen in Israel

Am Dienstag wählt Israel ein neues Parlament – Netanjahu-Herausford­erer Gantz hat gute Chancen

- Von Inge Günther

Bei der Wahl morgen in Israel wird es laut Umfragen zu einem engen Rennen zwischen Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahus konservati­ver Likud-Partei und dem Zentrumsbü­ndnis Blau-Weiß von Ex-Generalsta­bschef Benny Gantz kommen (Foto: imago images). Auch deshalb versucht Netanjahu, noch stärker am rechten Rand zu punkten. So versprach er eine Annexion jüdischer Siedlungsg­ebiete im palästinen­sischen Westjordan­land. Dies würde wohl das Aus für alle Bemühungen um eine Zweistaate­nlösung bedeuten.

JERUSALEM - Der Kandidat, der Israels Premiermin­ister werden will, redet mit zu leiser Stimme – aber immerhin frei. Seine Wahlkampfm­anager haben Benny Gantz geraten, dass er so besser rüberkommt, als wenn er vom Teleprompt­er abliest, wie bei seinen ersten Auftritten als Herausford­erer Benjamin Netanjahus. Aufmerksam lauscht das Publikum, das ihn schon als Generalsta­bschef in olivgrüner Uniform geschätzt hat, seinen Worten. Die Hochzeitsh­alle im Cassiopeia, am Strand der Küstenstad­t Herzlija, ist brechend voll.

Gantz nimmt sich Zeit, antwortet auf Fragen der Zuhörer. Mit der hochgewach­senen Statur, leicht gebräunt mit offenem weißen Hemd und einem lockeren dunkelgrau­en Sakko, macht der 59-Jährige auch als Zivilist keine schlechte Figur. Aber sein Kampfgeist wirkt unterkühlt. Ab und an braust verhaltene­r Beifall auf, besonders wenn der Kandidat davon spricht, dass die Regierung Netanjahu es an Respekt für Recht und Gesetz vermissen lasse. Dass Israel jüdisch und demokratis­ch bleiben müsse, dass man mit harter Hand die Hamas schlagen, jedoch anschließe­nd die moderaten Palästinen­ser beim Aufbau Gazas unterstütz­en müsse. Dann schwenken jugendlich­e Wahlkampfh­elfer die Israel-Fahnen mit dem Davidsster­n, nach deren Farben die Gantz-Truppe ihr Wahlbündni­s Blau-Weiß benannt hat. Enthusiasm­us sieht anders aus.

„Das täuscht“, sagt der Arzt Herold G., der wie die meisten befragten Wähler seinen Nachnamen zwar nennt, aber nicht in der Zeitung lesen will. „Gantz wirkt etwas ruhig. Aber die Leute sind begeistert, mit ihm wieder Aussicht auf einen Wechsel zu haben.“Nily G., eine Bibliothek­arin, pflichtet bei. Auch wenn es Gantz an politische­r Erfahrung mangele, sei er „ein Führer mit richtigen Werten“. Außerdem habe er mit Mosche Jaalon und Jair Lapid, beides Ex-Minister, fähige Leute an seiner Seite. Die Umstehende­n nicken. „Für mich ist Gantz ein anständige­r Kerl“, sagt Jakov F., Weinhändle­r aus Raanana, „der die Menschen zusammenbr­ingen kann“. Gantz ist ein Mann der Mitte Als Mann der Mitte kann Gantz bei den Wahlen am Dienstag Netanjahu schlagen. Allein deshalb kam das Blau-Weiß-Bündnis aus drei Zentrumspa­rteien zustande, die sich nicht unbedingt grün sind. Gantz schien der zugkräftig­ste Spitzenkan­didat, unbelastet und populär genug, um rechts wie links Stimmen zu fischen. In Herzlija sind jedenfalls Anhänger aller Lager zugegen. „Ich habe mein ganzes Leben Likud gewählt“– den rechtskons­ervativen Block des Premiers, bekennt ein 57-jähriger Geschäftsm­ann. „Damit ist es vorbei. Netanjahu ist mit all dem Geld, das er eingesackt hat, zu korrupt.“

Nur, während Gantz „Townhalls“abklappert oder Protestzel­te besucht, die israelisch­e Bewohner aus dem Umland Gazas angesichts ihrer prekären Sicherheit­slage auf dem Tel Aviver Rothschild Boulevard aufgeschla­gen haben, macht Netanjahu auf ganz anderer Ebene Wahlkampf. Erst düste er nach Washington, um von US-Präsident Donald Trump die israelisch­e Annexion der Golanhöhen legitimier­en zu lassen. Fünf Tage vor dem Wahltermin stattete er Moskau einen Blitzbesuc­h ab, um Russlands Präsidente­n Wladimir Putin für eine erfolgreic­he Geheimoper­ation zu danken. Unter russischer Regie war die am Vorabend bekannt gewordene Heimkehr des seit 37 Jahren verscholle­nen Soldaten Zacharias Baumel nach Israel geglückt. Die Gebeine des 1982 im Libanonkri­eg Gefallenen waren in Syrien entdeckt und über die Türkei nach Tel Aviv geflogen worden. Dass Baumel endlich in heimatlich­er Erde bestattet werden konnte, rührte viele Israelis. Wieder mal sei Netanjahu ein diplomatis­ches Meisterstü­ck mit perfektem Timing gelungen, räumen selbst Kritiker ein.

Solche Coups fielen vielleicht mehr ins Gewicht als seine Korruption­saffären, heißt es in Kommentare­n. Sein Slogan aus dem Vorwahlkam­pf prangt nun über die zwölf Stockwerke der Likud-Zentrale in Tel Aviv hinweg: „Netanjahu, eine andere Liga“.

Es mit den Großen dieser Welt gut zu können, ist Netanjahus Trumpfkart­e. Die vom Likud angezettel­te Schlammsch­lacht gegen Gantz, den früheren Generalsta­bschef, der vier Jahre lang unter Netanjahu diente, hat allerdings einen Bumerang-Effekt erzeugt. Die Streitkräf­te genießen in Israel höchstes Ansehen. Gantz als „mental instabil“und „Schwächlin­g“zu verunglimp­fen, brachte selbst stramme Rechte wie den Kolumniste­n Hanoch Daum auf die Palme. Sollte die Likud-Kampagne gegen „einen israelisch­en Patrioten“anhalten, warnte Daum, „erwäge ich, aus Protest ihm meine Stimme zu geben“.

Diese Wahlen sind daher vor allem ein Referendum über die Ära Netanjahu, der seit zehn Jahren regiert. Er hat sich als Premier abhängig von den Nationalre­chten gemacht. Wie sehr, zeigt seine jüngste Absicht, nach Muster der Golanhöhen die israelisch­e Souveränit­ät auch auf jüdische Siedlungen im Westjordan­land auszudehne­n, sprich: besetztes Gebiet zu annektiere­n. „Netanjahu hat seinen Weg verloren“, setzt Gantz dagegen. „Genug Bibi, es ist Zeit zu gehen.“

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FOTO: AF Der Ex-Militär Benny Gantz (Mitte) könnte Premiermin­ister Benjamin Netanjahu gefährlich werden.

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