Silberglanz im Unterhaus
Die coronabedingte Verschiebung des DEL-Starts beschert der DEL2 auf Zeit neue Stars
BERLIN (SID) - Moritz Müller brauchte gerade einmal acht Minuten, um sich nach fast 20 Jahren Abstinenz wieder bei den Kassel Huskies einzuleben. Der Eishockey-Nationalspieler traf am Mittwoch gleich im ersten Spiel (einem 11:1 gegen den Oberligisten Herforder EV) für seinen Heimatclub, bei dem er sich dank einer Gastspielerlizenz die nächsten Wochen fithalten wird. Den zeitweiligen Abstieg in die DEL2 oder gar die Oberliga nehmen auch andere Profis in Kauf, solange in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) der Puck ruht.
„Ich habe in Kassel viele Freunde und Familie, deswegen ist es schön, dass ich hier Eishockey spielen und mich auf die Saison in Köln vorbereiten kann“, sagte Haie-Kapitän Müller. Ähnliche Beweggründe führte auch DEL-Rekord-Torschütze Patrick Reimer an, der sich aus Verbundenheit und Lust am Wettkampf seinem Stammverein ESV Kaufbeuren anschloss. Sein Nürnberger Teamkollege Marcus Weber ließ sich zum Oberligisten SC Riessersee ausleihen.
Und mit jedem Tag kommen mehr Spieler auf die DEL-Clubchefs mit dem Wunsch einer Ausleihe zu. Felix Schütz, zuletzt bei den Straubing Tigers, unterschrieb am Donnerstag beim Zweitligisten EV Landshut einen Vertrag bis Saisonende. Ein Silbermedaillengewinner von Olympia 2018! „Ich möchte jetzt einfach nur Eishockey spielen“, sagte Schütz.
Ein zweiter Trend der Abwanderungswelle ist der, dass DEL-Clubs in der spielfreien Zeit ihre Kooperationspartner stärken. Der EHC Red Bull München verlieh seine Toptalente John Jason Peterka und Justin Schütz an den Konzernbruder aus Salzburg, die Ice Tigers schickten gleich fünf Spieler zu ihrem Kooperationsclub aus der DEL2, den Bayreuth Tigers. Sie sollen, genau wie Reimer und Weber, am 30. November nach Nürnberg zurückkehren. Dann beginnt die heiße Vorbereitung auf den für das dritte Dezember-Wochenende anvisierten DEL-Saisonstart. Auch Kölns Geschäftsführer Philipp Walter betonte: „Moritz Müller ist und bleibt ein Hai.“
Doch was passiert, wenn die DELSaison aufgrund der Corona-Pandemie doch noch komplett abgesagt wird? Wird die DEL2 dann mit Topspielern überschwemmt und zur neuen Eliteliga aufsteigen? Ganz so einfach ist es nicht. Zum einen sind die Kaderplanungen der Clubs weit fortgeschritten oder gar abgeschlossen, zum anderen könnten Probleme mit dem Arbeitszeitgesetz aufkommen.
Tatsache aber ist: Anders als die DEL hält die DEL2 an ihrem Saisonstart am 6. November fest. Die Clubs sind hier nicht so stark von den wegbrechenden Zuschauereinnahmen abhängig wie die DEL-Vereine. Außerdem haben sie aufgrund ihrer geringeren Etats weniger Probleme, an das Geld aus dem Konjunkturpaket zu kommen.
Zurzeit sind die Leihgeschäfte eine Win-win-win-Situation für den Spieler,
den abgebenden und den aufnehmenden Verein. Müller zum Beispiel kann sich in heimatlicher Umgebung auf den Deutschland-Cup der Nationalmannschaft (5. bis 8. November) vorbereiten, die Kölner Haie profitieren von einem fitteren Spieler und die Kassel Huskies von der Erfahrung eines Olympia-Silbermedaillengewinners. „Mit seinen Qualitäten auf und neben dem Eis hilft Moritz unserer Organisation und vor allem unseren Spielern, sich positiv zu entwickeln“, sagte Huskies-Trainer Tim Kehler, „ganz egal, ob er eine Woche oder eine ganze Saison da ist.“
Der 33-jährige Müller ist genau wie Reimer Mitbegründer der Spielervereinigung Eishockey (SVE), die die DEL wegen der neuerlichen Startverschiebung scharf kritisiert hatte. Er habe „nicht das Gefühl, dass wirklich alle Register gezogen“worden seien, hatte Müller kürzlich gesagt und neue Konzepte von den DEL-Bossen gefordert. So lange eine Lösung nicht in Sicht ist, gehen Müller, Reimer und Co. eben wo anders aufs Eis.