Die Forscher und das breite Publikum
Der Streit zwischen der „Bild“und Christian Drosten zeigt, wie Wissenschaft politisiert wird – Dabei hängt vom Vertrauen vieles ab
BERLIN - Die Stimmung zwischen Christian Drosten und der „Bild“könnte schlechter nicht sein. Am Montag stellten Reporter der Boulevardzeitung dem Virologen Fragen zu einer seiner Studien. Thema: die Viruskonzentration bei verschiedenen Altersgruppen. Kein leichter Stoff also, zumal die Datenlage relativ dünn ist. Trotzdem setzte die „Bild“Drosten eine knappe Frist. Eine Stunde hatte er Zeit zu antworten – was er nicht tat. Stattdessen veröffentlichte er die Anfrage bei Twitter, zunächst samt Mailadresse und Handynummer des Journalisten. Kurz darauf schrieb die „Bild“: „StarVirologe Christian Drosten (48) lag mit seiner wichtigsten Corona-Studie komplett daneben.“Dabei ist dieser Satz nicht haltbar.
Für Drosten ist solch ein Ärger nicht neu. Schon im März hatte er gedroht, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. „Ich brauche das nicht“, hatte er gesagt. „Im Gegenteil, für einen Wissenschaftler ist es gefährlich. Es kann wirklich karriereschädigend sein, sich zu sehr in die Öffentlichkeit zu begeben. Denn in der Öffentlichkeit muss man simplifizieren.“
Die Forscher und das breite Publikum – diese Beziehung war nie besonders leicht. Zwar begeistern sich die Menschen für spektakuläre Ausgrabungen,
Arktis-Missionen und Weltraumfahrten. In der Wirklichkeit ist Wissenschaft aber meist ganz anders: Sie ist kompliziert, braucht Zeit, verlangt Differenzierung und ist vor Rückschlägen nicht gefeit. Sie kann ganz schön frustrieren.
Mit den Erfordernissen der Corona-Pandemie verträgt sich das nur schwer. Fakten werden schnell gebraucht, und sie sollen hieb- und stichfest sein. Schließlich hängt viel von ihnen ab. Trotzdem sollen die Wissenschaftler transparent machen, was sie nicht wissen und wo sie falsch gelegen haben. Und obendrein sollen sie Orientierung geben. Auch mit der Politik verträgt sich das manchmal nur schwer. „Wenn alle paar Tage die Meinung geändert wird, ist das auch für die Politik schwierig“, jammerte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) neulich. Vor allem das Robert-KochInstitut ist in die Kritik geraten und war dabei nicht immer unschuldig. Zwar weiß RKI-Präsident Lothar Wieler um die Bedeutung guter Wissenschaftskommunikation. „Aus dem Mund des RKI-Präsidenten hat jeder Satz ein anderes Gewicht“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Umso überraschender waren die kommunikativen Fehler, die Wieler beging.
Warum etwa behauptete er noch im März, dass es „in ein paar Monaten“einen Impfstoff geben könne? Er hätte wissen müssen, dass die Entwicklung eines Impfstoffs normalerweise mehrere Jahre dauert. Wie kam es zur Kehrtwende beim Maskentragen, für dessen Nutzen es noch im Februar keinen Hinweis gegeben haben soll? Wieso wurden die Kriterien zur Lagebewertung verändert? Erst Verdopplungszahl, dann RWert, dann „Sieben-Tage-R-Wert“und Neuerkrankungen in den letzten sieben Tagen?
Aus epidemiologischer Sicht ist es sinnvoll, Maßstäbe anzupassen. Die Forscher lernen ja dauernd dazu. Nur hat ausgerechnet das RKI nicht erklärt, was dazugelernt wurde. Stattdessen hat es die regelmäßigen Pressebriefings gestrichen. Sie finden nur noch anlassbezogen statt. Die Folge: Ausgerechnet das weltweit renommierte Robert-Koch-Institut verliert bei den Deutschen langsam an Vertrauen.
Dabei werden die Anforderungen an die Wissenschaftskommunikation noch wachsen. „Was bröckelt, ist ja die Sorge, dass das Gesundheitssystem überlastet sein könnte“, berichtet etwa die Erfurter Psychologie-Professorin Cornelia Betsch. „Und das ist die zentrale Begründung für die Maßnahmen im Moment.“Man müsse neue Strategien finden, um klarzumachen, wie dynamisch die Infektionsbrandherde weiterhin sind.
Denn vom Vertrauen in die Forschung hängt am Ende ab, ob die Menschen etwa eine Corona-App und einen Impfstoff akzeptieren. Letztlich geht es um den weiteren Verlauf der Pandemie: „Um diese zu bewältigen ist es existenziell, dass Bürgerinnen und Bürger die Entscheidungen nicht allein nur zur Kenntnis nehmen, sondern aktiv und möglichst aus Überzeugung mitmachen“, betont die Virologin Melanie Brinkmann. Dafür müssen die Forscher aber noch überzeugender werden. Derzeit sagen weniger als zwei Drittel der Menschen, sie würden sich gegen Covid-19 impfen lassen. Das würde nicht reichen, um die Pandemie einzudämmen – nach jetzigem Wissensstand.