„Die Hand anfassen zum Korrigieren geht nicht“
Online-Unterricht an der Musikhochschule hat Vor- und Nachteile – Weitgehende Rückkehr zum Präsenzunterricht
TROSSINGEN - Die Trossinger Musikhochschule ist in diesem Semester weitgehend zum Präsenzunterricht zurückgekehrt. Der Anteil des digitalen Unterrichts wegen der Pandemie liegt laut Rektor Prof. Christian Fischer nur noch bei „zehn bis zwölf Prozent“. Allerdings ist es möglich, dass der mit Nachteilen behaftete Online-Unterricht wieder ausgedehnt wird, wenn sich die Krise in den kommenden Wochen weiter verschärft.
Der Studierende spielt am Klavier, der Lehrende ist über einen Bildschirm zugeschaltet und schaut zu – klar, dass diese Situation nicht ideal sein kann für den gegenseitigen Austausch. „Die Hand anfassen zum Korrigieren geht nicht“, nennt Fischer einen negativen Aspekt. In manchem Unterricht sei der Körperkontakt notwendig – doch das ist derzeit nicht möglich. Auch der „nonverbale“Aspekt käme zu kurz. Jedoch biete der Online-Unterricht auch Vorteile: etwa beim Gesangsunterricht, konkret bei der Zungenstellung – hier käme die Kamera dem Singenden so nah, wie es der Lehrende zwecks Erkenntnisgewinns nicht könnte.
Fünf digitale Unterrichtsräume hatte die Musikhochschule im Sommersemester eingerichtet. „Mit hochwertigen Mikros und mehreren Kameras, damit die Lehrenden den Studierenden aus verschiedenen Perspektiven auf die Finger schauen können“, erläutert Fischer. Los ging es zum Ende des Sommersemesters. „Wir haben gute Erfahrungen gemacht und halten es ein Stück weit bei“, bilanziert er. So werde der digitale Unterricht weitgehend bei wissenschaftlichen Vorträgen und musiktheoretischem Unterricht beibehalten. „Ein, zwei Veranstaltungen“zu Beginn des Wintersemesters seien dabei analog gewesen, „damit man sich sieht“. Beim künstlerischen Unterricht werde wieder vor Ort geprobt, berichtet der Hochschulleiter – wobei es in einzelnen Fällen Ausnahmen gebe, wenn Lehrende zu Risikogruppen zählten oder wegen der Pandemie noch im Ausland festgehalten würden. „Fast alle Studierenden“seien zum neuen Semester zurückgekehrt – viele kommen aus Asien oder Übersee.
„Wir bemühen uns, ihnen den vollen Unterricht zukommen zu lassen“, sagt Fischer. So habe der künstlerische Unterricht teilweise schon Anfang September begonnen, um wegen der Ausfälle im vergangenen Semester Versäumtes nachzuholen. Einiges sei online nicht möglich gewesen: So das Musizieren mit Begleiter, weil dies „zeitgleich am selben
Ort“geschehen müsse. „Unterm Strich gab es jedoch keinen wirklichen Unterrichtsausfall.“Einige Lehrende hätten ein digitales Homestudio eingerichtet und „sofort online unterrichtet“. Jedem Studierenden seien auf Antrag bis zu 100 Euro zur Verfügung gestellt worden, um sich digital besser auszustatten – etwa mit neuen Kopfhörern. Er habe vom Asta, der studentischen Vertretung, die Rückmeldung erhalten, dass die Studierenden zufrieden seien mit dem Online-Unterricht.
Die Corona-Krise habe „Herausforderungen“mit sich gebracht, sagt der Rektor: Stichwort Kommunikation – der dienen wöchentliche Rundmails und regelmäßige Videochats zwischen Rektorat und Lehrenden/ Studierenden. Auch gelte es, diesen Perspektiven zu bieten. Alle seien „in der freien Szene unterwegs, beiden Seiten brachen Praxis und Einnahmen weg – das belastet zunehmend“. Deshalb seien mehr hochschulinterne Veranstaltungen organisiert worden, „Auftritte im Haus, weil die Musiker Praxis brauchen“. Entsprechende Genehmigungen seien eingeholt worden – so gilt es, beim Singen besondere Abstände einzuhalten und Räume mit Lüftungsanlagen wie die Aula zu nutzen.
Auch Prüfungen seien teilweise digital abgehalten worden, berichtet Fischer. Es hat ihn überrascht, dass die Staatliche Hochschule für Musik ihre Studierendenzahl mit 450 zum neuen Semester stabil halten konnte. „Damit habe ich nicht gerechnet.“75 Erstsemester starteten zum Herbst, „ein Teil davon ins Master, die vorher den Bachelor gemacht hatten“. 150 Lehrende unterrichten sie, aufgeteilt in 40 Professuren und 110 Lehrbeauftragte. Ob sich einige von diesen mit den digitalen Neuerungen schwer getan hätten? „Das mag am Anfang so gewesen sein“, sagt Fischer. „Aber alle mussten, und weitestgehend alle haben es geschafft.“Er habe „keine Kenntnis davon, dass ein Lehrender deshalb die Segel gestrichen hat“.
Ein Problem sei in den vergangenen Monaten gewesen, immer „größere
Räume zu finden, in denen die Abstände eingehalten werden können“, sagt Christian Fischer. Zum Beispiel für Bewegungsunterricht oder Ensembles ab acht Musikern. So sei bei Bläsern wegen der Bildung von Aerosolen ein Abstand von zwei Metern notwendig. Dafür seien Räume ab 100 Quadratmetern notwendig; „wir haben schon eine Menge geprüft“. Von der Stadt habe die Hochschule tageweise das Kesselhaus angemietet, auch von der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung gebe es ein Angebot. Man sei jedoch weiter auf der Suche nach geeigneten Räumen.
Wenn in den kommenden Wochen ein Lockdown käme, wäre dies für die Musikhochschule „verheerend und demotivierend“, sagt der Rektor. Aus seiner Sicht sei dieser auch „nicht nötig, weil wir Erfahrungen gesammelt haben“. Etwa die Beachtung bestimmter Hygieneregeln. Es gebe einen „Deeskalationsplan“für den Fall, dass vom Land wieder restriktivere Vorgäben kämen. Der beinhalte zum Beispiel die Rückkehr zu Maßnahmen des Frühjahrs wie „ein Studierender pro Tag in einem Zimmer – und dann durchlüften“. Oder, dass erneut mehr digital unterrichtet werde. Oder das Tragen von Mund-Nase-Schutzmasken im Unterricht, „wo künstlerische Gründe nicht dagegen sprechen – eine Trompete kann man mit Mundschutz nicht blasen“.
Sorgen bereitet Fischer das Thema „Lüften im Winter“: Er sieht ein „Dilemma, weil das Stoßlüften-Gebot eine Attacke etwa auf unsere Flügel“bedeute. Wenn die Temperatur in den Räumen nach Durchzug deutlich sinke, entstünden in den Resonanzböden der Flügel Risse, „sie klingen dann stumpf“. Er setzt deshalb lieber auf Luftreiniger, von denen bereits einige bestellt seien. Aus Kostengründen sei es jedoch „schwierig, damit mehr als 100 Räume auszustatten“. Deshalb werde die Hochschule Räume mit empfindlichen Instrumenten wie Cembali zuerst auszurüsten.