Fieberhafte Suche nach der Infektionsbremse
Corona-Zahlen könnten bis Weihnachten bei Millionen Infizierten pro Woche liegen
BERLIN - Wie dramatisch sich die Corona-Lage in Deutschland verschärft hat, beweist eine Ansage der Kanzlerin persönlich. Am Montag im CDU-Präsidium wiederholte Angela Merkel, wie bedrohlich die Situation im Moment sei. Das hatte sie in einer Sitzung desselben Gremiums bereits vor Wochen getan. Damals rechnete sie vor, dass man bis Weihnachten mit 19 200 neu Infizierten pro Tag rechnen müsse. Diese Zahlen sind Schnee von gestern. Wenn das Infektionsgeschehen so weitergeht wie in den vergangenen sieben Tagen, dann könnte dieser Wert bereits in dieser Woche erstmals überschritten werden. Sollte er sich weiterhin wöchentlich verdoppeln, stünde zu Weihnachten rechnerisch sogar die Zahl von Neuinfizierten im Millionenbereich binnen einer Woche zu Buche. Das will die Bundeskanzlerin unbedingt verhindern. Wenn sie am Mittwochmittag erneut mit den Ministerpräsidenten der Länder spricht, stehen weitere Einschränkungen für das öffentliche Leben zur Debatte.
Dabei sind die aktuellen Zahlen nur eingeschränkt mit jenen vom Frühjahr zu vergleichen, als der Höchstwert bei mehr als 6000 Fällen täglich lag. Durch drastisch ausgeweitete Testkapazitäten werden viel mehr Infizierte erkannt. Um die Werte einordnen zu können, hilft es, sich die Tests genauer anzusehen.
Testmethoden
Vier Corona-Testmethoden sind weit genug entwickelt, um gute Ergebnisse zu erzielen. Am häufigsten eingesetzt wird der PCR-Test (von Polymere Chain Reaction = Kettenreaktion durch Enzyme). Sie reagieren auf das Erbgut der Coronaviren und sind sehr empfindlich. Mit ihnen kann weitgehend zweifelsfrei festgestellt werden, ob ein Mensch an Covid-19 erkrankt ist. Rund eine Million PCR-Tests können pro Woche von den deutschen Laboren ausgewertet werden. Nachteil: Bis das Testergebnis kommt, können mehrere Tage vergehen. Eine mögliche Alternative ist der PCR-Schnelltest, der allerdings nicht ganz so zuverlässig und etwas teurer ist. Relativ neu sind Antigentests. Bei ihnen wird nicht das Erbmaterial des Virus nachgewiesen, sondern es werden seine Eiweißfragmente (Proteine) festgestellt. Sogenannte Antikörpertests hingegen erfassen nicht das Virus selbst, sondern die Reaktion des Immunsystems auf den Erreger. Sie zeigen also an, ob ein Organismus immun gegen das Virus ist.
Tempo und Fehlerquote
Manche PCR-Schnelltests liefern Ergebnisse bereits nach drei Stunden. Noch wesentlich zügiger geht es aber beim Anti-Gentest, bei dem bereits nach weniger als einer halben Stunde feststehen kann, ob eine Infektion vorliegt. Die Fehlerquote liegt bei beiden Schnelltests aber deutlich höher als beim PCR-Test. Beim Antigentest geht der Virologe Alexander Kekulé von etwa zehn bis 20 Prozent fehlerhaften Ergebnissen aus.
Schnelltests in den Apotheken
Kekulé befürwortet solche Tests. „Apotheken nehmen ja auch Blut ab und machen Blutdruckkontrollen“, sagt er. Bei der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände heißt es aber, der Verkauf und das Durchführen von Schnelltests sei zunächst nicht geplant. Es gebe dafür rechtliche Hürden. „Damit Apotheken Schnelltests durchführen können, müsste unserer Ansicht nach das
Medizinprodukte-Abgabegesetz geändert werden. Erst dann wären wir auf der rechtlichen sicheren Seite“, sagt ein Verbandssprecher.
Mehr Tests bei Risikogruppen
Das fordert etwa der Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske und ist die Quintessenz eines Thesenpapiers, das er gemeinsam mit Kollegen erarbeitet hat. Angesichts der steigenden Infektionszahlen sei es „unwahrscheinlich, dass man diese Dynamik durch die klassischen Mittel wie Kontaktbeschränkung und Nachverfolgung einfangen kann“, resümieren die Forscher. Sie empfehlen, spezifische Maßnahmen auf „verletzliche Bevölkerungsgruppen und auf (besonders berufliche) Risikosituationen zu konzentrieren“. Im Sommer sei es versäumt worden, „eine
adäquate Teststrategie“zu entwickeln.
Alternativen zu Schließungen
Die Wissenschaftler unter der Leitung des Kölner Gesundheitsforschers Matthias Schrappe lehnen die strikten Schutzmaßnahmen wie Abschirmung und Isolation, wie sie im Frühjahr in Pflegeheimen und Kliniken üblich waren, ab. Besuchsverbote widersprächen humanitären Grundsätzen, heißt es. Stattdessen müsse es in solchen Einrichtungen für Corona-Fälle Krisenteams und eine Reserve von Pflegern geben, die von außen kurzfristig hinzugezogen werden können. Auch zweimal wöchentliche Corona-Testungen von Personal und Bewohnern, die die Einrichtung verlassen wollen, werden angeregt.