Treffen in der roten Zone
EU-Regierungschefs vereinbaren stärkere Zusammenarbeit zur Pandemiebekämpfung
BRÜSSEL (dpa) - Die Sorge über die dramatisch steigenden Corona-Infektionszahlen treibt die EU-Staaten zu einer engeren Zusammenarbeit bei der Pandemiebekämpfung. Die Staats- und Regierungschefs verständigten sich am Freitag beim EU-Gipfel in Brüssel darauf, sich um eine bessere grenzüberschreitende Ermittlung von Kontaktpersonen zu bemühen. Auch könnte es bald Absprachen zu Teststrategien und zur vorübergehenden Beschränkung nicht unbedingt notwendiger Reisen aus Drittstaaten in die EU geben.
Bislang hatten sich die EU-Staaten oft sehr schwer getan, sich bei der Pandemiebekämpfung auf einen gemeinsamen Kurs zu einigen. So gibt es bis heute kaum Absprachen bei Themen wie Reisewarnungen, Maskenpflicht oder Quarantänezeiten.
Das soll anders werden. „Wir waren uns einig, dass wir die Zahl der Erkrankten reduzieren müssen. Das bedeutet eben auch, dass wir Kontakte reduzieren müssen, damit wir diese Kontakte noch nachverfolgen können“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Frage, wie man aus dieser Pandemie herauskomme, entscheide über die Gesundheit von ganz vielen Menschen und über die Frage, wie viele Menschen sterben müssen. Deswegen wurde beschlossen, die Koordinierung auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs zu verstärken. Nach Angaben von Merkel soll es dazu regelmäßig Konsultationen auch per Videokonferenz geben – je nach Lage sogar im Wochentakt.
Wie ernst die Lage genommen wird, zeigte auch, dass mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der finnischen Regierungschefin Sanna Marin gleich zwei
Spitzenpolitiker den Gipfel vorzeitig verließen, nachdem sie erfahren hatten, dass Kontaktpersonen von ihnen mit dem Coronavirus infiziert sind. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki war erst gar nicht zum Gipfel angereist, weil er sich derzeit in Quarantäne befindet. Gleiches gilt für den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Angesichts der CoronaInfektionszahlen wurde am Freitag auch der für den 16. November geplante EU-Gipfel zur China-Politik in Berlin abgesagt.
Deshalb stellte sich die Frage, ob ein Gipfel mit Hunderten Menschen aus ganz Europa überhaupt sein musste. Sind derlei Treffen ein gutes Zeichen an die Bevölkerung, der immer mehr Entbehrungen abverlangt werden? Zu Beginn der Corona-Krise tagten die EU-Staats- und Regierungschefs monatelang nur per Videokonferenz. Allerdings wurde bald deutlich, dass diese Art der Krisendiplomatie
schnell an ihre Grenzen stößt. So können bei digitalen Gipfeln keine formellen Beschlüsse gefasst werden; die Vier-Augen-Gespräche am Rande fallen weg.
Umso erleichterter waren Merkel und Co, als im Juli endlich wieder ein physischer Gipfel stattfand. Dabei verhandelten die Spitzenpolitiker über den siebenjährigen EU-Haushalt und das Corona-Aufbauprogramm mit einem Gesamtvolumen von 1,8 Billionen Euro. Dass es per Video kaum zu einer Einigung gekommen wäre, ist Konsens.
Ratschef Michel verteidigte den physischen Gipfel: Natürlich müsse man sich der Krise anpassen. Aber es gebe eben einige Themen, bei denen die persönliche Präsenz unerlässlich sei. Bei dem Gipfel im Juli sei das so gewesen. Und die Brexit-Debatte betreffe das auch. Künftig solle vom Thema abhängig gemacht werden, wie man zusammenkomme.