Die stille Abrechnung mit den Managern
Lautstarke Kritik von Aktionären bleibt Vorständen in diesem Jahr erspart – Wegen Corona finden Hauptversammlungen im Internet statt
FRANKFURT - Novum im Dax und für Deutschlands Aktionäre: Als bisher erster Dax-Konzern hat der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer am Dienstag zur digitalen Hauptversammlung eingeladen. Die Hauptversammlung – kurz HV – ist neben Vorstand und Aufsichtsrat das wichtigste Entscheidungsgremium einer Aktiengesellschaft. Hier haben Aktionäre die Gelegenheit, der Führung ihres Unternehmens persönlich die Meinung zu sagen. Nun soll sie digital stattfinden. Aktionärsvertreter verfolgen das sehr aufmerksam. Denn sie fürchten um die Beschneidung ihrer Rechte.
Im März erst hatte der Deutsche Bundestag in einem Gesetz die virtuelle Hauptversammlung möglich gemacht. Denn die Aktionärsversammlungen können nicht auf unbestimmte Zeit verschoben werden: Sie müssen jährlich stattfinden. Bisher galt, dass dies in den ersten acht Monaten des Geschäftsjahres passieren muss. Nun haben sie bis zum Jahresende Zeit, diese abzuhalten.
Bisher konnte eine OnlineHauptversammlung die klassische Präsenz-Veranstaltung allenfalls ergänzen, sie aber nicht ersetzen. Die Reden von Aufsichtsrats- und Vorstandschef konnte man zwar häufig schon online verfolgen, zur Aussprache der Aktionäre aber wurden Kameras und Mikrofone für die Öffentlichkeit abgedreht. Das gilt auch weiterhin: Aktionäre erhalten von den Unternehmen zum virtuellen Besuch entsprechende Zugangscodes. So waren auch bei Bayer die Abstimmungsmöglichkeiten für die registrierten Teilnehmer besonders abgesichert.
Somit also können die Unternehmen online ihren Aktionären berichten. Die aber müssen ihre Fragen oft schon zwei Tage vorher einreichen. Bayer etwa muss Fragen nur „im Ermessen des Vorstandes“beantworten, die könnten zum Beispiel aus Zeitgründen begrenzt werden, heißt es bei der Sparkassen-Fondsgesellschaft Deka. „Die Beschneidung der Aktionärsrechte geht aus unserer Sicht sehr weit“, klagt die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Um zu einer wirklichen Diskussion zu kommen, müssten Fragen auch in die Hauptversammlung hinein möglich sein. Das immerhin will die Deutsche Bank möglich machen, die auch die Reden von Aufsichtsrat und Vorstand vorab den Aktionären zukommen lassen will.
Hauptversammlungen sind eigentlich auch der Ort, an dem nicht nur unzufriedene Anteilseigner ihren Unmut äußern können. Auch Umweltschützer oder andere Kritiker der Unternehmen nutzen die Gelegenheit sonst gern, vor dem Versammlungsort lautstark zu protestieren und die Öffentlichkeit mit zum Teil fantasievollen Aktionen auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Auch das entfällt weitgehend, weil Demonstrationen allenfalls mit begrenzter Teilnehmerzahl möglich sind. Die aber finden nun – wenn überhaupt – vor der Konzernzentrale statt, in der Vorstand und Aufsichtsrat vor den Kameras sitzen, während die Hauptversammlungen zu normalen Zeiten oft an zentraler Stelle in großen Hallen der Städte stattfanden.
„Virtuelle Hauptversammlungen sind in diese Form nur als Notlösung für die Zeit eines Kontaktverbots akzeptabel“, mahnt deshalb auch Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Investmentgesellschaften (BVI) in der „Börsenzeitung“. Der Vorstand sei nicht verpflichtet, alle Fragen zu beantworten, er könne diese zusammenfassen und aus seiner Sicht „sinnvolle“Fragen auswählen. So steht es jedenfalls in der Gesetzesbegründung. Ein Recht auf Antwort hat der Aktionär nicht. „Dies ist vor dem Hintergrund der 2020 anstehenden wichtigen Beschlüsse, wie beispielsweise zu Kapitalmaßnahmen, nicht hinnehmbar und widerspricht dem grundsätzlichen Ziel des Gesetzgebers, die Rechte der Hauptversammlung zu stärken“, mahnt Richter: „Aktionärsdemokratie sieht anders aus.“
Neben dem Rederecht wird auch das Recht, Gegen- oder Ergänzungsanträge
zu stellen, stark beschnitten. Und schließlich ist es außerdem schwierig, Beschlüsse der Hauptversammlung anzufechten. die DSW plädiert deshalb dafür, dass Unternehmen, die ihr Aktionärstreffen nicht zwingend zeitnah durchführen müssen, die verlängerte Frist nutzen und die Hauptversammlung als Präsenzveranstaltung bis zum Jahresende halten. Nur wenn klar werde, dass die CoronaPandemie auch über den Sommer hinaus anhalte, sollten die Unternehmen zur Online-Hauptversammlung laden.
Thomas Richter vom BVI warnt die Unternehmen außerdem, dass negative Erfahrungen im kommenden Jahr bei der nächsten PräsenzHauptversammlung das Abstimmungsverhalten der Anteilseigner beeinflussen könnten.