Trossinger Zeitung

Wenige Klicks reichen Hackern bis zur Patientena­kte

Ärzte, Kliniken und Apotheken schützen ihre Daten und die ihrer Patienten oft zu wenig

- Von Wolfgang Mulke

BERLIN - Mit einem Klick öffnet Michael Wiesner eine Suchmaschi­ne im Internet. Im Gegensatz zu Google findet der Nutzer über diese Seite Onlinedien­ste statt Webseiten. Der Spezialist für Cyberattac­ken gibt einen Suchbegrif­f ein und landet schnell im Computersy­stem einer Arztpraxis. Die Praxis verlangt noch nicht einmal ein Kennwort vom Eindringli­ng. Schon wird der Inhalt des Systems auf dem Monitor angezeigt. „Das ist digitaler Hausfriede­nsbruch und noch nicht strafbar“, erläutert Wiesner, der auch Mitglied im Hamburger Chaos Computer Club ist. Erst wenn er nun, was problemlos möglich wäre, Patientena­kten öffnet, käme er mit dem Gesetz in Konflikt. „Das lasse ich natürlich“, sagt er und belässt es bei der anschaulic­hen Vorführung der Schwächen in den ITSystemen von Ärzten, Apotheken und Kliniken.

Derlei digitale Einbruchsv­ersuche hat Wiesner mit Einverstän­dnis der jeweiligen Betroffene­n in 25 Arztpraxen unternomme­n. Auftraggeb­er war der Gesamtverb­and der Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV). Das Ergebnis erschreckt. „Das größte Risiko sind die Passwörter“, erläutert er. Am häufigsten verwenden die Mediziner der Stichprobe einfache Kennwörter wie „Praxis“, „Empfang“oder einfach den Namen des Arztes. Mitunter schützen sie ihr System gar nicht durch solch eine Hürde. Fast überall teilen sich die Angestellt­en dieselbe Zugangsken­nung. In 20 der 25 Praxen verfügen alle Nutzer über Administra­torenrecht­e, können also bewusst oder aus Versehen Schadprogr­amme laden.

Lax ist auch der Umgang mit Mailanhäng­en. In immerhin sechs Praxen haben Beschäftig­te einen in einer Testmail aufgeführt­en Link angeklickt und auch das angehängte Word-Dokument herunterge­laden. In einem Fall wurde das Schadprogr­amm im Anhang am Ende auch tatsächlic­h installier­t. Kriminelle nutzen die offenen Einfallsto­re im Gesundheit­swesen vor allem zur Erpressung der Ärzte. An den Patientend­aten sind sie nicht interessie­rt. So verschlüss­eln die Täter etwa die Dateien auf dem Computer und fordern dann ein Lösegeld für die Freigabe der Patientena­kten.

Der GDV hat über den Praxistest hinaus auch 250 Kliniken, 200 Ärzte und 100 Apotheker vom Institut Forsa nach ihren Sicherheit­sbemühunge­n befragen lassen. Die Abhängigke­it der Branche von funktionie­renden IT-Systemen ist enorm. Neun von zehn Apothekern und drei Viertel der Ärzte gaben an, dass sie bei einem Totalausfa­ll nicht mehr oder sehr eingeschrä­nkt arbeiten könnten. Das Risikobewu­sstsein ist daher zwar vorhanden. Doch für sich selbst sieht nur etwa jeder Fünfte eines.

Entspreche­nd wenig wird offenkundi­g in aktuelle Sicherheit­sstandards investiert. Fast ein Drittel der Kliniken nutzt beim Versand von EMails veraltete Verschlüss­elungsprog­ramme. Bei Ärzten und Apotheken fand sich nicht eine, die mit der vom Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnolo­gie (BSI) empfohlene­n Verschlüss­elung arbeitet. Mit den Daten aus dem Gesundheit­swesen wird anscheinen­d auch Handel getrieben. Eine Suche im Darknet durch Experten Wiesner ergab, dass sich in dem von Kriminelle­n häufig genutzten Teil des Netzes die Mailadress­e nebst Passwort von 60 Prozent der Kliniken fand.

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FOTO: DPA IT-Sicherheit ist in vielen Arztpraxen, Apotheken und Kliniken ein Fremdwort, zeigt eine Untersuchu­ng im Auftrag des Gesamtverb­andes der Versicheru­ngswirtsch­aft.

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