Auslandsstudium fällt für viele aus
Reisebeschränkungen treffen Erasmus-Studenten hart – EU verspricht Flexibilität
RAVENSBURG - Eigentlich müssten sie in diesen Tagen ihre Koffer packen: Tausende Studenten hätten zum Beginn des Sommersemesters ein Studium im Ausland antreten sollen. Für ein oder zwei Semester in ein anderes Land zu gehen gehört für viele junge Menschen zum Studium, in einigen Studiengängen ist es sogar Pflicht. Viele nutzen dazu das EUAustauschprogramm Erasmus plus. Ebenso hätten viele Studenten aus anderen europäischen Ländern in den nächsten Wochen ihre Vorlesungen an deutschen Unis beginnen sollen, doch die sind derzeit im Notbetrieb. Die Corona-Krise hat alle Pläne über den Haufen geworfen.
„Wir empfehlen unseren Studierenden in der aktuellen Situation nicht, ins Ausland zu reisen und raten zu einer Verschiebung des Auslandsaufenthalts“, sagt etwa Daniela Englisch, Leiterin des International Office der Universität Ulm. 30 Ulmer Studenten hätten zum Sommersemester ein Erasmus-Auslandssemester antreten sollen – ein Teil war schon weg, als die Krise sich zuspitzte, denn in vielen Ländern beginnen die Vorlesungen früher als in Deutschland. Inzwischen gilt eine weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Eine Förderung durch die Universität sei aber nur möglich, wenn keine Reisewarnung bestehe, das Ziel kein Risikogebiet sei und keine Pflichtquarantäne bestehe, betont Englisch. Hinzu kommt, dass auch im Ausland viele Hochschulen nicht wie gewohnt arbeiten.
„Sicherlich wird das Sommersemester in vielen, wenn nicht allen Erasmus-plus-Ländern zeitlich wie inhaltlich anders als geplant stattfinden“, heißt es dazu vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Es gelte, den Verlauf der Pandemie abzuwarten. Allein im März waren 18 000 Deutsche mit Erasmus-Programmen für einen Studienaufenthalt im Ausland. Wie viele es zum Semesterbeginn gewesen wären, kann der DAAD aber nicht beantworten – ebenso wenig wie die Frage, wie viele von ihnen inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt sind. Gleichzeitig waren 16 000 ausländische Erasmus-Studenten im März in Deutschland.
Die Uni Konstanz hat bei ihren 148 Studenten, die derzeit mit Erasmus im Ausland sind, nachgefragt, wie sie mit der Situation umgehen. Von den 66 Studenten, die geantwortet haben, wollen die meisten, nämlich 37, ihr Studium an der Gasthochschule
online fortsetzen – mehr als die Hälfte von ihnen tut dies von Deutschland aus. Denn Hochschulen haben in der Corona-Krise ihre Digitalangebote ausgebaut. Selbst im besonders von der Corona-Krise betroffenen Italien sind auf diese Weise noch drei Konstanzer Studenten eingeschrieben.
Auch für ausländische Gaststudenten an deutschen Hochschulen können Online-Vorlesungen eine Alternative sein. „Die Universität bereitet gerade das gesamte Sommersemester 2020 ohne Präsenzlehre vor“, sagt Julia Wandt, Sprecherin der Uni Konstanz. „Die Online-Angebote werden dann selbstverständlich auch internationale Studierende nutzen können. Dazu wird ihnen die nötige Betreuung und Unterstützung angeboten.“Gut 160 ausländische Studenten – teils über Erasmus plus, teils über andere Programme – hatte die Uni Konstanz zum Semesterbeginn erwartet. Knapp 60 sind ohnehin schon seit dem abgelaufenen Wintersemester am Bodensee. Den anderen rät die Uni, in der Heimat zu bleiben.
2,8 Milliarden Euro stellt die EU in diesem Jahr für Erasmus plus bereit. Angesichts der Probleme, die die Pandemie für Studenten und Universitäten mit sich bringt, hat die EUKommission nach Angaben eines Sprechers den Hochschulen bei Kosten und Fristen „sehr große Flexibilität“eingeräumt.
In Deutschland heißt das nach Angaben des DAAD, dass Erasmus-Studenten tatsächlich anfallende Kosten auch dann erstattet bekommen, wenn sie den Auslandsaufenthalt abbrechen oder nicht antreten. Die Erasmus-Förderung wird auch dann gezahlt, wenn die Hochschule nur Online-Kurse anbieten kann. Der DAAD weist außerdem darauf hin, dass jeder Student im Bachelor, im Master und in der Promotion zwölf Monate Erasmus-Förderung bekommen kann. Wer seinen Auslandsaufenthalt also nach einem Monat abgebrochen hat, kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal eine Förderung über elf
Monate beantragen. Man muss sich dafür dann aber wieder neu bei seiner Heimatuniversität bewerben.
„Wir sind dazu da, Mobilität zu fördern“, betont Stephan Geifes, Direktor der Nationalen Agentur für Hochschulzusammenarbeit im DAAD. Akademische Mobilität sei auch nach der Corona-Krise gut und wichtig. „Wir werben weiter dafür, im Ausland zu studieren und nach Deutschland zu kommen, wenn die Rahmenbedingungen dafür wieder gegeben sind.“
Einstweilen aber geht die Zahl der ausländischen Studierenden an den deutschen Unis stark zurück. „Wir haben im Sommersemester 30 Erasmus-Studierende an der Uni Ulm erwartet“, sagt International-OfficeLeiterin Englisch. Tatsächlich gekommen sind nur acht. Unter denen, die nicht nach Ulm gekommen sind, sind elf Italiener, die für einen Doppelabschluss an der Medizinischen Fakultät hätten studieren sollen. Doch alle Mediziner in Italien werden gerade dringend gebraucht.