„Wer sollte es denn sonst machen?“
Obwohl sich die FDP der Fünf-Prozent-Marke nähert, setzt sie weiter auf Parteichef Christian Lindner
BERLIN - „Am Ende bleibt man Mensch. Tut mir leid“, entschuldigte Christian Lindner seinen jüngsten Fehler. Zuvor war ein Foto aufgetaucht, auf dem der FDP-Chef nach dem Besuch des Berliner PolitpromiRestaurants „Borchardt“einen Unternehmer umarmte, ohne Mundschutz und ohne die Corona-Abstandsregeln zu beachten.
Doch Lindner ist eben nicht nur ein Mensch. Er personifiziert auch die FDP und ihren Wiederaufstieg: Die Rückkehr der Liberalen in den Bundestag 2017 mit 10,7 Prozent ist ohne die Aufbauarbeit und die Schwarz-Weiß-Plakate des heute 41Jährigen nicht denkbar.
Doch inzwischen krebst die Partei wieder um die Fünf-Prozent-Hürde herum. In einer aktuellen Umfrage kommen die Liberalen bundesweit nur noch auf 5,8 Prozent. Damit müsste die Partei 2021 erneut um den Einzug in den Bundestag bangen. Die Zeichen stehen nicht gut: Bei der Landtagswahl in Hamburg im Februar flog die FDP mit 4,9 Prozent haarscharf aus der Bürgerschaft. In Baden-Württemberg kann die Partei ein Dreivierteljahr vor der Wahl immerhin noch auf Umfragewerte von 6,4 Prozent hoffen, in Bayern krebsen die Liberalen bei drei Prozent kurz vor der Bedeutungslosigkeit.
Dabei hatte Lindner in der Corona-Krise sehr früh ein Thema gesetzt: Als einer der ersten meldete er Zweifel an den Beschränkungen an. Am Dienstag lobte er sogar indirekt die Lockerungsübungen des thüringischen Linken-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Es sei „im Prinzip richtig, von Verboten auf Gebote umzustellen“, sagte er.
Doch ausgezahlt hat sich das bislang nicht. Hat die Lindnersche SoloShow an Glanz verloren? Manche in der Partei meinen ja. Der Frontmann mache zu viele Fehler, sagt ein führender FDP-Mann. Statt eines Solisten brauche es ein Team. Das Nein zur Schwarz-Grün-Gelben JamaikaKoalition
2017 sei zwar entgegen landläufiger Journalistenmeinung kein Fehler gewesen. Doch danach habe sich einiges gehäuft: Der Hinweis an Fridays-for-Future, dass man Klimaschutz doch den „Profis“überlassen solle. Oder der missglückte Versuch, Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich davon abzuhalten, sich mit Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen.
Der Fall Kemmerich zeigt ein Dilemma der FDP: Einerseits lebt die Partei von Persönlichkeiten und
Querköpfen – in Schleswig-Holstein fährt Wolfgang Kubicki die bundesweit besten Umfrageergebnisse ein. Lindner selbst fördert den Nachwuchs aktiv, schickt Talente wie Konstantin Kuhle oder Johannes Vogel in Pressekonferenzen und Debatten und hat sich mit Linda Teuteberg eine Generalsekretärin geholt, die mit ihrer ruhigeren Art andere Zielgruppen erschließen soll. Im von der Öffentlichkeit weitgehend ignorierten neuen Leitbild verordnet sich die FDP zudem Empathie.
Doch allzu große Eigenständigkeit wird oft auch ein Problem: Als Kemmerich Anfang Mai ohne Mundschutz zusammen mit Verschwörungstheoretikern an einer Demo gegen die Corona-Auflagen in Gera teilnimmt, hagelt es interne Kritik, Kemmerichs Zukunft bei den Liberalen ist unsicher. Und als BadenWürttembergs FDP-Landeschef Michael Theurer dem Noch-Grünen Boris Palmer die Aufnahme in seine Partei vorschlug, widersprach Lindner umgehend: „Für mich passt Palmer
nicht zur FDP. Wir brauchen ihn auch nicht“, twitterte der Parteichef.
Trotz durchwachsener Umfragewerte ist von Umsturz in der FDP nichts zu spüren. Bei vielen wirkt das Trauma von 2013 nach, als die FDP infolge von Intrigen und der Demontage der eigenen Führung aus dem Bundestag flog. Zudem ist niemand in Sicht, der Lindner herausfordern könnte. „Wer sollte es denn sonst machen?“, fragt ein führendes Mitglied rhetorisch. „Lindner bleibt das beste Pferd in unserem Stall“, sagt ein anderes.
Und mancher glaubt auch, dass die Zeit der FDP noch kommt. Benjamin Strasser jedenfalls ist betont entspannt. Dabei sitzt der 33-jährige Politiker aus Weingarten erst seit 2017 im Bundestag und würde gerne eine weitere Legislatur bleiben. „Wir sollten uns nicht kirre machen lassen“, sagt er. „Die Krise ist die Zeit der Exekutive, das spüren gerade alle Oppositionsparteien. Aber unsere Themen kommen“, sagt er.
Tatsächlich: Bei allen Oppositionsparteien ging es zuletzt in den Umfragen bergab. Und Strasser sieht gleich eine ganze Reihe von Themen, mit denen die Liberalen punkten könnten: Die Digitalisierung und das Unvermögen der GroKo, eine Corona-App auf den Weg zu bringen beispielsweise. Oder die Frage, wie viel Staat und wie viel freie Wirtschaft sich Deutschland nach der Krise leisten kann und muss. Und der LindnerFehler mit dem Umarmungsfoto? Strasser winkt ab. Dazu habe Kevin Kühnert alles Wichtige gesagt.
Der Juso-Chef hatte den FDP-Politiker nach dem Vorfall Respekt gezollt: „Wer von Menschen und nicht von Politik-Maschinen repräsentiert werden möchte, der wird Fehler in Kauf nehmen müssen. Unabdingbar gehört dazu, dass es dann auch einen souveränen Umgang mit Fehlern in der Politik gibt“, twitterte der stellvertretende SPD-Chef. Lindner habe mit seiner Entschuldigung vorgemacht, wie das gehen könne. „Stark!“, befand Kühnert.