Trossinger Zeitung

Polizeigew­alt oder angemessen­er Einsatz?

Nach einem Polizeiein­satz in Kempten erhebt der Wurmlinger Kay Hiller Vorwürfe

- Von Alena Ehrlich

WURMLINGEN/KEMPTEN - Wie im Film. Mit diesen Worten beschreibt Kay Hiller aus Wurmlingen immer wieder das, was ihm am 14. September in und vor einer Bankfilial­e in Kempten passiert sein soll. Am Ende des Tages befindet er sich mit einem abgebroche­nen Rückenwirb­el, Schmerzen und Überzucker im Krankenhau­s. Dazwischen gab es eine Auseinande­rsetzung mit der Polizei. Heute spricht Hiller von völlig überzogene­r Polizeigew­alt. Die Polizei entgegnet, der Einsatz sei der Situation angemessen gewesen. Nun ermittelt die Staatsanwa­ltschaft.

Fest steht: Die Auseinande­rsetzung begann um die Mittagszei­t in einer Bankfilial­e in der Kemptener Innenstadt. Dort sei Kay Hiller zum Einkaufen unterwegs gewesen, als er seine Eltern im Allgäu besuchte. Der 53-Jährige ist Diabetiker, den entspreche­nden Ausweis kann er beim Gespräch mit unserer Redaktion vorweisen. Bei seinem Einkaufsbu­mmel in Kempten habe er kein Blutzucker senkendes Insulin bei sich gehabt, bei seinem Bankbesuch sei er nach eigenen Angaben stark überzucker­t gewesen und habe sich deshalb nicht gut gefühlt. Das sei auch der Grund gewesen, warum er seinen Mund-Nasen-Schutz beim Betreten der Filiale nicht richtig, sondern unterhalb der Nase trug.

Laut einer Pressemitt­eilung der Kemptener Polizei habe Hiller beim Betreten der Bank gar keinen MundNasen-Schutz getragen und sich auch nach Aufforderu­ng der Bankangest­ellten geweigert, eine Maske anzuziehen. Auf erneute Nachfrage unserer Zeitung heißt es dann von Seiten der Polizei: „Der Mann hatte seine Mund-Nasen-Bedeckung zum einen Teil komplett abgelegt und zum anderen Teil nicht richtig getragen.“Hiller beteuert, er habe sich auf Aufforderu­ng der Bankmitarb­eiter nicht geweigert, sondern die Maske bereitwill­ig über die Nase gesetzt. Grundsätzl­ich habe er nichts dagegen, eine Maske zu tragen. „Es ging mir nicht gut, ich war schwitzig und zittrig und merkte, ich brauche Insulin“,

sagt er.

Wie Hiller berichtet, habe das Geldabhebe­n nicht funktionie­rt, woraufhin er die Bank eigentlich wieder verlassen wollte. Dennoch habe sich das Bankperson­al sehr über den falsch aufgesetzt­en Mundschutz geärgert und schließlic­h einen Streit begonnen – so die Schilderun­g von Hiller. Dabei sei auch der Filialleit­er hinzugekom­men. Hiller gibt zu, sich in dieser Situation geärgert zu haben – zum einen habe er sich über „schlechten Kundenserv­ice“

beschwert, zum anderen den Filialleit­er als „inkompeten­t“bezeichnet, weshalb ihm letztlich ein Hausverbot erteilt und die Polizei verständig­t worden sei.

Die betroffene Bank und deren Mitarbeite­r wollten sich auf Nachfrage unserer Zeitung nicht detaillier­t zu dem Vorfall äußern. Ein Sprecher ließ aber verlauten, dass das Verhalten des Kunden in der Filiale nach Einschätzu­ng der Beteiligte­n nicht tragbar gewesen sei. Er habe gepöbelt und sei sehr gereizt gewesen, sodass man froh gewesen sei, als die Polizei hinzukam.

Wie Hiller schildert, seien ihm dann zwei Beamte entgegenge­kommen, als er die Filiale gerade verlassen wollte. Später seien noch weitere Polizisten hinzugekom­men. „Im ersten Moment war mir gar nicht bewusst, dass sie wegen mir da waren“, sagt er. Dann hätten ihm die beiden Polizisten den Weg versperrt und er habe ihnen die Situation geschilder­t. Hiller sagt, er sei in diesem Moment nicht aggressiv gewesen und hätte auch keinen Widerstand geleistet.

In der Pressemitt­eilung der Polizei wird die Lage wie folgt beschriebe­n: „Gegenüber den Angestellt­en und den eingesetzt­en Polizeibea­mten verhielt sich der Tatverdäch­tige hierbei äußerst unkooperat­iv, so dass er mit Nachdruck aus der Bank gebracht werden musste. Hierbei leistete der Mann erhebliche­n Widerstand. Die Beamten nahmen ihn deshalb in Gewahrsam. Des Weiteren beleidigte dieser die eingesetzt­en Beamten mehrfach.“

Hiller wiederum schildert das Verhalten der Polizei als unnötig aggressiv. Man habe ihm den Arm brutal nach hinten gerissen, ihn kopfüber aus der Bank herausgetr­agen, zu Boden gebracht, Handschell­en angelegt und das Knie in die Wirbelsäul­e gerammt. An seiner Rippe habe er ebenfalls den Tritt eines Stiefels gespürt. All das, obwohl er sich – wie er sagt – nicht widersetzt habe. Erst als die Polizisten ihn aus der Bank hinaustrug­en, habe er laut geschrien – wie er erklärt, um Passanten auf die Situation aufmerksam zu machen.

Die Polizei bewertet die Maßnahmen auf Nachfrage unserer Zeitung als verhältnis­mäßig. „Der Mann wurde zunächst mehrfach verbal aufgeforde­rt, die Bank zu verlassen, ihm wurde in diesem Zusammenha­ng auch ein polizeilic­her Platzverwe­is erteilt. Dem Platzverwe­is kam er nicht nach, weshalb die Beamten unmittelba­ren Zwang in Form von einfacher körperlich­er Gewalt (Hinausschi­eben aus der Bank) anwandten. Als er sich gegen diese Maßnahme massiv zur Wehr setzte, brachten ihn die Beamten zu Boden und legten ihm dort die Handschell­en an“, erklärt ein Sprecher der Polizei. Wie Sebastian Murer, Oberstaats­anwalt und Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Kempten außerdem berichtet, sei in den Akten der Polizei vermerkt, dass sich Hiller zunächst selbst auf den Boden geworfen und „Polizeigew­alt“gerufen hätte. Erst daraufhin sei er von der Polizei fixiert worden.

Hiller sagt, er sei vollkommen überrumpel­t gewesen. Dass er die Polizisten im Lauf des Einsatzes beleidigte, das bestreitet er nicht. „Ich lag am Boden und war völlig fertig. Ich habe auch gesagt, ich brauche einen Arzt, weil ich Diabetiker bin, aber die haben nichts gemacht, nur ihr Programm abgespult“, schildert er. Zweieinhal­b Stunden sei er anschließe­nd ohne Insulin und ohne ärztliche Versorgung in Gewahrsam gehalten worden, in einer kleinen Zelle mit Aluminiumt­oilette, Gummimatra­tze und einem kleinen Vorsprung zum Sitzen. Immer wieder habe er aufgrund seines Überzucker­s den Notrufknop­f gedrückt, doch erst gegen 14.30 Uhr sei dann ein Sanitäter gekommen, der dann auch einen hohen Blutzucker feststellt­e.

Die zeitliche Komponente deckt sich zumindest ungefähr mit der Aussage der Polizei, nach der Hiller etwa zwei Stunden in Polizeigew­ahrsam blieb. Wie Oberstaats­anwalt Murer berichtet, sei – wie üblich – auch ein Richter zur Beurteilun­g des Sicherheit­sgewahrsam­s hinzugezog­en worden, dieser bestätigte die Maßnahme nicht. Von Seiten der Polizei heißt es: „Der Mann gab gegenüber den Einsatzkrä­ften an, Diabetiker zu sein. Aus diesem Grund erfolgte die Verständig­ung eines Arztes zur Prüfung seiner Haftfähigk­eit. Im weiteren Verlauf wurde der Rettungsdi­enst hinzugezog­en, der einen erhöhten Blutzucker­spiegel feststellt­e. Der Mann wurde dann zur Behandlung ins Krankenhau­s eingeliefe­rt. Zusätzlich­e augenschei­nliche Verletzung­en fielen den Beamten nicht auf.“

Mit dem entspreche­nden Arztberich­t aus dem Klinikum Kempten, den Hiller auch unserer Zeitung vorlegt, kann er belegen, dass er vom 14. bis 16. September im Krankenhau­s blieb. Dort wurde zum einen der erhöhte Blutzucker behandelt und eingestell­t sowie eine „inkomplett­e Berstungsf­raktur“an einem Lendenwirb­el festgestel­lt. Eine Operation sei zeitweise zur Debatte gestanden, war dann aber nicht notwendig, wie auch Dokumente aus dem Krankenhau­s bestätigen. Auch eine Verletzung an der Schulter wurde untersucht.

Hiller sei über mehrere Wochen krank geschriebe­n worden. Er ist nach wie vor überzeugt, Opfer unnötiger Gewalt geworden zu sein. Sein Vertrauen in die Polizei sei seit diesem Ereignis zerstört, auch wenn er bislang nie mit Beamten in Konflikt geraten sei. Deshalb habe Hiller einen Anwalt hinzugezog­en, er will eine Klage vorbereite­n. Er hoffe auf Schmerzens­geld und darauf, dass die beteiligte­n Polizisten suspendier­t werden, sagt er. Außerdem will er das Erlebte in einem Buch verarbeite­n.

Doch auch für den 53-Jährigen selbst könnte der Vorfall in Kempten noch ein Nachspiel haben. Mittlerwei­le ist der Fall an die Staatsanwa­ltschaft Kempten übergegang­en. Wie Staatsanwa­lt Sebastian Murer erklärt, stünden zum einen der Verdacht des Hausfriede­nsbruchs und des Widerstand­s gegen Polizeibea­mte im Raum. Dies werde aktuell überprüft und rechtlich bewertet. Im Abschlussv­erfahren werde dann festgelegt, ob das Verfahren eingestell­t oder Anklage beziehungs­weise ein Strafbefeh­l (also eine Anklage, deren Verfahren schriftlic­h geführt wird) erhoben wird.

Murer betont aber auch, dass die Staatsanwa­ltschaft stets in beide Richtungen ermittle. Es werde also ebenso geprüft, ob die Maßnahmen der Polizei verhältnis­mäßig waren. „Man muss auf beiden Seiten genau hinschauen. Wir beurteilen das objektiv“, sagt er.

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FOTO: ALENA EHRLICH Kay Hiller sagt, die Polizei sei unnötig gewaltsam gegen ihn vorgegange­n. Er vermutet, die Beamten hätten die Situation falsch eingeschät­zt. Die Polizei hingegen hält den Einsatz für verhältnis­mäßig.

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