Einmal Himmel und zurück
Das Opernprojekt der Hochschule lässt Publikum tief beeindruckt zurück.
TROSSINGEN – Ein kühner Sprung über vier Jahrhunderte hinweg: Bei der Umsetzung einiger Werke Claudio Monteverdis, einer FrescobaldiToccata und elektronischen Kompositionen Ludger Brümmers zeigten Lehrende und Studierende der Musikhochschule Trossingen, wie Kooperation zum Erfolg führt. Die Generalprobe am Freitag stieß auf großes Publikumsinteresse.
„Nicht mehr nur dastehen und singen, sondern mit Gesten, Mimik und Bewegung den Zuhörer beeindrucken.“Diese Forderung Claudio Monteverdis an die Vokalisten war vor rund 400 Jahren ein absolutes Novum. Und führte zu der Geburt des Genres Oper Dass dieser Musikstil auch heute noch aktuell ist, wurde beim ersten Baden-Württembergischen Opernschultreffen im Stuttgarter Wilhelma Theater sichtbar.
Während die Musikhochschulen Freiburg, Stuttgart, Karlsruhe und Mannheim Werke aus dem 20. Jahrhundert und eine Uraufführung präsentierten, ging das Trossinger Institut für Alte Musik an den Ursprung zurück. In die Zeit, als der „stile rappresentativo“, die darstellerische Darbietung, an den Fürstenhöfen Norditaliens zum ersten Mal auf die Bühne kam. In monatelanger intensiver Arbeit gestaltete das kongeniale Trio aus Marieke Spaans (musikalische Leitung), Bernd Niedecken (Inszenierung und Choreographie) und Jan Van Elsacker (Programmkonzept und zuständig für die Sänger) das Monteverdi-Pasticcio.
Nach einem majestätischen Auftakt durch Bläser-Fanfaren wurde die „Favola in musica“um Orpheus erzählt. In der Rolle von „la musica“gefiel die Sopranistin Baiba Urka. Marieke Spaans bezauberte dann am Cembalo mit Frescobaldis „Toccata IX“, gefolgt von einem Vokalsextett mit Monteverdi-Madrigalen. Wie schon bei „Orfeo“beeindruckten auch hier barocke Mimik und Gestik, die von Deda Cristina Colonna mit den Akteuren einstudiert worden waren.
Drama pur entwickelte Marlene Holzwarth als „Ninfa“bei ihrem verzweifelten „Lamento“um den treulosen Geliebten.
Die tragische Kampfszene zwischen Tancredi und Clorinda aus Monteverdis 1624 uraufgeführter Oper stellten Tenor Mika Stähle und Constanze Gellissen (Sopran) stimm- und bewegungssicher auf die Bühne, hintersinnig kommentiert von Jan Van Elsacker in der Rolle des Testo.
In dem Auszug aus dem 411 Jahre alten „Ballett der Undankbaren“gab Holzwarth den unschuldig-verspielten Amor, Elisabeth Kreuzer (Alt) die erfahrene Venus und Simon Hegele (Bass) den in einen Hermelinmantel gehüllten Plutone, Gott der Unterwelt. Das „Ballett“der eitlen Damen, denen der Blick in den Spiegel mehr wert war als der in die Augen ihrer Verehrer, wurde im modernen Stil der Trossinger RhythmikAbteilung getanzt.
Einfallsreiche Kostüme 15 Instrumentalisten begleiteten den Gesang auf historischen Basso continuo-Instrumenten und einer Sammlung von Percussions-Geräten, mal solistisch, mal in Kleingruppen oder auch im Tutti.
Ein respektvolles „Chapeau!“gilt Kathrin Younes und Rebekka Zimlich für die einfallsreichen Kostüme und die Maske. Nur bei Plutones Make-up hätte etwas weniger Farbe gereicht.
Doch nicht nur die Alte Musik, auch das seit zwei Jahren in Trossingen aktive Landeszentrum Musik–Design–Performance war eingebunden: Dagmar Vinzenz und Thorsten Greiner lieferten die digitale Szenografie und Komponist Ludger Brümmer brachte sich mit zwei elektronischen Werken aus den Jahren 1993 und 2003 in das Projekt ein. Eine „durchaus kühne Verbindung“, wie Rektor Christian Fischer im Vorwort des 32-seitigen Programmhefts schrieb. Weniger die Klangbeiträge als die Lichtmalerei polarisierte das Publikum. Selten wurde in einer Pause so heftig diskutiert wie am Freitagabend. Konnte man die gebeamten Kulissen noch mögen, auch wenn sie die Gesichter der Sänger pixelten; die inflationär als Bühnenbild dienenden, „algorithmisch generierten Partikelströme“störten und irritierten viele Besucher. Andere empfanden sie als eine anregende optische Ergänzung. Die Kommentare hierzu reichten von „entsetzlich“bis „genial“.
Doch der lange und kräftige Schlussbeifall bewies, dass das Projekt unterm Strich einen starken Eindruck machte.
Eine Bildergalerie finden Sie, liebe Leser, unter www.schwaebische.de/ trossingen-oper2019