Trossinger Zeitung

„Die Hand anfassen zum Korrigiere­n geht nicht“

Online-Unterricht an der Musikhochs­chule hat Vor- und Nachteile – Weitgehend­e Rückkehr zum Präsenzunt­erricht

- Von Michael Hochheuser

TROSSINGEN - Die Trossinger Musikhochs­chule ist in diesem Semester weitgehend zum Präsenzunt­erricht zurückgeke­hrt. Der Anteil des digitalen Unterricht­s wegen der Pandemie liegt laut Rektor Prof. Christian Fischer nur noch bei „zehn bis zwölf Prozent“. Allerdings ist es möglich, dass der mit Nachteilen behaftete Online-Unterricht wieder ausgedehnt wird, wenn sich die Krise in den kommenden Wochen weiter verschärft.

Der Studierend­e spielt am Klavier, der Lehrende ist über einen Bildschirm zugeschalt­et und schaut zu – klar, dass diese Situation nicht ideal sein kann für den gegenseiti­gen Austausch. „Die Hand anfassen zum Korrigiere­n geht nicht“, nennt Fischer einen negativen Aspekt. In manchem Unterricht sei der Körperkont­akt notwendig – doch das ist derzeit nicht möglich. Auch der „nonverbale“Aspekt käme zu kurz. Jedoch biete der Online-Unterricht auch Vorteile: etwa beim Gesangsunt­erricht, konkret bei der Zungenstel­lung – hier käme die Kamera dem Singenden so nah, wie es der Lehrende zwecks Erkenntnis­gewinns nicht könnte.

Fünf digitale Unterricht­sräume hatte die Musikhochs­chule im Sommerseme­ster eingericht­et. „Mit hochwertig­en Mikros und mehreren Kameras, damit die Lehrenden den Studierend­en aus verschiede­nen Perspektiv­en auf die Finger schauen können“, erläutert Fischer. Los ging es zum Ende des Sommerseme­sters. „Wir haben gute Erfahrunge­n gemacht und halten es ein Stück weit bei“, bilanziert er. So werde der digitale Unterricht weitgehend bei wissenscha­ftlichen Vorträgen und musiktheor­etischem Unterricht beibehalte­n. „Ein, zwei Veranstalt­ungen“zu Beginn des Winterseme­sters seien dabei analog gewesen, „damit man sich sieht“. Beim künstleris­chen Unterricht werde wieder vor Ort geprobt, berichtet der Hochschull­eiter – wobei es in einzelnen Fällen Ausnahmen gebe, wenn Lehrende zu Risikogrup­pen zählten oder wegen der Pandemie noch im Ausland festgehalt­en würden. „Fast alle Studierend­en“seien zum neuen Semester zurückgeke­hrt – viele kommen aus Asien oder Übersee.

„Wir bemühen uns, ihnen den vollen Unterricht zukommen zu lassen“, sagt Fischer. So habe der künstleris­che Unterricht teilweise schon Anfang September begonnen, um wegen der Ausfälle im vergangene­n Semester Versäumtes nachzuhole­n. Einiges sei online nicht möglich gewesen: So das Musizieren mit Begleiter, weil dies „zeitgleich am selben

Ort“geschehen müsse. „Unterm Strich gab es jedoch keinen wirklichen Unterricht­sausfall.“Einige Lehrende hätten ein digitales Homestudio eingericht­et und „sofort online unterricht­et“. Jedem Studierend­en seien auf Antrag bis zu 100 Euro zur Verfügung gestellt worden, um sich digital besser auszustatt­en – etwa mit neuen Kopfhörern. Er habe vom Asta, der studentisc­hen Vertretung, die Rückmeldun­g erhalten, dass die Studierend­en zufrieden seien mit dem Online-Unterricht.

Die Corona-Krise habe „Herausford­erungen“mit sich gebracht, sagt der Rektor: Stichwort Kommunikat­ion – der dienen wöchentlic­he Rundmails und regelmäßig­e Videochats zwischen Rektorat und Lehrenden/ Studierend­en. Auch gelte es, diesen Perspektiv­en zu bieten. Alle seien „in der freien Szene unterwegs, beiden Seiten brachen Praxis und Einnahmen weg – das belastet zunehmend“. Deshalb seien mehr hochschuli­nterne Veranstalt­ungen organisier­t worden, „Auftritte im Haus, weil die Musiker Praxis brauchen“. Entspreche­nde Genehmigun­gen seien eingeholt worden – so gilt es, beim Singen besondere Abstände einzuhalte­n und Räume mit Lüftungsan­lagen wie die Aula zu nutzen.

Auch Prüfungen seien teilweise digital abgehalten worden, berichtet Fischer. Es hat ihn überrascht, dass die Staatliche Hochschule für Musik ihre Studierend­enzahl mit 450 zum neuen Semester stabil halten konnte. „Damit habe ich nicht gerechnet.“75 Erstsemest­er starteten zum Herbst, „ein Teil davon ins Master, die vorher den Bachelor gemacht hatten“. 150 Lehrende unterricht­en sie, aufgeteilt in 40 Professure­n und 110 Lehrbeauft­ragte. Ob sich einige von diesen mit den digitalen Neuerungen schwer getan hätten? „Das mag am Anfang so gewesen sein“, sagt Fischer. „Aber alle mussten, und weitestgeh­end alle haben es geschafft.“Er habe „keine Kenntnis davon, dass ein Lehrender deshalb die Segel gestrichen hat“.

Ein Problem sei in den vergangene­n Monaten gewesen, immer „größere

Räume zu finden, in denen die Abstände eingehalte­n werden können“, sagt Christian Fischer. Zum Beispiel für Bewegungsu­nterricht oder Ensembles ab acht Musikern. So sei bei Bläsern wegen der Bildung von Aerosolen ein Abstand von zwei Metern notwendig. Dafür seien Räume ab 100 Quadratmet­ern notwendig; „wir haben schon eine Menge geprüft“. Von der Stadt habe die Hochschule tageweise das Kesselhaus angemietet, auch von der Bundesakad­emie für musikalisc­he Jugendbild­ung gebe es ein Angebot. Man sei jedoch weiter auf der Suche nach geeigneten Räumen.

Wenn in den kommenden Wochen ein Lockdown käme, wäre dies für die Musikhochs­chule „verheerend und demotivier­end“, sagt der Rektor. Aus seiner Sicht sei dieser auch „nicht nötig, weil wir Erfahrunge­n gesammelt haben“. Etwa die Beachtung bestimmter Hygienereg­eln. Es gebe einen „Deeskalati­onsplan“für den Fall, dass vom Land wieder restriktiv­ere Vorgäben kämen. Der beinhalte zum Beispiel die Rückkehr zu Maßnahmen des Frühjahrs wie „ein Studierend­er pro Tag in einem Zimmer – und dann durchlüfte­n“. Oder, dass erneut mehr digital unterricht­et werde. Oder das Tragen von Mund-Nase-Schutzmask­en im Unterricht, „wo künstleris­che Gründe nicht dagegen sprechen – eine Trompete kann man mit Mundschutz nicht blasen“.

Sorgen bereitet Fischer das Thema „Lüften im Winter“: Er sieht ein „Dilemma, weil das Stoßlüften-Gebot eine Attacke etwa auf unsere Flügel“bedeute. Wenn die Temperatur in den Räumen nach Durchzug deutlich sinke, entstünden in den Resonanzbö­den der Flügel Risse, „sie klingen dann stumpf“. Er setzt deshalb lieber auf Luftreinig­er, von denen bereits einige bestellt seien. Aus Kostengrün­den sei es jedoch „schwierig, damit mehr als 100 Räume auszustatt­en“. Deshalb werde die Hochschule Räume mit empfindlic­hen Instrument­en wie Cembali zuerst auszurüste­n.

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FOTO: MUSIKHOCHS­CHULE TROSSINGEN Klavierunt­erricht mit Zuschauer: Der Online-Unterricht an der Trossinger Musikhochs­chule hat Vor- und Nachteile.

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