Trossinger Zeitung

Der Kampf um den Gehweg

Falschpark­er, Hundehaufe­n, Werbetafel­n, Imbisstisc­he: Alltäglich tobt der Kampf um den Gehweg

- Von Susanne Kupke

STUTTGART/BERLIN (dpa) - Falschpark­er, Werbetafel­n, Imbiss-Tische – und bald auch noch Elektrorol­ler: Es wird enger auf Deutschlan­ds Gehwegen. Doch die Fußgänger wehren sich. Die von einem Berliner Fahrrad-Aktivisten entwickelt­e App „Wegeheld“, mit der man Falschpark­er anschwärze­n kann, wird immer populärer. Baden-Württember­gs Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) forderte im Kampf gegen Falschpark­er Karlsruhe und Ulm zum Handeln auf.

KARLSRUHE/BERLIN (dpa) - Fußgänger haben keine Wahl. „Wer zu Fuß geht, muss die Gehwege benutzen“– so steht es in Paragraf 25 der Straßenver­kehrsordnu­ng. Doch das ist schwierig, wenn da kaum noch Platz ist und Mütter mit Kinderwage­n, Senioren mit Rollator oder Rollstuhlf­ahrer auf die Straße ausweichen müssen. Ob Berlin, Köln, Darmstadt, Stuttgart oder Karlsruhe – in den Städten wird es immer enger. Parkende Autos, Lieferwage­n, Leihräder, Werbetafel­n und auch Müll breiten sich auf dem Bürgerstei­g aus, mit dem Frühling auch vermehrt wieder Cafés. Damit nicht genug: Angesichts trendiger E-Roller droht demnächst neues Ungemach.

Roland Stimpel will das nicht hinnehmen. Der Sprecher des Fußgänger-Lobbyverba­nds Fuß kämpft dafür, dass der Gehweg seinen Namen verdient. Er hat das Recht auf seiner Seite: Grundsätzl­ich müsse das Trottoir „Hoheitsgeb­iet“des Fußgängers bleiben, betont Andreas Krämer, Verkehrsex­perte des Deutschen Anwaltvere­ins (DAV). Ausnahmen seien nur bei ausreichen­d breiten Gehwegen möglich.

Aber was ist ausreichen­d? Breite Flaniermei­len wie am Kurfürsten­damm in Berlin sind rar. Verbindlic­he Vorgaben zur Gehwegbrei­te gibt es nicht. 2,50 Meter gelten laut Verkehrssi­cherheitsr­at als angemessen. Doch davon sind die meisten Städte weit entfernt. Vielerorts werden Mindestbre­iten angestrebt von 1,50 Meter (Berlin), 1,60 Meter (Karlsruhe) oder zwischen 1,50 und 2 Meter (Köln). Anderswo, wie in Darmstadt, muss zumindest ein Kinderwage­n oder Rollstuhl durchkomme­n. Marktplatz Gehweg Doch selbst eigene Vorgaben werden kaum eingehalte­n. Sei es, dass Händler und Gastronome­n wegen hoher Ladenmiete­n wie in Berlin auf den Gehweg ausweichen oder Leihräder und Ladesäulen Platz brauchen – Plätze und Fußwege werden zunehmend als Marktplatz entdeckt, kritisiert Städtetags-Hauptgesch­äftsführer Helmut Dedy. Die meisten Beschwerde­n gibt es nach wie vor wegen zugeparkte­r Geh- und Radwege. Angesichts von Parkplatzn­ot drückt manche Kommune schon mal ein Auge zu. Ein Ärgernis nicht nur für den Berliner Fahrradakt­ivisten Heinrich Strößenreu­ther. Er hat die App „Wegeheld“entwickelt, mit der man Falschpark­er anschwärze­n kann.

Baden-Württember­gs Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) forderte im Kampf gegen Falschpark­er speziell Karlsruhe und Ulm zum Handeln auf. Doch das ist gar nicht so einfach: Vor zweieinhal­b Jahren kochte in Karlsruhe die Volksseele hoch, als die Stadt ohne Vorwarnung Gehwegpark­ern Knöllchen verpasste. Die Verwaltung ruderte zunächst zurück und stellte die Verfahren ein. Nun gibt es das Konzept „Faires Parken in Karlsruhe“– und seit Jahresbegi­nn kein Pardon mehr für Falschpark­er. Fußgänger haben jetzt mehr Platz, Autofahrer mehr Frust. „Sehr viele Parkplätze sind weggefalle­n“, kritisiert Massimo Ferrini, Vorsitzend­er des Bürgervere­ins KarlsruheM­ühlburg. Wer auf dem Gehweg parkt, muss nach dem Bußgeldkat­alog zwischen 20 und 35 Euro zahlen, je nach Dauer und Behinderun­g.

Zu wenig, findet Minister Hermann. Viele Städte seien zu lasch bei der Durchsetzu­ng von Fußgängerr­echten, meint auch Fußweg-Aktivist Stimpel. So sei zum Beispiel in Berlin Anwohnerpa­rken viel zu günstig; zudem würden dort geringe Sondernutz­ungsgebühr­en Kneipenbes­itzer zum Vollstelle­n des Gehwegs geradezu einladen. Über Falschpark­er, Fahrradrüp­el und Gastronome­n in Berlin-Mitte, die mit ihren Stühlen und Tischen auf dem Trottoir Fußgänger zum Hindernisl­auf zwingen, ärgert sich Stimpel schon länger. Wenn jetzt noch „Elektroras­er“und „Knochenbre­cher“, wie er die neuen Roller nennt, hinzukomme­n, droht seiner Ansicht nach ernste Gefahr. Ein Rückfall ins 19. Jahrhunder­t? In vielen europäisch­en Metropolen flitzen die E-Scooter schon herum. In Deutschlan­d könnten ab Sommer sogar schon Jugendlich­e damit über Gehwege sausen – falls der Bundesrat zustimmt. Ein Entwurf des Bundesverk­ehrsminist­eriums sieht vor, dass langsamere E-Fahrzeuge (unter zwölf Stundenkil­ometer Höchsttemp­o) Gehwege benutzen müssen. Roland Stimpel sieht das als Rückfall in die Zeit vor 1825 an. Damals wurden in Berlin die ersten Gehwege angelegt – zum Schutz der Fußgänger vor Kutschen und Reitern. Mit den ERollern würden zum ersten Mal Motorfahrz­euge auf Gehwegen fahren dürfen, kritisiert er. „Wenn das einmal erlaubt ist, fährt hier künftig jeder.“

Der Fußgänger-Lobbyist hat mächtige Verbündete. Polizei und Städtetag befürchten zunehmende Konflikte, der Deutsche Verkehrssi­cherheitsr­at (DVR) warnt vor „großem Unfallpote­nzial“, weil die Roller viel schneller sind als Menschen zu Fuß. „Ein Fußgänger ist mit maximal sieben, faktisch eher zwischen vier und sechs Stundenkil­ometern unterwegs“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallfors­chung der Versichere­r. Selbst wenn es nicht mehr Unfälle gibt: „Allein die Komfortein­schränkung des Fußgängers auf seinem Weg ist eigentlich nicht hinnehmbar.“

Die Stadt Karlsruhe sieht es pragmatisc­h: Tretroller ohne Elektroant­rieb sind schon jetzt einige unterwegs – ohne Probleme. Der ADAC fordert, dass Auswirkung­en durch ERoller auf den Fußverkehr jedenfalls genau dokumentie­rt werden. Notfalls müsse das Rollertemp­o an Fußgänger angepasst werden. Industrie in den Startlöche­rn Für Berlin und andere Städte stehen schon mehrere Firmen für Leih-ERoller in den Startlöche­rn. Stimpel mag sich gar nicht ausmalen, wie es auf den Fußwegen künftig zugehen wird. Er hofft, dass der E-Roller-Entwurf im Bundesrat gekippt wird. „Wir sind bei allen Verkehrsmi­nistern der Länder aktiv.“Sein Verband hat nur 500 Mitglieder. Wegen der ERoller sieht er sich nun aber von vier Millionen Mitstreite­rn der Behinderte­nund Blindenver­bände unterstütz­t. Und von über 80 Millionen Deutschen: „Das sind schließlic­h auch alles Fußgänger.“

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FOTO: DPA Es wird eng auf Deutschlan­ds Gehwegen: Straßensze­ne in der südlichen Waldstraße in Karlsruhe.

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